epd-bild / Maike Glöckner
Vom Wunsch zu helfen. Alkoholerkrankung ist schrecklich für die Betroffenen. Aber auch Familie und Freundeskreis leiden mit. Aber es gibt Hilfe. Manchmal besteht sie darin zu akzeptieren, dass man nichts tun kann.
Alkoholismus als einsames Spiel
Vom Wunsch zu helfen
21.09.2025 07:05

Alkoholerkrankung ist schrecklich für die Betroffenen. Aber auch Familie und Freundeskreis leiden mit. Aber es gibt Hilfe. Manchmal besteht sie darin zu akzeptieren, dass man nichts tun kann.

Sendetext nachlesen:

Vor Jahren kam ich zum ersten Mal mit dem Thema in Berührung. Ein Freund erzählte von einer Freundin, die so viel trank, dass sie nicht mehr aus dem Bett kam. Er organisierte für sie Lebensmittel, Klopapier, ein funktionierendes Radio, einen Bettstuhl. Manchmal auch eine kleine Flasche Schnaps, wenn sie drängte.

Ich fuhr ihn damit zu der Wohnung, denn er war schon älter. Aus Freundschaft wollte er helfen, eine Lösung finden. Aber wie? Ich dachte nur: Warum lässt sich diese Frau so bedienen?  

Inzwischen hat es mich selber erwischt. Ein Bekannter, ich nenne ihn hier Frank, ist durch Alkohol abgestürzt. Und ich wollte, ich musste ihm einfach helfen. 


Wir sahen Frank nur noch selten. Früher kam er gern zu Familien- und Freundestreffen. Wir wussten, zu viel trinken sollte er nicht. Aber wenn er es tat, öffnete er sich, erzählte von früher, von Glück und Ängsten seines Kinderlebens, den sportlichen Erfolgen der Jugendzeit. 

Sein Name und andere Details wurden für diese Sendung geändert. Sein Tod ist noch nicht lange her, die Wunden schmerzen noch. Der Entzug, auf den wir gehofft hatten, fand nicht mehr statt. Körper und Seele konnten nicht mehr. Doch wir haben viel gelernt. Was sich über Jahre hinzog, lässt sich erst jetzt erzählen. Mit ermutigenden und verzweifelten Aspekten, die viele Alkoholkranke, ihre Freunde und Angehörigen kennen. 


Frank: Kindheit und Jugend: Geboren 1965 in Berlin – als Junge frech und fröhlich. Viel im Garten, auf Laubenfesten. Mit sieben Trennung der Eltern, er kommt wegen Widerständigkeit ins Heim. Schläge liegen im Zeitgeist, das Einsperren, die Übergriffe. In der Schule erkennt ein Lehrer sein sportliches Talent. Lehre als Tischler. Torschützenkönig beim Fußball, Sieger beim Jugendboxen. Darauf wird angestoßen. Mit Bier und Schnaps, mit Alt und Jung – man nimmt das nicht so genau, wenn gefeiert wird. 


Wenn Frank erzählt, wird er, der harte Kerl, gut durchtrainiert, ganz weich. Er hat es geschafft, aus einer nicht leichten Kindheit herauszufinden. Sein Vorbild wird Mohammed Ali. Boxen versteht er als Lebensart, die Fairness, klare Regeln, Respekt bedeutet. Boxen fordert Klugheit im Umgang mit Gefahren und Aggressionen, aber auch viel Disziplin. 

Frank erlebt auch Druck und Gewalt rund um die Kampfsportszene. Gerät in etwas hinein. Wird festgenommen. Findet wieder einen verständnisvollen Coach. So ein Vorbild möchte er selber werden – und arbeitet später als Sozialarbeiter und Kampfsporttrainer für auffällig gewordene Jugendliche. 
Auch brave Kids kommen in seine Kurse, wollen Selbstverteidigung lernen, sich stark fühlen. Sie kommen aus vielen Ländern, Mädchen wie Jungen. Frank kann bei Konflikten Frieden stiften. Seine Klarheit und Strenge kommen gut an, aber auch seine persönliche Botschaft: "Glaubt an euch", sagt er oft, "ihr könnt fast alles schaffen, wenn ihr es wirklich wollt."

