Das Wort zum Sonntag: "Die Wurzel Jesse – ein starkes Symbol im Advent"
Pfarrer Michael Broch
26.11.2011 22:25

"Von nichts kommt nichts" – mit diesem Spruch bin ich vorsichtig. Seit meine Großmutter einen Besenstiel in die Erde gesteckt hatte, aus dem nach einiger Zeit ein grünes Blatt herausgewachsen ist. Ich war damals ein kleiner Bub. Meine Familie wohnte bei den Großeltern in Ulm. Ich habe den großen Balkon noch vor Augen, auf dem meine Oma mit ihrem "grünen Daumen" so allerhand experimentierte. So auch das mit dem Besenstil, aus dem ein grünes Blatt herausgewachsen ist

"Das gibt es doch nicht!" – dachte ich damals, und ich denke noch heute daran, wenn in den Gottesdiensten im Advent dieser Text vom Propheten Jesaja im Alten Testament zu hören ist:

"Aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht." (Jesaja 11,1-16) – Mein Studienkollege Siger Köder hat sich mit seiner Darstellung davon inspirieren lassen.

Es ist ein schönes Bild, das der Prophet Jesaja vor über zweieinhalbtausend Jahren gezeichnet hat. Und Jesaja hat weiter gemalt: Gott entscheidet sich für die Armen und Hilflosen im Land. Man tut nichts Böses und niemand begeht mehr ein Verbrechen. Wolf und Lamm, Panther, Kuh und Bärin wohnen beieinander. Der Löwe frisst Stroh, und der Säugling spielt vor der Höhle der Schlange.

Wunderschöne Bilder! Aber das gibt es doch nicht.

Was Jesaja hier zeichnet, sind Bilder einer heilen Welt, einer geheilten Welt, wie sie Gott im Blick hat: Eine geheilte menschliche Gemeinschaft, in der sich jeder erwünscht und angenommen wissen darf. Eine Welt, in der Frieden und Gerechtigkeit das Sagen haben. Eine Schöpfung, in der man nicht mehr aufeinander los geht, sondern zueinander findet. Zu schön, um wahr zu sein? Angesichts einer Welt, in der nicht nur in Ostafrika Kinder verhungern; in der es bei Katastrophen und Krisen immer die Ärmsten der Armen trifft; in der selbst bei uns – in einem reichen Land – immer mehr Menschen durch Armut ins gesellschaftliche Abseits gedrängt werden.

Trotzdem gibt es zu allen Zeiten Menschen, die an solche Wunder glauben. Die Gott zutrauen, dass für ihn Menschenunmögliches möglich ist. Dass er aus dem Nichts Leben erstehen, aus Krieg Frieden und aus dem Tod neues Leben auferstehen lässt.

Ich glaube, die Vision des Propheten Jesaja von Gottes neuer Welt, dieses wunderbare Friedensbild, kann schon jetzt aufleuchten, spürbar werden, wirklich werden.

Ein Wunder biblischen Ausmaßes ist für mich nach wie vor die friedlich und unblutig verlaufene Einheit Deutschlands. Ahnungen vom Reich Gottes spüre ich in der neuen Wertschätzung vieler für Tiere und Natur. Und das hat es so auch nicht immer gegeben: Viele, vor allem auch junge Menschen sind bereit, sich für andere zu engagieren. Stichwort: Ehrenamt und Freiwilliges Soziales Jahr – bei uns und in den Armenhäusern der Welt. Auch im ganz persönlichen Bereich lassen sich Spuren einer geheilten Welt finden. Zum Beispiel, dass ich mich mit einem mir unliebsamen Zeitgenossen ausgesprochen habe und wir seither recht gut miteinander auskommen. Und so kann vielleicht doch aus einem Besenstil ein grünes Blatt wachsen, was niemand erwartet hat.

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