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Bad der Wiedergeburt
Das Wasser im Christentum
27.07.2025 07:05

Wasser ist lebenswichtig. Es ist reinigend und heilend, aber auch gefährlich und überwältigend. Gunnar Lammert-Türk zeigt die vielgestaltige Rolle des Wassers im Christentum auf, die weit über die Taufe hinausreicht. Er schöpft aus der Bibel, erzählt von Odysseus und den Sirenen, von vielen Kirchenvätern, Martin Luther und Paul Gerhardt.
 

Sendetext nachlesen:

Zitat von Martin Luther: Kleiner Katechismus: Das Sakrament der heiligen Taufe
"Wasser tut’ s freilich nicht, sondern das Wort Gottes, das mit und bei dem Wasser ist, und der Glaube, der solchem Worte Gottes im Wasser traut. Denn ohne Gottes Wort ist das Wasser schlicht Wasser und keine Taufe; aber mit dem Worte Gottes ist’s eine Taufe, das ist ein gnadenreiches Wasser des Lebens und ein Bad der neuen Geburt im Heiligen Geist, wie Paulus sagt zu Titus im dritten Kapitel: "Gott macht uns selig durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im Heiligen Geist."

So erklärte Martin Luther das Wesen der Taufe. Durch das Zusammenwirken des Wortes Gottes mit dem Wasser werde aus ihm ein Mittel, das neues Leben gibt. Die Ge-tauften würden - wie Luther mit einem Zitat aus dem Brief des Paulus an Titus sagt - ein "Bad der Wiedergeburt" und eine Erneuerung ihres ganzen Wesens im Heiligen Geist erfahren. Verändert diese Neuschöpfung im Wasser der Taufe die Menschen dauerhaft? Bewahren sie, was sie empfangen haben, ohne weiteres Zutun? Das neue Leben verdecken und verdunkeln sie oft durch ihr Verhalten oder, indem sie schlichtweg die alten schlechten Lebensgewohnheiten nicht ablegen, sagt Luther. Lebenslang müssten sie daran arbeiten, das Gut der Taufe zu aktualisieren. Dazu dienten ihnen das Eingestehen und Wiedergutmachen ihrer Fehler und Fehlhandlungen: die Buße. Luther sagt:

 

Zitat von Martin Luther: Großer Katechismus: Die Taufe
"Wenn du in der Buße lebst, so gehst du deinen Weg in Kraft der Taufe, welche dieses neue Leben nicht bloß bedeutet, sondern auch bewirkt, anhebt und weitertreibt. Denn in ihr wird Gnade, Geist und Kraft gegeben, um den alten Menschen zu unter-drücken, damit der neue hervorkomme und stark werde. So ist die Buße nichts anderes als ein Wiederhinzutreten zur Taufe: man erneuert und treibt aufs neue, was man vorher angefangen und wovon man doch abgelassen hatte."

So können die Getauften in dem bleiben, was sie im Wasser der Taufe empfangen haben. Man könnte auch sagen, sie würden sich so weiter in dem vom Wort Gottes mit der Kraft zur Reinigung und Neuschöpfung bemächtigten Wasser aufhalten. Sie darin zu bestärken und ihnen dies zu ermöglichen, haben die Christen eine Reihe von Bräuchen, rituellen Handlungen, von Betrachtungen, Hymnen und Gebeten gefunden. Auch in der Bibel gibt es reichlich Stellen, in denen das Wasser eine wichtige Funktion hat. Kurz gesagt, das Wasser spielt im Christentum eine durchaus prominente und vielgestaltige Rolle. Dem wollen wir im Folgenden nachgehen. Zunächst soll unsere Aufmerksamkeit dem Wasser selbst gelten. Der Religionsphilosoph Romano Guardini schrieb:

Zitat von Romano Guardini: Von heiligen Zeichen: Das Weihwasser
"Geheimnisvoll ist das Wasser. Ganz rein und schlicht - "keusch" hat’s der heilige Franziskus genannt. Ganz anspruchslos, als wolle es für sich selbst nichts bedeuten. Selbstlos gleichsam; nur dazu da, anderem zu dienen, rein zu machen und zu erquicken."