Liedtext von Peter Fox zum Song Haus am See:
Ich hab den Tag auf meiner Seite, ich hab Rückenwind
Ein Frauenchor am Straßenrand, der für mich singt 
Ich lehne mich zurück und guck ins tiefe Blau
Schließ die Augen und lauf einfach geradeaus
Und am Ende der Straße steht ein Haus am See
Orangenbaumblätter liegen auf dem Weg
Ich hab 20 Kinder, meine Frau ist schön, mh
Alle komm'n vorbei, ich brauch nie rauszugeh'n 
Im Traum geseh'n, das Haus am See…

Frank hat beruflich Erfolg, gründet eine Familie, hat zwei Kinder und eine attraktive Frau. Er erweitert seinen Freundeskreis, ist gesellig und trinkt gern. Erlebt schöne Urlaube und privates Glück. Wenn da nicht die "bösen Geister" wären, erzählt er einmal. Etwas nagt an ihm, vielleicht die Angst, es irgendwie doch nicht zu schaffen. Warum genau, will er nicht sagen.   

Dann hat er einen Verkehrsunfall mit schweren Verletzungen. Die Zeit im Krankenhaus, die Medikamente machen ihn müde. Doch er wird wieder gesund, arbeitet wieder als Trainer. Gelegentlich fällt er in Depressionen. Oder trinkt, was medizinisch streng verboten ist. 

Seine Frau, mit der ich befreundet bin, macht ihm Mut. Aber sie möchte, dass er sich therapeutische Hilfe holt, auch der Kinder wegen. Das lehnt er ab. Sie findet beim Aufräumen im Keller viele leere Schnapsflaschen. Jetzt ist klar: Frank ist alkoholkrank und hat das bisher gut versteckt. 

Eine Situation, die Carolin Gröger kennt. Sie ist Beraterin bei der "Integrativen Suchtberatung" der Caritas Berlin und berät Betroffene und ihnen nahestehende Menschen. Sie alle sind verunsichert:  

"Zum einen ist es natürlich im Zwischenmenschlichen, zwischen Angehörigen und Süchtigen, oft dieses Lügen und Verheimlichen. Also ich erzähl vielleicht, dass ich nüchtern bin, aber dann trink ich heimlich, fühl mich aber auch angegriffen, wenn’s angesprochen wird. Dann aber auch oft, dass die Angehörigen schon viel weiter sind als die Süchtigen selbst. 

Also der Angehörige ist schon beim Thema Entgiftung oder Langzeittherapie, und der Süchtige, der ist da noch gar nicht, der sagt vielleicht nee, so schlimm ist es noch nicht, das brauch ich alles noch gar nicht, ich würd das ja auch selbst schaffen, wenn ich aufhören wollte, aber grad bin ich vielleicht noch gar nicht an dem Punkt, und der Süchtige sich dann natürlich auch unter Druck gesetzt fühlt."


Für die Angehörigen bricht eine Welt zusammen. Aber der, um den es geht, lässt sich Zeit. Braucht vielleicht Zeit. Denn der Alkoholkonsum bringt auch Entspannung und betäubt andere Probleme. Darauf zu verzichten, scheint bedrohlich:

Alkoholentzug:
Erste Phase: Entgiftung oder körperlicher Entzug, 7-21 Tage, meist in einem Krankenhaus. 
Zweite Phase: Entwöhnungsbehandlung, auch Sucht-Reha oder Langzeit-Therapie genannt, durchschnittlich 3 Monate.
Beides kann auch ambulant, in einer Tagesklinik oder eben vollstationär erfolgen. 


