Darf man es zulassen, dass eine ausgemusterte Kirchenbank von jedem und für alles benutzt wird? Wäre nicht eine Einschränkung vonnöten: ausschließlich für den kirchlichen Bereich! Oder gibt es keine "heiligen" Gegenstände? Arnim Töpel macht sich Gedanken.
Sendetext nachlesen:
Nicht immer muss es etwas Neues sein. Gerade, wenn es um Möbel geht, besitzt Gebrauchtes bisweilen besonderen Reiz: zeitloses Design, individuelle Handwerkskunst, edel gealtertes Material. Beim Stöbern nach solchen ansprechenden Einrichtungsgegenständen stoße ich im Internet auf folgende Anzeige:
Schöne, alte Kirchenbank zu verkaufen, sehr gut erhalten, vielseitig verwendbar.
Zunächst muss ich schmunzeln, was für eine ungewöhnliche Offerte! Dann aber werde ich nachdenklich: In welcher Kirche die Bank wohl stand? Stammt das Angebot von einer klammen Gemeinde, die auf diesem Wege ihre finanzielle Lage bessern will? Mir kommen Schlagzeilen in den Sinn: Kletterspaß im ehemaligen Gotteshaus, Kirche künftig Kneipe, Altar wird zur Bar.
Liegt diesem Angebot am Ende ein regelrechter Ausverkauf zugrunde: Alles muss raus!?
Ich besehe mir die Bank genauer, vergrößere die angefügten Fotos, die Vorder- und Rückseite detailgetreu zeigen. Eine Kirchenbank, wie ich sie kenne, Platz für vier, fünf nebeneinander Sitzende, je nach Leibesfülle. Mit Ablagemöglichkeit fürs Gesangbuch und Fußstütze für die Menschen in der Reihe dahinter. Auch die schwenkbaren Handtaschenhaken sind vorhanden, nur noch selten benutztes Überbleibsel einer vergangenen Zeit. Dafür mittlerweile gelegentlich willkommenes Spielzeug für manch ermatteten Konfirmanden: Klickedi klickedi klack, tönt es dann, und ich erahne das zugehörige Stöhnen: "Wie lang noch?" Und auch ein anderes Geräusch habe ich sogleich im Ohr: Das Knarzen des Holzes, wenn sich die Gemeinde kollektiv zum Vaterunser erhebt, gefolgt vom vernehmlichen Ächzen, wenn alle wieder Platz nehmen.
Die Qualität der Fotos ist so gut, ich kann sogar die Maserung des Holzes erkennen. Und ich entdecke, da hat doch tatsächlich jemand etwas eingeritzt: Ich war hier M. Ein merkwürdiger Drang des Menschen, sich überall zu verewigen. Aber wenigstens war es kein Ansporn für Nachahmer, soweit ich sehe, sind das die einzigen Schriftspuren aus einhundert Jahren. So alt dürfte die Bank meiner Schätzung nach wohl sein.
Abgesehen von Herrn oder Frau M, wer mag im Laufe der Zeit auf dieser Kirchenbank gesessen haben? Treue Kirchgänger, die hier über Jahrzehnte jeden Sonntag ihren Stammplatz hatten, den niemand streitig zu machen gewagt hätte? Außer natürlich an Weihnachten, wenn die Kirche bereits eine halbe Stunde vor dem Krippenspiel hoffnungslos überfüllt ist mit stolzen Eltern und Großeltern, die sich den besten Platz sichern wollen, um den mimenden Nachwuchs gebührend zu bestaunen.
Wer sonst nahm auf dieser Kirchenbank Platz? Glückselige Brautpaare? Ergriffene Jubilare, die die Goldene Hochzeit feiern durften, die Gnadenhochzeit gar? Gut möglich, dass sich auf ihr verantwortungsbewusst dreinblickende Taufpaten einfanden, und ziemlich sicher saßen auf dieser Bank auch Trost Suchende, die gerade einen lieben Menschen verloren hatten.
