Ich lasse mir die Hoffnung nicht nehmen
Das Wort zum Sonntag
15.05.2010 22:00

"Damit ihr Hoffnung habt!" – unter diesem Motto begegnen sich seit Mittwoch evangelische, orthodoxe und katholische Christen beim 2. Ökumenischen Kirchentag hier in München. Weit über 100.000 Menschen haben über ihren Glauben nachgedacht, über ihre Rolle als Christen in der Gesellschaft diskutiert und miteinander gefeiert. Morgen geht dieses Treffen zu Ende. 

"Damit ihr Hoffnung habt!" – was für eine Hoffnung kann ich haben angesichts der tiefen Krise in der sich meine katholische Kirche befindet. Zu welchen tiefgreifenden Reformen ist sie wirklich fähig und bereit. Reformen aus dem Geist Jesu. Dass das von zölibatären Männern beherrschte System Kirche sich öffnet für demokratische Strukturen, sich öffnet für die Gleichstellung von Frau und Mann in allen Bereichen. Dass die Kirche offen, bescheiden, mitfühlend gerade auch auf die Menschen zugeht, die anders leben, als es offiziell-kirchlichen Vorstellungen entspricht. Ich denke an wiederverheiratete Geschiedene oder an homosexuelle Partnerschaften.

Ich denke auch an die, für die in der Ökumene alles viel zu langsam geht. Zurecht ungeduldig gewordene Christen sehen so manche "Hoffnungsverhinderer" am Werk, damit ja nicht zu viel Hoffnung aufkommt und die Hoffnung im Rahmen der bestehenden Kirchenordnungen bleibt.

Ich jedenfalls lasse mir die Hoffnung nicht nehmen, dass Ökumene konsequenter angegangen wird. Das Ziel ist dabei keine Einheitskirche, sondern die eine geschwisterliche Kirche mit unterschiedlichen Traditionen. Dass das möglich ist und notwendig, darüber brauchen wir nicht mehr reden. Wie das zu erreichen ist, darüber müssen wir in den Kirchen reden: offen, ehrlich und mit Respekt voreinander. Vor allem in Bescheidenheit vor Gott. Gott allein ist die Wahrheit. Die Wahrheit besitzt niemand, keine Kirche, keine Religion. 

Was die Kirchen bis heute trennt, ist nicht die Wahrheit Gottes, sondern die verschiedenen Auslegungen und Deutungen, Erfahrungen und Zugänge zu dieser Wahrheit. 

Christen berufen sich auf Jesus Christus. Für ihn ist Gott nach dem Zeugnis der Bibel unbedingt und eindeutig Liebe. Für ihn ist Gott die Wahrheit, weil er die Liebe ist.

Daraus ergibt sich für mich ein Leitfaden für die ökumenischen Bemühungen. Ohne Liebe ist nichts wahr. Auf diesen Gedanken bringt mich ein Wort der gemeinsamen Kirchenväter, die noch vor allen Spaltungen gesagt haben: "Lasst uns einander lieben" – und dann erst folgt – "damit wir in Eintracht bekennen."

Und was könnte das hier heißen – einander lieben? Sicher nicht, dass wir jetzt alle einander um den Hals fallen. Auch bei der Liebe in Sachen Ökumene schaue ich auf Jesus. Mich fasziniert der Respekt mit dem Jesus auf Menschen zugeht, die nicht seinen Glauben haben. Und Jesus hat auch nie die religiöse Überzeugung eines anderen abgelehnt. Wenn in unseren Kirchen wieder etwas mehr von diesem Geist Jesu spürbar wird, über den Kirchentag hinaus – dann, ja dann hab auch ich Hoffnung.

Das Wort zum Sonntag