Zur Vorbereitung, aber auch für alle, die über ihren Drogenkonsum sprechen wollen, bietet die Caritas Berlin niedrigschwellige Gespräche an. Carolin Gröger: 

"Hier muss niemand herkommen und sagen, ich will abstinent leben. Wir arbeiten auch mit Konsum-Reduktion, wir arbeiten sehr akzeptierend. Die Klienten entscheiden selber, was und in welchem Tempo sie bearbeiten möchten. Wir geben Hilfe zur Selbsthilfe. Wir vermitteln auf Wunsch auch in Entgiftung oder in Therapie. Wir haben einfach ein offenes Ohr für die Menschen und, ja, begleiten den Prozess. "

Auch für Angehörige ist ein offenes Gespräch sehr wichtig: 

"Angehörige sind oft verunsichert, wenn sie zu uns kommen, wie sie sich verhalten sollen, was hilfreich ist und was nicht hilfreich ist. Und was wir machen können, ist, ein besseres Verständnis für die Krankheit zu ermöglichen, den Verlauf der Krankheit, indem wir ihnen helfen, sich gesund abzugrenzen ohne schlechtes Gewissen, mit ihnen über Gefühle wie Scham, Ohnmacht und Schuld zu sprechen – mit ihren Ambivalenzen zu arbeiten zwischen helfen wollen und der Abgrenzung, Wut oder dass man eigentlich so‘n großes Unverständnis hat: Warum lässt der sich jetzt nicht helfen?! "


Phasen der Alkoholkrankheit
Abhängigkeit und Selbstisolation entwickeln sich oft langsam: 
Aus dem geselligen Trinken wird heimliches Trinken. Lügen, Tricks und Ausreden müssen her und funktionieren lange. Kontrolliertes Trinken wird versucht und misslingt oft. Scham und Gereiztheit nehmen zu. "Ausrutscher" wie ein Vollrausch, ein Zusammenbruch, Aggressionen häufen sich. Beziehungen leiden darunter. Unzuverlässigkeit bringt weitere Konflikte. 


Frank zieht aus der Familienwohnung aus, er und seine Frau wollen sich aber weiter unterstützen. Bei der Arbeit als Kampfsporttrainer ist er immer noch das disziplinierte Vorbild. Die Entspannung kommt danach, Kräuterschnaps mit Bier wird zum täglichen Ritual. Das geht ans Geld: Frank pumpt Leute an. Erklärungen gibt es viele: die neue Wohnung, die Stromnachzahlung, Geschenke für die Kinder… 

Er meldet sich nach einer Corona-Erkrankung nun öfter krank. Freunde und Familie erreichen ihn nur schwer. In seine Wohnung lässt er niemanden mehr. Wir, sein Freundeskreis respektieren das, aber machen uns Sorgen. Doch wir wissen, er kann auch stark sein. 

Liedtext von "Steh auf, wenn du fällst…":
Steh auf, wenn du fällst
Und fang an zu kämpfen
Wart nicht auf Morgen
Die Welt wird sich weiterdrehen
Steh auf, wenn du fällst
Und fang an zu leben
Vergiss deine Sorgen
Es wird schon weitergehen
Irgendwann wirst du verstehen
Jeden Tag kannst du neue Wege geh'n
Steh auf, wenn du fällst … (ausblenden)

Weihnachten: Wir – "fünf Freunde" bilden eine "kleine Eingreiftruppe" und laden Frank zum Pizzaessen ein, ganz in seiner Nähe. Er fühlt sich schwach, habe Long Covid, sagt er. Äußerlich ist er stark gealtert, im Gesicht, in der Erscheinung, hat einen unsicheren Gang. Er sei auch überfallen und beraubt worden, der Pass und alles sei weg. Handy, Portemonnaie. 

Die Pizza schafft er kaum, der Magen rebelliert, aber er freut sich über unsere Gesellschaft. Als der Ober am Ende ein Tablett mit Zitronenschnaps in die Runde reicht, sage ich: Nein danke, lieber Cappuccino. Frank, der nur ein Mineralwasser trank, hat ein Flackern in den Augen, seine Hand zittert, als wolle er zugreifen. 

Zum Abschied bieten wir jegliche Hilfe an, die er braucht. Geben ihm Geld zur Überbrückung. Er dankt und sagt: "Ich wünsche mir nichts mehr als meine alte Kraft zurück." 

