"Und natürlich bleibt das Smartphone am Sabbat aus." Bei diesem Satz waren die Schülerinnen und Schüler einfach fassungslos. Ein jüdischer Theologe hatte an unserer Schule einen Vortrag über jüdisches Leben gehalten. Besonderes Augenmerk galt dem wöchentlichen jüdischen Feiertag, dem Sabbat. Dass fromme Juden an diesem Tag nicht arbeiten, das konnten die Schülerinnen und Schüler noch ganz gut nachvollziehen; das fanden sie grundsätzlich auch o.k., ist ja beim christlichen Sonntag nicht viel anders. Was dabei aber alles als Arbeit zählt, z.B. auch Kochen, war dann schon irritierend. Aber kein Smartphone – sorry, aber das geht gar nicht!
Gelegentlich frage ich meine Schüler "Wollt ihr ´ne Pause, oder sollen wir ein paar Minuten früher Schluss machen?". Logische Antwort: "Beides". Und dann sage ich: "Sorry, aber das geht gar nicht!" Gut, dann wollen sie eine Pause. Klar, denke ich, die Stunde war intensiv. Die wollen jetzt was trinken, ne Kleinigkeit essen vielleicht, sich ein bisschen bewegen. Weit gefehlt. Die Schülerinnen und Schüler zücken ihre Smartphones. Alle. Ausnahmslos. Sie versenden ein paar Whatsapp-Nachrichten, kontrollieren ihre sozialen Netzwerke, posten vielleicht ein Photo von ihrem Pausenbrot. Obwohl, das ist ein schlechtes Beispiel. Pausenbrot war gestern. Das Smartphone ist das neue Pausenbrot. Das Smartphone ist das neue Alles.
Ich gebe zu. Die Dinger sind genial. Aber offensichtlich eben auch suchtbildend.
Neulich werde ich durch ein heftiges Wummern aus dem Lehrerzimmer gelockt. Jessie, eine Schülerin, mit der ich in der Schulseelsorge eine ganz gute Beziehung aufgebaut habe, steht vor dem Sekretariat und schlägt mit beiden Händen gegen die verschlossene Tür. Ich kann sie soweit beruhigen, dass sie mir erzählt, was los ist. Eine Kollegin hatte ihr das Smartphone abgenommen, weil sie während des Unterrichtes ständig damit beschäftigt war. Nach der Schule sollte sie ihr Smartphone im Sekretariat wieder abholen. Nun hatte Jessie aus, aber die Schulsekretärin machte Mittagspause. "Es wird dir nichts anderes übrigbleiben", sage ich zu Jessie, "als zu warten, bis das Sekretariat wieder offen ist. Nutz doch die Zeit, geh’ einen Kaffee trinken, mach schon mal Hausaufgaben. Oder mach einfach mal gar nichts." Jessies Reaktion: hysterisches Weinen. Die Verzweiflung über eine Todesnachricht hätte kaum größer sein können. Irgendwie war es wahrscheinlich genau das. Noch 20 Minuten auf ihr Smartphone warten, hieß für Jessie, 20 Minuten vom Leben abgeschnitten zu sein. Wie tot. Ich bin online, also bin ich. Offline – tot.
Kaum noch gibt es eine positive Einstellung zu Auszeiten, zu Ruhe, vielleicht sogar zu gelegentlicher Langeweile. Und das gilt nicht nur für Jugendliche.
Irgendwann sei ihr aufgefallen, schreibt die amerikanische Bloggerin Manoush Zomorodi, dass sie sich seit Jahren nicht mehr gelangweilt habe. Immer gibt es irgendeine App oder ein Spiel, um sich die Zeit zu vertreiben. Langeweile, so Zomorodi, ist aber immer auch eine Voraussetzung für Kreativität. Zomorodi hat deshalb einen Sechs-Stufen-Plan zur Smartphone-Entwöhnung entwickelt. Tag 1: Smartphone auf bestimmten Strecken in der Tasche lassen. Tag 2: Keine Smartphone-Photos. Tag 3: Eine häufig benutzte App löschen. Tag 4: Keine Mails und sozialen Netzwerke checken. Tag 5: Auf Kleinigkeiten achten, die einem mit Smartphone entgangen wären. Tag 6: (Achtung, jetzt kommt‘s!) Einen Topf Wasser aufsetzen und zuschauen, wie es zum Kochen kommt.
Oder einfach die Sabbatruhe halten, würde der jüdische Theologe sagen. Und ich sage meinen Schülern: Probiert doch einfach mal so eine Auszeit vom Smartphone. Vielleicht an einem Sonntag.