Das Wort zum Sonntag: "Rechts und Links"
Pfarrer Stefan Claaß
10.11.2012 21:55

Als Vater von zwei Töchtern habe ich an vielen Sankt Martinszügen teilgenommen. Und ich habe es genossen. Die Geschichte von Sankt Martin ist wunderbar einfach und klar. Ein Bettler brauchte seine Hilfe und Martin hatte einen Mantel, der groß genug war zum Teilen. Und er hat seinen Mantel wirklich geteilt – nicht nur ein kleines Zipfelchen am Rand abgeschnitten und vom hohen Ross heruntergereicht. Aber was hätte Martin eigentlich gemacht, wenn er gleich darauf einen zweiten Bettler getroffen hätte und einen dritten? Hätte er seinen Mantel dann geviertelt und geachtelt? Hätte er irgendwann gesagt: Tut mir leid, jetzt friere ich selber?

 

Wenn ich heute durch die Fußgängerzonen gehe, dann habe ich gleich fünf Hilfsbedürftige in einer Reihe sitzend. Soll ich einem von ihnen oder allen etwas in den Pappbecher werfen? Weiß ich, was dieser Mensch mit dem Geld macht? Trägt er es zum nächsten Dealer oder muss er es womöglich seinem Bandenchef abliefern? Soll ich überhaupt noch etwas geben? In meinem Briefkasten liegen schon seit Wochen Spendenaufrufe für verschiedenste Aktionen. Sind die seriös? Wie soll ich entscheiden?

 

Neulich wollte jemand im Frankfurter Hauptbahnhof einen Euro von mir und ich habe ihn stattdessen zu einem kleinen Mittagessen eingeladen. Das hat mich 9 Euro statt 1 gekostet. Aber es war interessant. Wir haben uns eine Weile unterhalten und sind dann unserer Wege gegangen. Es war eine spontane Entscheidung mit links. Denn in dem inneren Ringen beim Spenden entdecke ich immer wieder, dass ich zwei Hände, zwei Seiten habe.

Die linke Hand steht für die gefühlsbetonte, spontane Seite. Die linke Hand kommt von Herzen und gibt nach Lust und Laune. Die andere, die rechte Hand steht für unser bewusstes Leben, für unsere Entscheidungen, die wir mit Bedacht treffen. Diese Hand blättert in den Spendenbriefen und sucht im Computer, ob die angepriesene Aktion das geprüfte Vertrauenssiegel aufweist. Und dann schreibt die rechte Hand eine Überweisung oder tippt eine SMS. Oder auch nicht.

 

Es gibt aber eine Voraussetzung, die für beide Hände gilt. Als der Apostel Paulus Spenden gesammelt hat für die Gemeinde in Jerusalem, da hat er allen ins Stammbuch geschrieben: "Jeder soll geben, wie er sich´s im Herzen vorgenommen hat, aber nicht unwillig oder gezwungen. Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb."

 

Deswegen hat mir der St. Martin am besten gefallen, den ich im letzten Jahr erlebt habe. Er ist vom Pferd abgestiegen, hat seinen Mantel geteilt – und hat dabei gelächelt. Schauen Sie fröhlich, aber genau hin und überlegen Sie gut, wie Sie mit rechts geben wollen. Und genießen Sie die unüberlegten spontanen Hilfsaktionen mit links. Mit besten Grüßen an alle Linkshänder, an alle, die Martin heißen oder wie Martin Luther heute Geburtstag haben.

Sendeort und Mitwirkende

Redaktion: Ute-Beatrix Giebel (SWR)