Das Wort zum Sonntag: "Was die Welt verändert"
Pfarrer Gereon Alter
12.01.2013 22:25

Was meinen Sie? Wenn die FDP eine neue Parteispitze hat, sind dann all die Querelen der vergangenen Tage vergessen? – Und wenn die Amerikaner ihr neues Waffengesetz haben, wird es dann keine Amokläufe mehr geben? – Und den Frauen in Indien, wird es denen allein dadurch besser gehen, dass die Täter der schrecklichen Vergewaltigung gefasst sind und nun wohl eine harte Strafe bekommen? – Ich bin da skeptisch.

 

Aber genau das fordern viele: dass mit einem Male alles besser wird. All die Konflikte, das Unrecht und die Gewalt sollen von jetzt auf gleich verschwinden. "Ad-hoc-Katharsis" hat das kürzlich ein Journalist genannt: "Klärung / Reinigung hier und jetzt!".

 

Dass Menschen diesen Wunsch in sich tragen, verstehe ich gut. Schließlich sehnen wir uns nach einer guten und heilen Welt. Aber dass es mit einem Mal und mit nur einer Tat so wird: das ist doch eine Illusion. Da muss ich nur auf meine guten Vorsätze zu Beginn des neuen Jahres schauen: je größer sie waren, umso schneller sind sie mir wieder aus dem Blick geraten. Die große Veränderung hier und jetzt gelingt uns doch – seien wir doch ehrlich – nur in den seltensten Fällen.

 

Es sind die kleinen Schritte, die zum Ziel führen. Das muss ich selbst immer wieder lernen. Und das gilt meines Erachtens auch für die Bewältigung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen. Nehmen Sie die Wiedervereinigung Deutschlands: sie ist doch nur deshalb gelungen, weil Menschen über lange Zeit und mit viel Geduld kleine Schritte gegangen sind. Oder die Apardheid in Südafrika: sie gehört doch nur deshalb der Vergangenheit an, weil sich Menschen tagein tagaus für ein anderes Miteinander eingesetzt haben. Und so wird sich auch an der Kommunikationskultur der FDP, an der Waffenvernarrtheit der Amerikaner und an der Unterdrückung der Frauen in Indien nur etwas ändern, wenn Menschen bereit sind, jeden Tag etwas dafür zu tun. Ein Machtwort allein, ein Gesetz allein oder ein Exempel allein bewirkt da wenig. Es braucht Geduld, Verbindlichkeit und eben viele kleine Schritte.

 

In der christlichen Tradition hat dieses Wissen schon immer eine große Rolle gespielt. Der heilige Ignatius von Loyola, ein guter Kenner der menschlichen Seele, hat deshalb empfohlen, wenigstens einmal am Tag innezuhalten und diese kleinen, aber so wichtigen Schritte bewusst wahrzunehmen. „Das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit“ hat er diese kleine Übung genannt. Mit einem liebevollen Blick auf das schauen, was mir heute gut gelungen ist. Darum geht es bei dieser Übung. Nicht um das, was ich nicht geschafft habe oder was ich hätte besser machen können oder gar was andere hätten machen sollen, sondern um die kleinen Schritte, die mir an diesem Tag gelungen sind.

 

Denn genau so schaut Gott auf uns, sagt Ignatius. Nicht als ein dauernd Fordernder und uns mit hehren Idealen Überfordernder, sondern als einer, der das Gute in uns sieht und uns darin bestärken will.  – Je häufiger ich diese kleine Übung mache, umso mehr verändert sie mich. Ich werde aufmerksamer. Ich werde konkreter. Und was ich tue, ist geerdeter.

 

Was meinen Sie? Könnte das nicht die ersehnten Veränderungen bringen? Nicht die große Geste und die laute Forderung, nicht das harte Exempel und das schnell gestrickte Gesetz, sondern die Beharrlichkeit der kleinen Schritte und eine liebende Aufmerksamkeit für sie.

Sendeort und Mitwirkende