Der Evangelist Matthäus lässt die Erde beben, zwei Mal. Nachdem Jesus mit einem letzten wortlosen Schrei am Kreuz gestorben ist, zerreißt der Vorhang im Tempel in zwei Stücke. Und die Erde erbebt, Felsen zerspringen (Matth. 27, 51). Die Wucht des Sterbens Jesu verlangt offenbar nach einem lauten Widerhall in der Außenwelt. Auch die aufgewühlten Seelen der Seinen sollen sich in einem solchen Naturereignis widerspiegeln.
Am Ostermorgen kommen Maria Magdalena und „die andere Maria“ zu dem Felsengrab, in das man den Leichnam Jesu gelegt hat. Und erneut bebt die Erde. Ein Engel kommt vom Himmel herab „wie der Blitz“ und wälzt den Stein weg vom Grab. Auch die Wachsoldaten erbeben, „aus Furcht vor ihm“, und erstarren dann (Matth. 28, 1-4). Offenbar verlangt auch die Auferstehung Jesu nach dem krachenden Naturereignis. Ebenso zeigt sich darin das innere Erleben der Seinen, ihre „Furcht und große Freude“ (Vers 8).
Ein guter Platz
Zwischen diesen beiden Ereignissen herrscht Stille. Zwischen diesen beiden Tagen liegt der Schabbat. Zwischen Karfreitag und Ostern liegt der Karsamstag. Klar, der heißt auch Ostersamstag und gestaltet sich bei den meisten entsprechend geschäftig und auch vorfreudig. Das gehört dazu.
Trotzdem, es hat etwas, sich da mal eine gewisse Auszeit zu nehmen, sich die Zwischenzeit zu gönnen. Das ist ja auch sonst im Leben von Tag zu Tag eine gute Sache, richtig heilsam manchmal. Am Karsamstag kann daraus eine besondere Phase werden, eine qualifizierte Zwischenzeit sozusagen. Zwischen Karfreitag und Ostern können tiefergehende Gedanken und Emotionen einen guten Platz finden.
Ostern, das Hauptereignis
In John Irvings Roman „Owen Meany“ denkt die eine der beiden Hauptfiguren, John Wheelwright, während eines Gottesdienstes am Palmsonntag die folgenden Sätze: „Die Karwoche ist für mich eine äußerst anstrengende Angelegenheit; wie oft ich auch die Kreuzigung unseres Herrn bereits erlebt habe, ist meine Sorge um seine Auferstehung doch nach wie vor unvermindert – mich packt das Grauen bei der Vorstellung, dass sie dieses Jahr nicht stattfinden könnte; dass sie in jenem Jahr nicht stattgefunden hat. Bei der Geburt des Erlösers kann jedermann sentimental werden; jeder Idiot kann sich an Weihnachten als Christ fühlen. Aber Ostern ist das Hauptereignis…“1
Die Abfolge der Feiertage im Kirchenjahr ist klar; ebenso die der biblischen Erzählungen, die mit ihnen verbunden sind. Aber dass es Ostern wird in mir, das ist nicht selbstverständlich. Dass das bezeugte Großereignis heute in mein kleines Leben kommt, ist nicht ausgemacht. Deshalb die „Sorge um die Auferstehung“.
Gemeinsame Zwischenzeit
Wer diese Sorge kennt und sie teilt, wird in der Zwischenzeit des Karsamstags momentweise stark mit ihr beschäftigt sein. Und für viele verbindet sich damit das Bedürfnis, die Zwischenzeit zusammen mit anderen zu erleben und sie zu gestalten. Das geschieht in der Feier der Osternacht. Manche erleben deren ganze Atmosphäre und besonders das Kerzenlicht, auch die Worte und Klänge als ihr persönliches Highlight im Kirchenjahr. Und von daher würden sie einer recht steilen Aussage sicher ganz leichtfüßig zustimmen: „Ostern ist das Hauptereignis.“
Ohne Karfreitag kein Ostern. Das ist banal und zugleich fundamental. Und die kleine Schwester oder der kleine Bruder dieses großen Satzes sagt: Ohne Karsamstag kein Ostern. Es braucht diese heilige Zwischenzeit. Damit die Seele nachkommen kann; und mitgehen kann „aus Knechtschaft zur Befreiung, aus Kummer zur Freude, aus Dunkel zum Licht“.
In dieser herausgehobenen Zwischenzeit verdichtet sich, was auch sonst oft geschieht in einer Auszeit, die man sich gönnt, oder auch in einer Zwischenzeit, in die man gerät. Wie war das: Tiefergehende Gedanken und Emotionen können darin einen guten Platz finden. Man spürt das Leben. Und man kann oft noch mehr spüren: wie sich etwas verändert; wie man sich selbst verändert. Größer gedacht heißt das: Verwandlung.
(1) John Irving, Owen Meany, Diogenes Verlag, Zürich 1990, S. 391.