Das wird schon, sage ich und ahne zugleich, dass er schwer süchtig ist. Aber wie das ansprechen, ohne den Kontakt wieder zu verlieren? 

Das neue Jahr lässt sich glimpflich an. Frank hält wieder Kontakt zu Frau und Kindern, trifft sie gelegentlich. Die Arbeit falle ihm immer schwerer, höre ich. Er habe Ärger mit den Vermietern, mit der Bank. Manchmal bittet er um Geld. Ansonsten sei alles in Ordnung. Bis auf den Magen. Hat auch das mit der Sucht zu tun? Ich lese mich ein in die harten Fakten der Alkoholabhängigkeit: 


Späte Phasen des Alkoholismus 
Gesundheitliche Probleme nehmen massiv zu. Essen und normales Trinken werden vernachlässigt, ebenso Haushalt, Hygiene, Arztbesuche und andere Termine. Alle Kraft dient der "Beschaffung". Der Mensch braucht immer mehr Alkohol, um für kurze Zeit normal zu funktionieren. Am Ende wird ein hoher Alkoholspiegel überlebenswichtig. Zugleich droht ein Organversagen bei Leber, Niere, Lunge oder Herz. 


Im Oktober ist wieder Sendepause. Die Familie lebt in Angst. Ich stimme mich mit der Freundin ab und versuche, Frank irgendwie zu erreichen. Unser Verhältnis ist unkompliziert, und ich habe die meiste Zeit. So fahre ich mehrfach bei ihm vorbei und klingele. Nichts. Dann gehe ich nach hinten zum Balkon. Dort liegt er, angeblich schon ein paar Tage, er habe wieder seine Schlüssel verloren. Da er Parterre wohnt, kann er über das Geländer auf seinen Balkon klettern und wieder zurück. 

Er liegt auf einer herausgerissenen Jalousie – eine Art Matratze. Entschuldigt sich mit verwaschener Stimme. Mühsam richtet er sich auf und kommt schwankend mit zum Auto. Ich habe warmes Essen und Cola dabei. Beides verschlingt er. Seine Frau kommt dazu. Wir beauftragen einen Schlüsseldienst. Und wollen einen Krankenwagen rufen, denn Frank wirkt durcheinander und unterkühlt. Doch von Frank kommt ein entschiedenes "Nein". 
Das kennt Carolin Gröger von der Caritas-Suchtberatung. 

"Naja - es gibt ja die Selbstbestimmung des Menschen, und wenn es mir nicht gut geht, und jemand ruft den Krankenwagen, und ich sage Nein, ich möchte nicht mit, dann fährt der wieder weg. 

Die einzige Möglichkeit, die es gäbe, wäre, dass man über den sozialpsychiatrischen Dienst geht und übers Gericht feststellen lässt, dass die Person nicht mehr in der Lage ist, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und einen rechtlichen Betreuer kriegt. Und dann könnte der rechtliche Betreuer/ die rechtliche Betreuerin solche Entscheidungen treffen, und dann könnte man vielleicht auch eine Zwangseinweisung verfügen."


Aber auch hier sind die juristischen Hürden hoch, denn Alkoholismus gilt trotz hoher Selbstgefährdung als freie Entscheidung des einzelnen. Daher kann auch eine Therapie nur freiwillig erfolgen. Und nur wer wirklich will, bekommt einen Platz in einer Entzugsklinik.

Frank ist nach den Balkonnächten klar geworden, dass er Hilfe braucht. Die nächsten Tage treffen wir, seine Frau und ich, ihn auf einer Parkbank bei einem "Picknick", so nennen wir es, damit er kommt. Endlich offenbart er sich, unter Tränen. Zeigt unbezahlte Rechnungen, Behördenbriefe, Mietmahnungen, Schreiben der Gerichtsvollzieherin. Wir erhalten von ihm Vollmachten und teilen uns die Anrufe bei Gläubigern und Gerichten auf. So können wir vorerst das Schlimmste verhindern: Zwangsräumung und Obdachlosigkeit. Doch uns wird klar: Wir schaffen das privat nicht mehr, nur eine professionelle Unterstützung kann jetzt noch helfen. 

