Wer bestimmt meinen Wert?
aus der Martinskirche/Evangelische Kirchengemeinde Roßfeld-Crailsheim - mit Pfarrer Jacob Wahl
11.08.2024 10:05

I
Es sind – zumindest hier bei uns in Baden-Württemberg – Sommerferien. Wer in diesen Tagen einen Schulhof betritt, findet sich an einem einsamen, menschenleeren Ort vor.

Ein neugieriger Blick durch ein Klassenzimmerfenster: Nur Whiteboard, Tafel und die aufgestuhlten Tischreihen lassen erahnen, was hier die meiste Zeit des Jahres vor sich geht.

Junge Menschen besuchen Unterrichtsstunden, bereiten Klassenarbeiten oder Präsentationen vor, strengen sich für gute Noten an. Aber nicht nur das: Sie treffen ihre Freunde, verlieben sich, sie essen und trinken gemeinsam, haben Streit, suchen nach Anerkennung – kurzum: Die Schule ist für sie nicht nur ein Ort zum Lernen, sondern auch zum Leben.

Gerade in Zeiten der Ganztagesschule verbringen junge Menschen einen Großteil ihrer Lebenszeit in der Schule.

Wann fühlt sich ihr Leben in der Schule gut an? Wann fühlen sie sich wahrgenommen, angenommen und wertgeschätzt? Wir haben nachgefragt.

II:
Schüler*innen kommen zu Wort

 "Ein Lehrer muss wenig Hausaufgaben geben." "Ich fühl mich wohl, wenn ich mit meinen Freunden zusammenarbeiten kann." "Ich würde mich wohlfühlen, wenn ein Lehrer den Schülern Süßigkeiten mitbringt." "dass alle leise sind." "dass der Lehrer nicht so streng zu mir ist." "ich fühl mich gut, wenn Ferien sind." "Ich wünsch mir, dass der Lehrer nett zu mir ist."

III
Manchmal können Schüler*innen ganz schön forsch sein, wenn’s drum geht, was sie sich für ihren Alltag in der Schule wünschen. Sie wollen mit ihren Bedürfnissen gesehen und gehört werden – und, dass nicht immer alles todernst ist, sondern dass auch die schönen und ungezwungenen Seiten des Lebens nicht zu kurz kommen.

F: Wahrscheinlich möchte kein Lehrer/keine Lehrerin die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler komplett ignorieren. Gibt’s eine Grenze…?
A: In der Tat freut man sich auch, wenn Schüler*innen Bedürfnisse äußern; Dilemma besteht im Einbeziehen der Schüler*innen im Gegensatz zum Lehrplan – der Bildungsplan gibt einen Rahmen dessen vor, was erreicht werden muss.

F: Die Schule ist leistungsorientiert. Leidet man da als Lehrer*in auch mal drunter?
A: Bildungsplan vereinheitlicht die Leistungen (muss einerseits sein, verschleiert aber auch Unterschiede). Hinzu kommen Ergebnisse der PISA-Studien, die einen manchmal ratlos zurücklassen …

F: Umgekehrt regt man sich vielleicht manchmal auch auf, wenn Schüler*innen keine Leistung bringen wollen oder können… Übersieht man dann leicht, was Schüler*innen außerhalb dessen, was gefordert, ist können und sind?
A: Die Gefahr besteht, vor allem wenn Druck von außen dazukommt. Insgesamt gelingt bei einem guten Zusammenleben eigentlich immer, die Schüler*innen auch persönlich wahrzunehmen…

F: Wie zeigen Sie Ihren Schüler*innen Wertschätzung, unabhängig von Leistung?
A: Bei der Unterrichtsvorbereitung Versuch, die Schüler*innen individuell zu berücksichtigen – Vorurteil: Ihr Lehrer macht immer dasselbe und müsst die Unterrichtsstunden nur jedes Jahr neu aus dem Archiv holen – stattdessen ist es das, was den Lehrer*inberuf so spannend, abwechslungsreich und damit auch kurzweilig macht: Bei der Unterrichtsvorbereitung immer wieder die Interessen und Fähigkeiten der konkreten Schüler*innen vor Augen zu haben.

Wie das ist mit Leistung und gleichzeitig jeder einzelnen, jedem einzelnen gerecht werden, das ist auch ein großes Thema in der Bibel. Darum geht es nach dem Lied, das wir jetzt singen: "Da wohnt ein Sehen tief in uns".

IV
Als Pfarrer bin ich auch Religionslehrer.

Wenn ich in der Schule bin und dort unterrichte und Noten gebe, dann frage ich mich als Christ schon manchmal: Bringe ich den Kindern und Jugendlichen hier eigentlich das Richtige bei?

