Das Wort zum Sonntag: "Elend in der Welt"
Pfarrer Michael Broch
03.12.2011 21:30

"Du siehst gar nicht so aus, als ob du dich auf Weihnachten freuen würdest" – mit dieser spitzen Bemerkung hat mich ein Kollege genervt. "Rede du nur" – hab ich mir gedacht und bin weiter gegangen.

Erstens kann ich mich nicht auf Knopfdruck freuen. Zweitens ist es noch eine Weile hin bis Weihnachten. Und überhaupt: Worüber soll ich mich denn freuen? Ich denke an dieses Jahr: an das Erdbeben und die Atomkatastrophe in Fukushima; an die Hungersnot in Ostafrika. Freuen soll ich mich – aber worüber? Ich denke über meine kriesengeschüttelte Katholische Kirche nach und an die überfälligen grundlegenden Reformen im Geiste Jesu Christi. Freuen soll ich mich – aber worüber? Ich denke an die eigenen Grenzen, die gesundheitlichen und die psychischen.

Hoffentlich können Sie sich – wie ich auch – über positive und schöne Erfahrungen freuen. Ich freue mich über die Geburt eines Kindes in der Familie eines guten Freundes. Ich freue mich, dass junge Leute Kontakt zu mir suchen. Ich freue mich auch, dass ich mit 68 Jahren meinen Beruf nach wie vor gerne mache. Trotzdem möchte ich mir keine heile, vorweihnachtlich stimmungsvolle Welt vorgaukeln.

Ein Text aus der Bibel hilft mir, die fernen und die nahen Zumutungen des Lebens besser auszuhalten. Es ist ein Wort des Propheten Jesaja im Alten Testament (62,4-5):

"Der Herr hat an dir seine Freude –
so freut sich dein Gott über dich!"
Was für eine wunderbare Botschaft! Wenn da nicht gleich die Zweifel kämen: Ist das nicht der blanke Hohn? Angesichts all der persönlichen und politischen Katastrophen, angesichts der Naturkatastrophen, in denen es meistens immer die Armen trifft. Wo ist da Gott? Und seine Freude an uns Menschen? Danach gefragt bin ich eher hilflos und sprachlos, als dass ich eine Antwort wüßte.

Und doch bleibe ich an diesem ungewohnten Gedanken hängen:

"Der Herr hat an dir seine Freude –
so freut sich dein Gott über dich!"

Warum soll sich Gott an uns freuen? Ich glaube: Weil ihm alles an uns liegt. Weil er in Freud und Leid bei uns sein möchte. Weil er will, dass unser Leben letztendlich gelingt und uns nichts und niemand von seiner Liebe trennen kann.

Dass Gott das nicht fern vom Himmel aus will, sondern ganz nah bei uns – das hat er durch Jesus wissen und spüren lassen. Jesus hat sich demonstrativ an die Seite derer gestellt, die damals nichts zu sagen hatten: Frauen und Kinder. Und es sind ihm diejenigen besonders am Herzen gelegen, die man gesellschaftlich und religiös ausgegrenzt hatte: Kranke und Bettler.

Dass sich Gott so über uns Menschen freut, das gibt mir die Hoffnung, dass auch ich letztlich nicht ins Bodenlose falle, sondern gehalten bin. Auch dann, wenn ich nach wie vor vieles nicht begreife.

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