Das für solche Krisen zuständige Berliner Amt, der sozialpsychiatrische Dienst des Bezirks, hat zeitnah einen Termin frei. Frank hat keine Fahne und ist sauber angezogen. Aber er zittert und ist schnell müde. Ein Sozialarbeiter und ein Psychologe machen sich ein Bild von ihm und schlagen geeignete Hilfen vor. Auf einem Formular kreuzt Frank das "Betreute Einzelwohnen" an - sobald ein Platz frei wird. In der Wartezeit lädt ihn die Caritas zu vorbereitenden Gesprächen ein, die Entgiftung als erste Phase des Entzugs könnte schon bald vermittelt werden. Doch Frank zieht sich wieder zurück und lässt alle Termine verstreichen. 

Inzwischen naht wieder Weihnachten. Frank will niemanden sehen. Aber wie können wir einen kranken Menschen sich selbst überlassen, nur weil er es so will? Also stellen wir Lebensmittel und ein kleines Geschenk vor die Tür, grüßen auf einer Karte und fühlen uns erbärmlich. Immerhin: Die Dinge werden hereingenommen. Das sehen wir noch aus unserem Auto heraus. 
Unsere kleine Helfertruppe ist am Rande ihrer Kräfte angelangt. Was haben wir falsch gemacht? War alles umsonst?

"Das haben wir wirklich in der Suchthilfe ganz oft, dass Beziehungen und Familien kaputtgehen, und das Leben mehrerer Menschen einfach sehr sehr sehr mitgenommen wird, obwohl nur eine Person süchtig ist. 
Natürlich ist ne Suchterkrankung ne schwere Erkrankung, aber die Entscheidung, weiterzutrinken und sich nicht helfen zu lassen, haben die Betroffenen getroffen und nicht die Angehörigen."


Diese sollten aber auf etwas achten, das vielen schwerfällt: Zu viel Hilfe schadet und kann in die Co-Abhängigkeit führen. 

"Ja, also als zu viel falsche Hilfe! Nicht sinnvolle Hilfe ist, wenn man eben immer mehr von den Alltagsdingen für die Person übernimmt und die Person eben im Glauben ist, ich habe alles im Griff, weil es läuft ja alles. Aber die süchtige Person sieht natürlich nicht, wieviel das Umfeld rödelt und macht und leistet, und braucht dadurch sehr viel länger zu erkennen, dass sie selbst ein Problem hat."

Den Jahreswechsel können wir nicht feiern. Denn zuletzt hat Frank uns gesagt: "Hat ja doch alles keinen Zweck. Am besten, es geht zu Ende." Manchmal wünschen wir uns nur, dass ein Arzt ihn irgendwo findet. Zugleich hoffen wir, dass wir ihn bis zum Beginn einer Therapie irgendwie durchbringen können. Carolin Gröger mit einem bitteren Trost:

"Eine Sucht-Erkrankung kann ja auch ein tödliches Ende haben, und wenn der Betroffene schon aufgegeben hat und nicht mehr kann und nicht mehr will und die Erkrankung auch schon sehr weit fortgeschritten ist, dann führt es eben auch zu nichts, als Angehörige noch Druck aufzubauen oder weiter zu rödeln, und sich aufzuopfern und aufzureiben, wenn der Angehörige einfach schon  aufgegeben hat. Und dann hilft es eher zu begleiten und sich gut zu verabschieden und für alle – tja - ein gutes Ende zu finden."

Mitte Januar brachte dann doch ein Rettungswagen Frank in eine Klinik. Passanten hatten ihn am Straßenrand gefunden, bei strengem Frost bewusstlos an einen Baum gelehnt. Die starke Unterkühlung war lebensgefährlich, aber endlich konnten Ärzte ihm helfen. Sie taten es mit großem Engagement. Nun machte er unfreiwillig eine Entziehung. Wir besuchten ihn täglich, er war in einer Art Delirium, aber erkannte uns. 