Seine durchscheinende Klarheit und schlichte Dienstbarkeit machen das Wasser geeignet zum Reinigen und Säubern, zum Abwaschen von Schmutz und Befleckungen aller Art - ganz gleich, ob durch Begießen oder Eintauchen. Daher kann Paulus die Taufe, wie schon gesagt, ein "Bad der Wiedergeburt" nennen. Dass das schlichte, unscheinbare Element eine so große Wirkung hervorrufen kann, hat den frühchristlichen Theologen Tertullian beschäftigt. In seiner um 200 nach Christus verfassten Schrift "Über die Taufe" verteidigt er das Wasser als Heilsmittel gegen die Gegner des Christentums. Bei Gott, erklärt er, wirken Einfachheit und Macht zusammen. Daher besitzt das scheinbar so schlichte Wasser eine hohe Würde und Mächtigkeit. Das zeigt sich bereits bei der Schöpfung, erläutert er:

Zitat von Tertullian: de baptismo, Kapitel 3
"Im Anfange", heißt es, "machte Gott den Himmel und die Erde. Die Erde aber war unsichtbar und ungeordnet, Finsternisse waren über dem Abgrunde, und der Geist Gottes schwebte über den Wassern". Da hast du nun, o Mensch, vorerst das Alter des Wassers zu verehren; denn es ist eine alte Substanz; sodann seine hohe Bestimmung, weil es der Sitz des Geistes und folglich ihm wohlgefälliger war als die übrigen Elemente. Denn die Finsternis war noch ganz gestaltlos, ohne den Schmuck der Gestirne, der Abgrund traurig, die Erde unfertig und der Himmel unvollendet; das Flüssige da-gegen allzeit eine vollendete Materie. Heiter, einfach und durch sich rein, bot es sich Gott als ein würdiges Fahrzeug dar. 

Das Miteinander von Wasser und Gottes Geist - wie es am Beginn des Schöpfungsberichtes aufscheint - wird im Folgenden noch eine Rolle spielen. Tertullian setzt nach dem Hinweis auf den Beginn der Schöpfung die Würdigung des Wassers fort. Er verweist auf die Gestaltung der Welt durch die Teilung des Wassers und darauf, dass Gott aus dem Wasser Leben hervorgehen ließ. Das Wasser aber ist nicht nur Leben gebend, rein und klar, es hat auch eine dunkle Seite. Guardini fragt:

Zitat von Romano Guardini: Von heiligen Zeichen: Das Weihwasser
"Hast du einmal gesehen, wo es in großer Tiefe stillstand, und dich mit fühlender See-le hineinversenkt? Hast du da gespürt, wie geheimnisvoll die Tiefe war? Wie es schien, als sei’s da drunten aller Wunder voll, lockender, schauriger? Oder hast du einmal ge-horcht, wenn es im Strom daherbraust, immerzu strömt und rauscht, strömt und rauscht? Oder die Wirbel kreisen, strudeln, ziehen? Da kann so schwermütige Gewalt daraus aufsteigen, daß das Menschenherz sich losreißen muß."

Unheimlich kann das Wasser sein, wie ein rätselhafter Abgrund, der einen hinabzuziehen droht. Zugleich rein, belebend, als Quelle sprudelnd, als Bach plätschernd-singend, als Strom brausend, als Meer in seiner Fülle und seinem Rauschen machtvoll und ein Bild des Unendlichen, Ewigen. Von alldem hat auch das Wasser, wie es im Christentum vorkommt, etwas - in seinen Sakramenten und Bräuchen ebenso wie in den Texten der Bibel. Auch seine todbringende Seite hat dabei ihr Gewicht. In der Taufe verbindet sie sich auf einzigartige Weise mit seiner Kraft, zu reinigen und Leben zu geben. Deshalb heißt es bei Paulus im Römerbrief:

Zitat aus dem Römerbrief 6, 3-4
"Wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? So sind wir mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, auf dass, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir in einem neuen Leben wandeln."

Für das Zusammenspiel von Tod und Leben im Wasser der Taufe - das Abtöten des Schädlichen und Vorigen auf der einen und das Rein- und Neugeborenwerden auf der anderen Seite - haben die frühen Theologen Vorbilder im Alten Testament gesucht und gefunden. Tertullian verweist auf den Gang des Volkes Israel durch das Rote Meer bei seinem Auszug aus Ägypten:

Zitat von Tertullian: de baptismo, Kapitel 9
"Als das Volk, zur Freiheit aus Ägypten entlassen, das Wasser durchschreitend der Gewalt des ägyptischen Königs entging, da vertilgte Wasser den König selbst mit seinen sämtlichen Heerscharen. Welches Vorbild wäre im Sakramente der Taufe klarer enthalten als dieses? Die Heiden werden durch Wasser nämlich von der Herrschaft der Welt befreit und lassen ihren früheren Herrn, den Teufel, im Wasser ertränkt zurück." 