Wie viele Lieder mögen auf dieser Kirchenbank gesungen worden sein, wie viele Gebete gesprochen? Wie unterschiedlich mögen die Gedanken gewesen sein, die sich die Menschen dort machten, wie mannigfaltig die Gefühle, die sie bewegten? Von frohgemut bis verzweifelt, abhängig von der persönlichen Lebenssituation, der momentanen Gestimmtheit und vom individuellen Glauben.
Ganz gewiss beschäftigte die hier auf dieser Bank Sitzenden nicht immer nur Tiefschürfendes. Vielleicht fühlte man sich gelegentlich nach zu kurzer Nacht vor allem müde. Zudem hungrig, weil es vor dem Gottesdienst nicht zu einem Frühstück gereicht hatte. Manch einer sehnte sich möglicherweise im Verlauf einer ausschweifenden Predigt schon nach dem Frühschoppen, der sich früher traditionell an den Kirchgang anschloss. Oder man war in Gedanken bereits bei all den Aufgaben, Pflichten und Terminen, deren Erfüllung die kommende Woche abverlangen würde. Und wer säße selbst in einem Gottesdienst nicht auf heißen Kohlen, wenn man sich nicht sicher war, den Stecker vom Bügeleisen gezogen zu haben, mit dem auf den letzten Drücker die dem Sonntag vorbehaltene Garderobe in vorzeigbare Form gebracht worden war.
Dass all das stattgefunden hat auf dieser Bank, kann ich mir lebhaft vorstellen.
Viele Kirchen stehen ja auch außerhalb der Gottesdienstzeiten offen. Touristen mögen sich eingefunden haben, interessiert an der Gestaltung des sakralen Raumes, aber auch froh um die Kühle und die Gelegenheit, kurz auf dieser Bank zu verschnaufen.
Nicht zu vergessen, etliche werden die Kirche zielstrebig aufgesucht haben, auch und gerade zu Zeiten, da niemand zugegen war. Wenn sie hier auf dieser Kirchenbank Platz genommen haben, dann, um zur Ruhe zu kommen. Um eine Bitte loszuwerden, Danke zu sagen. Um innere Klarheit zu gewinnen. Um sich angenommen zu fühlen, aufgefangen, geborgen.
Und nun also soll sie künftig vielseitig verwendbar sein, diese Kirchenbank, wie es in der Anzeige werbend, aber leidenschaftslos heißt.
Etwas in mir sträubt sich bei dem Gedanken, sie könnte betrachtet werden wie ein normales Möbelstück, könnte sich wiederfinden in einer edlen Villa als origineller Kontrast zum ansonsten hochmodernen Ambiente oder als urige Sitzgelegenheit in der Laubenkolonie.
Mehr noch, wenn sie vielseitig verwendbar sein soll, dann bedeutet das ja keinerlei Festlegung, keine Grenzen. Alles ist möglich mit dieser Kirchenbank:
Kultige Ausstattung in der Erlebnis-Gastronomie.
Begehrter Logenplatz beim Après-Ski-Hüttenzauber: Die Klatschpresse beäugt aufmerksam diese sagenumwobene VIP-Rampe.
Denkbar auch die augenzwinkernde Verwendung im Großraumbüro, firmenintern ist die Rede vom Büßerbänkchen.
Die Kirchenbank könnte zum PR-Gag eines aufstrebenden Startup-Unternehmens erhoben werden, passend zur vollmundigen Firmenphilosophie: Beten war gestern, wir erfüllen Ihre Wünsche garantiert!
Oder wie wäre es damit: Unsere Bank endet in einem Nagelstudio – witzig und fotogen zugleich, bietet sie doch eine Superkulisse für Selfies. Lässig dahingefläzt werden die frisch zum Gleißen gebrachten Krallen präsentiert. Kurz zuvor ruhten die Hände noch praktischerweise auf der Rückenlehne, um die Nägel flugs trocknen zu lassen: "Och, ich kann mich gar nicht sattsehen! Dieses Metallic Rot bringt Ihren Typ erst richtig zur Geltung!"