Geht es im Leben tatsächlich nur um gute Noten, darum, möglichst gut zu sein, sich möglichst anzustrengen und gute Leistungen zu bringen? So kann es einem manchmal vorkommen im Schulalltag.

Worauf kommt es wirklich an im Leben?

Die Frage, ob Leistung alles ist, was zählt, bewegt die Menschen schon lange.

Und wahrscheinlich gibt es genauso lange schon die Vermutung, dass es da noch mehr gibt – und dass wir Menschen auch unabhängig von unserer Leistung wichtig und wertvoll sind.

Auch das Neue Testament stellt sich diese Frage. Jesus hatte den Alltag der Menschen herausgefordert. Er begegnete Menschen an erster Stelle so, wie sie sind: mit ihren Stärken und Schwächen, mit ihren Fehlern und sogar mit ihrer Schuld. Genau das haben wir in der Schriftlesung gehört. Da ist nicht derjenige gerecht, der alles dafür geleistet hat, anerkannt zu werden. Sondern gerade der, der genau weiß, dass er nach menschlichen Maßstäben nicht genügt. Durch Jesus offene Art veränderte sich etwas bei den Menschen. Sie erlebten: Es tut gut, wenn jemand mehr sieht als meine vermeintlichen Erfolge oder Misserfolge.

Die ersten Christinnen und Christen entwickelten daraus ihren Glauben.

Sie vertrauten darauf: Bei Gott ist nicht entscheidend, was wir leisten. Gott bewertet nicht danach, wie gut wir uns an jede einzelne Vorschrift in Gottes Gesetz halten.

Wir können uns noch so anstrengen: Wir werden nie perfekt gerecht werden.

Paulus schreibt im Brief an die Galater im 2. Kapitel:

"Wir wissen:
Kein Mensch gilt vor Gott als gerecht,
weil er das Gesetz befolgt.
Als gerecht gilt man nur,
wenn man an Jesus Christus glaubt.
Deshalb kamen auch wir zum Glauben an Jesus Christus.
Denn durch diesen Glauben an Christus
werden wir vor Gott als gerecht gelten –
und nicht, weil wir tun, was das Gesetz vorschreibt.
Schließlich spricht Gott keinen Menschen
von seinen Sünden frei, weil er das Gesetz befolgt.
Nun wollen wir ja durch Christus
vor Gott als gerecht gelten.
Wenn sich nun aber zeigt,
dass wir trotz allem Sünder sind –
was bedeutet das dann?
Auf gar keinen Fall bedeutet es,
dass Christus die Sünde auch noch fördert!
Ich lebe nicht mehr selbst,
sondern Christus lebt in mir.
Zwar lebe ich noch in dieser Welt,
aber ich lebe im Glauben an den Sohn Gottes.
Er hat mir seine Liebe geschenkt
und sein Leben für mich hingegeben.
Ich weise die Gnade nicht zurück,
die Gott uns erweist."

Der Apostel Paulus glaubt fest: Durch meine Taten bin ich vor Gott nicht besser. Sondern ich bin darauf angewiesen, auf seine Gnade zu vertrauen.

Diese Gnade – also die Annahme, die jedem Menschen gilt, unabhängig von seiner Leistung – wollten die ersten Christinnen und Christen auch im täglichen Miteinander leben. Nicht als eine Art "neues Gesetz", sondern im Bewusstsein, dass Gottes liebende Gnade jedem einzelnen geschenkt ist. Gnade – ich finde das schwer zu fassen. Vielleicht fühlt es sich ein bisschen an wie Gnade, wenn der Lehrer mal Süßigkeiten in die Schule mitbringt. Oder wenn die Schülerin zusammen mit ihren Freunden zusammenarbeiten kann. Oder…. (hier Beispiel aus dem Gespräch mit einbringen)

Gottes Gnade ist noch viel größer als diese kleinen Gnadenmomente aus der Schule. Die ersten Christinnen und Christen haben versucht, ihr ganzes Leben danach zu gestalten: Dass Gott sie so liebt, wie sie sind. Ohne auf Leistungen zu schauen. Das ist ihnen vielleicht nicht immer, aber doch ziemlich oft gelungen.

Denn nur so erklärt sich mir, dass der Glaube an Christus so eine ungeheure Anziehungskraft auf viele Menschen hatte. Bei Gott darfst du sein, wie du bist. Und du kannst entdecken, was du werden kannst, was alles in dir steckt an Gutem, an Begabungen. Das erleichtert und befreit. Wir können versuchen, danach zu leben. Zum Beispiel, aber nicht nur in der Schule.

Amen.

Es gilt das gesprochene Wort.

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