Auch in der Sintflut und der Arche fanden die frühen Theologen ein Sinnbild der Taufe und der Kirche. Sie konnten sich dabei auf den ersten Petrusbrief im Neuen Testament berufen, in dem dieser Vergleich bereits vorkommt. Neben vielen anderen zog ihn auch Didymus von Alexandrien im vierten Jahrhundert. In seiner Schrift "Von der Dreieinigkeit" schrieb er:

Zitat von Hugo Rahner: Symbole der Kirche
"Die Sintflut also, welche die seit langem bestehende Sündigkeit der Welt gereinigt hat, ist ein prophetisches Wort auf die Taufe hin, und die Arche selbst rettete die in ihr sich bergenden Menschen und ist dadurch zum Vorbild der heiligen Kirche geworden und Bild unserer auf sie sich gründenden guten Hoffnung."


Für die Menschen im Mittelmeerraum zur Zeit der frühen Kirche war der Anblick großer Segelschiffe vertraut. Imposant erhob sich darin der Hauptmast oder Mastbaum, auf dem oben, etwas von der Spitze entfernt, quer die Rahe, die Segelstange, angebracht war: Eine Kreuzform! Für die Christen Anlass, über die Kirche als Schiff, das durch das Meer der Welt segelt, nachzusinnen. Sie dachten dabei auch an die Irrfahrten des Odysseus. Vor allem eine Szene regte sie an: Odysseus ließ seinen Gefährten die Ohren mit Wachs verstopfen und sich selbst an den Mastbaum binden. So entgingen Schiff und Besatzung den todbringenden Sirenen. Die Verlockungen dieser Fabelwesen deuteten die Christen als heidnische Gewohnheiten, weltliche Reize und dem Christsein wi-derstreitende Irrlehren. Und Odysseus am Mastbaum war für sie wie Christus am Kreuz oder auch der Typus des Christen. Hippolyt von Rom schrieb im frühen dritten Jahr-hundert nach Christus:

Zitat von Hugo Rahner: Symbole der Kirche
"Odysseus verstopfte den Fahrtgenossen die Ohren mit Wachs, sich selbst aber ließ er an das Holz anbinden, und so segelte er ohne Gefährdung an den Sirenen vorbei, ob-wohl er ihren Gesang hörte. So auch zu handeln rate ich allen, die in ähnlicher Lage sind: also entweder sich die Ohren mit Wachs zu verkleben, mit Rücksicht auf ihre Schwachheit,  und so durch die Lehrmeinungen der Häresien hindurch zu segeln oder sich selbst an das Holz Christi gläubig anfesseln zu lassen und dann ohne jede Angst zuzuhören, im Vertrauen auf das Holz, an das man gebunden ist, aufrecht stehen zu bleiben."

Die Kirche als Schiff auf dem Meer der Welt kann auch aus der Geschichte von der Stillung des Sturms im Neuen Testament herausgelesen werden. Jesus ist mit seinen Jüngern im Boot auf dem See Genezareth. Er schläft, als ein Sturm aufzieht, der die Jünger ängstigt. Sie wecken Jesus, und dieser gebietet Wellen und Wind, sich zu beruhigen. Der Gottessohn bändigt die gefahrvolle Seite des Wassers. Die Evangelien berichten auch, dass Jesus über das Wasser des Sees geht. Es lässt sich dabei an die elementare Beziehung Gottes zum Element Wasser denken, daran, wie der Geist im Beginn der Schöpfung über dem Wasser schwebt. Geist und Wasser gehören eng zusammen. Der Geist wird von Jesus sogar als "lebendiges Wasser" bezeichnet. So beim Laubhüttenfest in Jerusalem, als er den Menschen zurief:         

Zitat aus dem Johannesevangelium 7, 37-39:
"Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen. Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn der Geist war noch nicht da; denn Jesus war noch nicht verherrlicht." 

Wie aus einer Quelle strömt hier der Geist aus den Gläubigen. Die frühen Theologen lasen das zum einen als Wachstum geistlicher Weisheit, der ihnen ermöglicht, andere zu lehren. Zu anderen verstanden sie es als moralische Reifung, die sie zu Werken der Nächstenliebe und Barmherzigkeit befähigt. 
Diese Bibelstelle verbindet das Wasser mit dem Heiligen Geist. Und sie gibt einen Hin-weis darauf, was es heißt, in dem zu bleiben, was die Getauften im Wasser der Taufe empfangen haben.

