Das Wort zum Sonntag: "Schöne Fassade"
Pastorin Annette Behnken
26.01.2013 22:40

Guten Abend. Ich bin neu, ich spreche zum ersten Mal das Wort zum Sonntag. Das heißt, die meisten von ihnen kennen mich noch nicht. Und während ich jetzt das erste Mal sozusagen zu Ihnen ins Wohnzimmer komme, machen Sie sich ein Bild von mir. Wie von jedem Menschen, den Sie neu kennenlernen. Find ich die sympathisch? Find ich sie glaubwürdig? Wie alt ist sie wohl? Das macht jeder - innerhalb von Sekundenbruchteilen. Ein urmenschliches Verhalten. Und ich -  ich werde versuchen, Ihren ersten Eindruck zu beeinflussen. Damit Sie ein möglichst gutes Bild von mir bekommen. Allerdings kann es sein, dass dieses Bild am Ende gar nicht so viel mit mir zu tun hat.

 

###f03###Ob im Fernsehen, bei facebook oder in Klatsch-Magazinen - ob bei den  Nachbarn, im Freundeskreis oder bei der Arbeit: Die meisten Menschen möchten gut dastehen. Eine aktuelle Studie belegt es auch gerade: Die meisten facebook-Nutzer zeigen nur die schönen Seiten ihres Lebens. Den tollen Abend mit Freunden, ein ganz wunderbares Konzert oder spektakuläre Bilder vom letzten Urlaub. Man kann ein Bild vom eigenen Leben malen, in den schönsten Farben.

Das supergelungene Projekt bei der Arbeit - das kommt rein ins Bild. Was aber nicht ins Bild passt, das soll im Verborgenen bleiben. Wie traurig und kaputt einer ist, wie sehr die Sorge ums Geld drückt oder wie viele Gläser Wein es dann wirklich jeden Abend sind - das bleibt lieber hinter der Fassade.

 

Manche Dinge kann man aber ja gar nicht verbergen. Dass ich mir die Hand verletzt habe,  das haben Sie wahrscheinlich sofort gesehen. Ich war ungeschickt und  habe kochendes Wasser verschüttet. Jetzt wird es ein paar Wochen dauern, bis meine Haut wieder geheilt ist. Meine Fassade hat heute Abend also schon einen Riss, wenn auch nur einen ganz kleinen. Wenn die Fassade, die jemand um sich herum aufgebaut hat, bröckelt, dann wird der Mensch dahinter sichtbar. Mit allem, was auch noch zu ihm dazu gehört. Verletzt-sein. Oder sogar: Gescheitert-Sein. Normalerweise finden wir es peinlich, wenn jemand uns hinter die Fassade blickt und wir tun eine Menge, damit der Schein gewahrt bleibt. Aber irgendwann wird es eng. Wie ein Korsett, das mir den Atem abschnürt. Und ohne Atem kein Leben.

 

Ich habe vorhin so selbstverständlich gesagt: Ich möchte, dass Sie ein möglichst gutes Bild von mir bekommen. Aber ist das wirklich richtig? Es klappt ja schließlich gar nicht. Zum Glück - denn so eine Fassade kann zum Gefängnis werden. Narrenfreiheit - das finde ich eine sehr schöne Alternative zur Fassade. Der Narr versteckt sich nicht hinter einer glänzenden Fassade, im Gegenteil: er macht sich angreifbar, ganz freiwillig. Und gewinnt dadurch eine große Freiheit. Er nimmt sich Spielraum. Spielraum fürs Menschsein - so wie Gott sich ihn gedacht hat. In diesem Spielraum haben alle Seiten des Menschseins Platz, die schönen und die hässlichen. Und wie wunderbar ist es, zu erfahren, dass ich gerade so gemocht oder geliebt werde, mit allem, was zu mir gehört. Die Fassade zu öffnen, wenigstens zeitweise, dazu gehört Mut. Aber Gott hat uns als seinem Ebenbild  einen sehr kostbaren Kern mitgegeben. Und der braucht Raum und Freiheit zum Atmen. In so einer Freiheit, Narrenfreiheit möchte ich leben. Und ich möchte es sehen, bei anderen, was vor und was hinter der Fassade ist, den kostbaren Kern, den ganzen Menschen, mit all seiner Ernsthaftigkeit und all seiner Narretei. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.

 

Sendeort und Mitwirkende