Das Wort zum Sonntag: "Brüche"
Pfarrer Ulrich Haag
10.12.2011 21:25

Mein schönstes Weihnachtsgeschenk habe ich dieses Jahr schon bekommen. Das war der Moment, als meine Kinder mir versprochen haben, Papa, am 2.Weihnachtstag kommen wir zu dir. Nach der Trennung von meiner Frau hatte ich Angst, dass die Beziehung zwischen den Kindern und mir zerbrechen könnte. Nun bin ich erleichtert und freue mich, dass die beiden mich in meinem neuen Zuhause besuchen.

Scheidungsgeschichten und familiäre Brüche habe ich früher immer nach Kräften ignoriert. Weihnachten ist Weihnachten und da machen wir es uns schön. Warum ist das für andere immer so kompliziert? Seit ich selbst betroffen bin, weiß ich warum. Ich verstehe plötzlich, warum der Kollege seine freie Woche nach Weihnachten so vehement verteidigt. Es ist die Zeit, in der er gemeinsam mit seinen Kindern in Urlaub fahren kann – auch er ist getrennt lebend. Ich verstehe, warum meine ehemalige Schulkameradin Vera und ihr Mann die halbe Adventszeit am Telefon verbringen. Um sie herum liegen gleich drei Familien miteinander im Zwist. Nach dem Streit um das Erbe der Mutter sind sich Geschwister und Partner spinnefeind. Nur Vera und ihr Mann verstehen sich noch mit allen und wollen jeden irgendwie zufrieden stellen. Doch das ist eine Aufgabe für sich.

Wer feiert Weihnachten wann mit wem? Da geht es nicht nur darum, ein halbes Dutzend Termine in die richtige Reihe zu bringen. Damit ist Sehnsucht verbunden, die Sehnsucht, irgendwo dazu zu gehören. Die Angst, andere ungewollt zu kränken. Die Befürchtung, dass mir Heiligabend das Lied Stille Nacht im Hals stecken bleibt. Dass es für mich nicht still wird, nicht wirklich Weihnachten werden kann, bei dem Beziehungschaos, in dem ich stecke.

Der erste Mann, der sich auf Weihnachten vorbereitet hat, also auf die Geburt des Kindes, des Jesuskindes – war Josef. Und der hat auch mit familiären Brüchen zu kämpfen gehabt. Die junge Frau, mit der er verlobt ist, erwartet ein Kind. Aber er hat sie doch gar nicht angerührt! Josef fühlt sich plötzlich überzählig und furchtbar allein. Er will seine Verlobte verlassen. Da erteilt ihm ein Engel den Befehl zu bleiben. Er wird gebraucht. Gefragt wird er nicht. Also schweigt er und bleibt. Die Spannungen werden dadurch nicht geringer. Und zum Vater des Kindes wird er dadurch auch nicht.

Hätte Gott seinen Sohn nicht in geordneten Verhältnissen großwerden lassen können? Er hätte gewiss eine geeignete Familie gefunden. Aber darauf kommt es ihm nicht an. Er entscheidet sich für die beiden, die uns später als Maria und Josef lieb geworden sind. Vielleicht gerade weil sie von Anfang an mit Widerständen zu kämpfen hatten. Mitten in all dem ungeklärten und gefährdeten kommt das Kind zur Welt. Kommt der zur Welt, der alle Brüche heilt. Auch meine. Ich muss ihn nur lassen. Für mich war das der erste Schritt: Loslassen. Irgendwann habe ich aufgehört, krampfhaft selber zu kitten, was ich gar nicht kitten konnte. Ich habe es losgelassen und in die Hände dessen gelegt, der alles zusammenbringen kann. Und ganz allmählich ist etwas gewachsen, wo vorher nur Scherben lagen.

Das Kind, dass alle Brüche heilt – ich glaube daran, dass es zu allen kommen will um uns zu helfen, loszulassen und auf Gott zu vertrauen, der Neues wachsen lassen will.

Ihnen allen einen guten Abend und eine gesegnete Adventszeit.

Sendeort und Mitwirkende

(WDR)
Pfarrerin Petra Schulze

Die evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR
Kaiserswerther Straße 450
40474 Düsseldorf
Fax: 0211/ 45 30 430
schulze@rundfunkreferat-nrw.de

 

Redaktion: Martin Blachmann (WDR)