"Natürlich hofft man ja als Angehöriger immer noch, man kann das Ruder nochmal rumreißen und vielleicht schafft derjenige oder diejenige das noch. Und es ist ja auch ganz menschlich, bis zum Schluss helfen zu wollen. "

Dann erreichte uns die Nachricht, ein Organversagen sei zu befürchten. Er sei auf der Intensivstation, im künstlichen Koma. "Wenn Sie ihn noch einmal sehen wollen…" Wir hatten noch einen Tag.    

Die Zeit für eine Wende in seinem Leben reichte nicht, trotz aller Bemühungen von Freunden, Angehörigen und Fachleuten. Aber Frank hatte bis zum Ende selbst bestimmt. Für ihn ein hoher Wert, so kann man es sehen. Erfahrene wissen: Alkohol ist eine Droge, die viel zu oft unterschätzt wird und unerbittliche Gewalt ausübt. Kaum jemand kann sie allein besiegen. Nicht umsonst kämpfen Klientinnen und Klienten in Therapien gegen einen "verführerischen Teufel", gegen das "Böse", den "Feind" in ihrem Leben. 

Vielleicht war es das, was Frank einmal andeutete, was an ihm nagte. Als er noch ziemlich am Anfang seiner Erkrankung sagte: "Wenn da nicht die bösen Geister wären." Das klingt fast wie in der Bibel, wenn es heißt: Ein böser Geist verstörte ihn. (1. Samuel 16,15) Zumindest am Ende seines Lebens konnte er das mit uns teilen und sein einsames Spiel aufgeben. 

Zur Beerdigung kamen viele. Wir standen in einem Kreis um sein Grab, unter einem großen Baum. Und erzählten von ihm. Respektvoll. Behutsam. Fragend. Denn die ganze Wahrheit kannte niemand.

Carolin Gröger möchte Betroffene bitten und motivieren, die vielen Hilfsangebote zu nutzen: 

"Ich bin der festen Überzeugung, dass jeder Süchtige, jede Süchtige, die Hilfe möchte, auch Hilfe bekommt. Es gibt natürlich in ganz Deutschland die besten Therapiemöglichkeiten, auf die verschiedensten Bedürfnisse abgestimmte Therapiemöglichkeiten, sei es sprachlich, sei es von der sexuellen Orientierung oder mit Co-Morbiditäten, also anderen Begleitkrankheiten, die noch da sind, da gibt es einfach so viele Angebote, dass jeder, der Hilfe möchte, auch Hilfe findet."  

Es gibt z.B. die Online-Plattform "DigiSucht" in Deutschland oder auch die Beratungsplattform der Caritas; beide beraten anonym und kostenlos und sind mit örtlichen Anlaufstellen vernetzt. 

Aber es gibt auch telefonische Hilfe, zum Beispiel bei der Telefonseelsorge. Dort kann man Tag und Nacht anonym anrufen. Die Telefonnummer bundesweit lautet: 116 123. Damit Hilfe findet, wer Hilfe sucht.   

Es gilt das gesprochene Wort.


Musik der Sendung:

1. aus Janos Tamas Werk "Eisblumen": "Elegie"
2. Peter Fox: Haus am See 
3. Mitch Keller: Steh auf, wenn du fällst… 
4. Instrumental, aus Janos Tamas, "Eisblumen": Nachtsinnen
5.-7. Instrumental, aus Janos Tamas, "Eisblumen": Dämmerung
8. Instrumental, aus Janos Tamas, "Eisblumen": Fortgang
9. Instrumental: Francois Couturier / Anja Lechner: "Voyage"

-------------------------------------------------------
Links zu Hilfsangeboten bei Suchterkrankungen: 
https://www.suchtberatung.digital/ 
https://beratung.caritas.de/login 
https://www.diakonie.de/informieren/infothek/2023/november/suchthilfe-hilfe-fuer-betroffene-und-angehoerige 

Nummer der Telefonseelsorge bundesweit: 116 123