Ganz zu schweigen von düsteren, wüsteren Verwendungen dieser Kirchenbank, wenn sich die Kunstszene ihrer bemächtigt und die kritische Auseinandersetzung mit Kirche bedeutungsschwer bebildert durch solch ein authentisches Requisit. Oder wenn Scherzkekse die Chance wittern, damit allerlei Schabernack zu treiben. Nur keine Hemmungen!
Ein wenig wundere ich mich schon über meine Rigorosität bei diesem Thema. Ich merke, wie ich mich geradezu hineinsteigere. Dabei ist es doch grundsätzlich begrüßenswert, wenn ein Gebrauchsgegenstand nach seiner Ausmusterung weiter Verwendung findet. Und nüchtern betrachtet, handelt es sich doch hier um einen solchen, es geht schließlich nicht um ein Taufbecken oder Jesus am Kreuz. Es ist nur eine Bank. So ist sie ja auch geschaffen worden. Holzfäller sorgten für den Rohstoff, sie werden kaum Gedanken daran verschwendet haben, was daraus werden würde. Handwerker fabrizierten aus dem Material Bänke, geeignet für den kirchlichen Raum, aber bei der Arbeit nicht unbedingt getragen vom Bewusstsein einer heiligen Handlung. Und am Ende war der federführende Tischler noch nicht einmal Mitglied der Gemeinde und saß selbst nie auf einer Kirchenbank.
Dann hat sie viele Jahrzehnte ihren Zweck erfüllt. Und nun kommt eben jemand mit einer guten Idee um die Ecke: "Hey, Leute, wie wär’s, schafft Euch eine ehemalige Kirchenbank an und macht damit, was Ihr wollt!"
Wieso reagiere ich darauf so empfindlich?
Auch wenn es übertrieben erscheint, für mich stellt sich eine grundsätzliche Frage: Darf man es zulassen, dass eine Kirchenbank von jedem und für alles benutzt wird? Wäre nicht eine Einschränkung vonnöten: ausschließlich für den kirchlichen Bereich?
Oder wäre genau das der falsche Ansatz? Sehe ich nur Risiken, nicht aber die Chancen? Mit anderen Worten: Unterschätze ich diese Kirchenbank?
Ich lasse meinen Gedanken abermals freien Lauf und male mir Folgendes aus: Angenommen, diese Kirchenbank fände tatsächlich ein neues, ein gänzlich anderes Zuhause. Zum Beispiel – bei einem Fußballverein. Was könnte geschehen?
Sie wird dort gehütet, gepflegt und perfekt gelagert. Bei jedem Heimspiel kommt sie dann zum Einsatz als Platz für den Trainer. Überdacht, versteht sich.
Und nun wird es interessant: Seitdem der Trainer das Spiel auf dieser Kirchenbank verfolgt, läuft es für die Mannschaft plötzlich, sie eilt von einem Heimsieg zum nächsten. Bald hat sich die Kirchenbank vom belächelten Kuriosum zu einem Maskottchen entwickelt, dessen Auftauchen gefeiert wird. Nach dem Einlaufen der Mannschaft wird das Anliefern der Kirchenbank im Stadion frenetisch bejubelt.
Kurz vor der Winterpause wird entschieden, die Bank erstmals zu einem Auswärtsspiel mitzunehmen. Und siehe da: Die chronische Schwäche der Mannschaft in fremden Stadien scheint gebrochen: 1:3 lautet das Ergebnis.
Im Anschluss interviewt ein Reporter den erfolgreichen Teamchef und bittet, sich die alte Kirchenbank näher anschauen zu dürfen. Auf der Unterseite macht er eine Entdeckung und schaut fragend zum Trainer. Der grinst wissend, denn er kennt dieses winzige Schild mit dem Hinweis:
Kann Spuren von Glauben enthalten
Es gilt das gesprochene Wort.