Im Taufwasser zu bleiben beziehungsweise mit ihm in Verbindung zu bleiben - dafür kann symbolisch die Fußwaschung stehen, die vor allem in der katholischen und in der orthodoxen Kirche gepflegt wird. In Erinnerung daran, dass Jesus am Abend vor seiner Kreuzigung seinen Jüngern die Füße wusch, vollziehen die Priester diesen Akt entweder aneinander oder an einfachen Gläubigen. Der syrische Theologe und Dichter Cyrillonas pries die Fußwaschung Jesu staunend mit diesen Worten:

Zitat von Cyrillonas:
"Weshalb geschieht dies, daß der Staub vor seinem Schöpfer sitzt, während sein Herr dasteht und ihm die Füße wäscht? Er ist zum Knecht geworden, trägt das Waschbe-cken, wäscht Fischern die Füße und trocknet sie mit dem Tuch ab, ja er tut das gleiche sogar an seinem Verräter!"

Cyrillonas schrieb seinen "Hymnus über die Fußwaschung" Ende des vierten, Anfang des fünften Jahrhunderts nach Christus. Er staunte über die Demut des Gottessohnes, mit der er seine Jünger lehrte, in Achtung voreinander ebenso zu handeln. Als religiöser Ritus ist die Fußwaschung der mit dem Wasser verbundene Akt, der dieser Demut symbolisch Ausdruck gibt. Und darin eine Mahnung an die Geistlichen, den Versuchungen von Macht, Stolz und Hochmut nicht zu erliegen. 

Das Wasser bleibt bei den Christen noch auf andere Weise. In der katholischen Kirche bekreuzigen sich die Gläubigen am Eingang der Kirche mit dem in der Osternacht geweihten Wasser. Die orthodoxen Christen weihen Wasser in der sogenannten Großen Wasserweihe, die im Gedenken an die Taufe Jesu im Jordan am sechsten Januar voll-zogen wird. Meist an einem natürlichen Gewässer: einer Quelle, einem See, auch einem Meer, einem Fluss. Dem geweihten Wasser werden heilende Eigenschaften zugesprochen. Häufig trinken es die Gläubigen.
Heilen und heiligen soll das Wasser: bei den orthodoxen Christen ebenso wie bei katholischen und evangelischen Christen, wenn auch die Bräuche sich jeweils unterscheiden. Mit dem herbeigerufenen Geist ist es am Werk, mit dem es seit dem Beginn der Schöpfung verbunden ist. Es ist rein, klar und dienstbar zum Säubern und Reinigen von Leib und Seele. Es erfrischt, erquickt, stillt den Durst. Zugleich kann es dunkel, geheimnisvoll sein, auch gefährlich und Tod bringend. Es kann träufeln, plätschern, sanft dahinfließen, fröhlich aufquellen und entspringen, niederstürzen, in brüllenden Wellen rauschen, mit Macht und rasend schnell strömen, in Form des Meeres an die Unendlichkeit erinnern. Mastbaum und Segelstange lassen an das Kreuz und den Ge-kreuzigten denken. Odysseus wird zu seinem Sinnbild wie das Meer zu der gefahrvollen Welt, die das Schiff der Kirche befährt. Und wie Wasser entquillt der Geist wie aus ei-nem Brunnen oder einer Quelle aus Christus und wächst in den Gläubigen. Von all dem war die Rede, von all dem ist das Christentum im Umgang mit dem uralten Element geprägt worden und wird weiter davon geprägt. 
Der Kreis schließt sich mit Zeilen des Liederdichters Paul Gerhardt. In seinem Lied "Du Volk, das du getaufet bist" preist er die Taufe und mit ihr das Wasser auf diese Weise:

Zitat aus Paul Gerhardts "Du Volk, das du getaufet bist"
"O großes Werk! O heilges Bad, 
O Wasser, dessengleichen 
man in der ganzen Welt nicht hat, 
kein Sinn kann dich erreichen! 
Du hast recht eine Wunderkraft, 
und die hat der, so alles schafft, 
dir durch sein Wort geschenket."

Es gilt das gesprochene Wort.


Musik dieser Sendung:
1. William Ackermann, past light: three observations of one ocean
2. Pat Metheny, Water Colors: Icefire
3. Pat Metheny, Water Colors: Legend of a fountain
4. William Ackermann, past light: pacific II
5. Pat Metheny, Water Colors: Sea Songgepustet