Das Wort zum Sonntag: "Demut vor der Schöpfung"
Pastorin Nora Steen
11.02.2012 22:10

Es ist still geworden. Die Kälte hat hier oben an der Küste das ganze Leben verändert. Der Hafen in Neuharlingersiel ist zugefroren und die Fähre nach Spiekeroog hat ihren Betrieb eingestellt. Trotzdem ist es schön hier. Gerade jetzt, im Winter. Ja, schön ist es wirklich hier. Aber die Kälte hat eben auch ihre Schattenseiten: Die Fischer hier im Hafen müssen ziemlich darum bemüht sein, ihre Kutter vom Eis frei zu halten. Und das kann mitunter schon mal ganz schön gefährlich werden.

 

Die hier oben an der Küste leben wissen: Die Natur beherrscht den Menschen – und nicht umgekehrt. Der Tag ist also gegliedert von Ebbe und Flut, von den Stürmen, von Regen und wie jetzt vom Eis. Hier auf dem Kutter hängt ein Holzschild. Darauf steht: „Gott mit uns“. Die Fischer wissen eben ziemlich genau, dass es auf hoher See ganz schön gefährliche Situationen geben kann.

 

Die extreme Kältewelle in Europa zeigt auch uns wieder einmal, wie wenig wir unser Leben selbst in der Hand haben. Naturgewalten weisen uns in die Schranken. Sie zeigen uns: Wir sind Teil der Natur und im Guten wie im Schlechten von ihr abhängig. Das Bewusstsein dafür hat sich durch ein Jahrhundert des technischen Fortschritts leider ziemlich verflüchtigt. Besonders bei uns in den Industriestaaten. Ob das nun die Bekämpfung von Krankheiten ist oder einfach die gute Isolierung unserer Wohnungen und Häuser. Wir haben ja wirklich Vieles erreicht und Vieles auch zum Guten. Aber dann und wann werden eben auch die Grenzen der Beherrschbarkeit aufgezeigt – wie jetzt in diesen Tagen. Und das merken dann die besonders, die direkt in der Natur arbeiten – wie hier in Neuharlingersiel die Fischer.

 

Die Kälte ist eine Lektion der Demut vor der Natur. Eine Lektion darin, Demut zu haben vor der Schöpfung und dem Schöpfer. In der Bibel hat ein Psalmbeter gute Worte dafür gefunden. Er schreibt: „Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter. Da ist das Meer, das so groß und weit ist, da wimmelt’s ohne Zahl, große und kleine Tiere. Es warten alle auf dich, dass du ihnen Speise gebest zur rechten Zeit.“

 

Gerade hier und heute, an diesem so einem klirrend kalten Wintertag, berührt mich das besonders, dieses großartige Lob der Schöpfung. Ja, ich sehe diese herbe Schönheit der Natur. Und weiß zugleich, dass ich ihr als einzelner Mensch vollkommen unterlegen bin. Gott dagegen ist größer als alles, was ich mir vorstellen kann. Er ist es, der mir zumutet, alles aus seiner Hand zu nehmen, also sowohl die guten als auch die schrecklichen Seiten. Das ganze Leben eben. Nicht nur die Schokoladenseiten. Diese Schönheit hier und die Gegenseite der Kälte, das gehört eben zusammen.

 

Hier an der See kann ich einfach loslassen, weil ich spüre: Das Leben ist sowieso größer als ich. Also kann ich einfach nur das sein, wozu ich geschaffen bin: Ein Mensch. Begabt zu vielem. Mit ungeheuren Möglichkeiten. Und gleichzeitig zerbrechlich geborgen in Gottes Hand.

Sendeort und Mitwirkende

 

(NDR)
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