Evangelischen Christuskirche Bad Vilbel
„Unterwegs Heimat finden“
Gottesdienst aus der Evang. Christuskirche Bad Vilbel
20.12.2015 09:05

Predigt

Stopp! Bis hierher ja. Aber nicht weiter. Das ist die Weihnachtsgeschichte. Und die möchte ich erst in vier Tagen hören.

Liebe Gemeinde, liebe Hörerinnen und Hörer: Alles hat seine Zeit. Advent ist Advent. Und Weihnachten ist Weihnachten. Beide sind angefüllt mit vertrauten Dingen. Und beide verbindet: Wir suchen Heimat – mehr als sonst im Jahr. Ich erlebe so was wie Heimat, wenn ich die geerbte Krippe aufstelle oder die geliebten Plätzchen nach den alten Rezepten backe. So entsteht für mich diese besondere adventliche Stimmung.

In der Adventszeit bin ich für Neues weniger offen als sonst. Vielleicht halte ich am Vertrauten fest, weil ich gerade jetzt mich nach Heimat sehne. Ich glaube: Danach sehnen sich viele in der Adventszeit.

Dieser Sehnsucht steht einiges entgegen. Wir haben die biblische Geschichte gehört: Maria und Josef mussten auf Befehl des römischen Kaisers losziehen, anstatt es sich zu Hause gemütlich zu machen.

Sowas befiehlt uns heute kein Kaiser mehr. Aber wir sind auch eine mobile Gesellschaft. Manchmal mehr, als einem lieb ist. Ein Freund drückt es so aus: „Ich werde am Ende meines Arbeitslebens vermutlich Jahre auf der Autobahn beim Pendeln und im Stau zugebracht haben. Was für eine Verschwendung meiner Lebenszeit.“

Mobilität wird also von vielen gefordert. Wie kann ich da Heimat finden?

Noch viel gravierender ist es, wenn es um eine Mobilität ganz anderer Art geht. Das erleben die Menschen, die flüchten mussten und müssen. Vor dem Krieg in Syrien oder vor der Militärdiktatur in Eritrea oder weil sie in ihren Herkunftsländern keine Perspektive haben. Rund zweihundert von ihnen (wird aktualisiert) leben in unserer Stadt. Wir als evangelische Gemeinde haben mit ihnen Kontakt und hören oft: „Ich hoffe, hier in Frieden und Sicherheit leben zu können – und vielleicht eine Arbeit zu finden“. Ob es gelingt, bleibt offen. Ihnen stellt sich erst recht die Frage: Wie kann ich Heimat finden?

Menschen brauchen Heimat und sehnen sich danach. Das ist nicht neu. Die Bibel erzählt oft davon. Zum Beispiel von Abraham. Mit ihm hat der Glaube an einen einzigen Gott angefangen. Er war schon alt, als Gott ihm aufgetragen hat, seine Heimatstadt zu verlassen. Gott hat ihm eigenes Land und Nachkommen versprochen. Aber Abraham musste dafür viel aufgeben. Wer seine Heimat aufgeben muss, geht ins Ungewisse. Auch er hat gefragt: Wie kann ich Heimat finden?

 

 

Was wäre gewesen, wenn Abraham gesagt hätte: „Warum soll ich alles hier aufgeben für eine ungewisse Zukunft? Hier bin ich sicher. Hier habe ich Freunde und Vertraute. Ich habe mir was aufgebaut. Reisen ist gefährlich. Wer weiß, ob es sich lohnen wird.

Und was wäre, wenn Paulus lieber zu Hause geblieben wäre? Paulus, der Apostel, der die Botschaft von Jesus Tod und Auferstehung zu vielen Völkern gebracht hat. Anstatt unermüdlich zu reisen, hätte er auch nur in einer Gemeinde seine Zelte aufschlagen und viel Gutes bewirken können. Nur: Wie hätte sich dann der Glaube an Jesus Christus ausbreiten können? Wie gut, dass Abraham und Paulus losgegangen sind!

Leben muss sich verändern, um lebendig zu bleiben. Für den Glauben gilt das ganz sicher. Sonst wird Heimat, zu eng, altbacken, unfrei. Die Bibel sagt: Nichts auf Erden ist ewig. Wenn ich ängstlich versuche, etwas unveränderlich zu bewahren, dann wird es leer. Das gilt auch für Adventsbräuche und Weihnachtsgewohnheiten, wenn abhandengekommen ist, was sie bedeuten und auf was sie hinweisen.

Leben und Glauben müssen sich immer wieder ändern, wenn Menschen nicht erstarren sollen. Das kann passieren, wenn bei ihnen die Angst gegenüber Neuem oder Fremden überhandnimmt. Das gibt es leider immer wieder.

Also: Man muss und darf sich ändern. Aber deshalb kann ich mir trotzdem wünschen, Heimat zu finden. Und fragen, wie ich das geht, ist erlaubt.

Beim Glauben gehört beides zusammen. Glaube lebt vom Gefühl und dem Vertrauen, Heimat zu finden. Glaube lebt aber auch davon, unterwegs zu sein.

Wie ging das bei Joseph und Maria? Die sind wahrscheinlich auch nicht einfach und sorglos losgegangen: „Nun gut, gehen wir halt nach Bethlehem.“ Maria ist schwanger! Eine solche Reise ist bedrohlich für Mutter wie Kind. Müsste man jetzt nicht gerade Rücksicht nehmen? Schone Dich, das ist der Ratschlag, den Maria überall hört. Aber wie soll man sich schonen auf einer solch abenteuerlichen Reise? Doch: Sie gehen. Sicher mit einem mulmigen Gefühl im Bauch. Aber sie gehen. Weil sie schon als Kinder gelernt haben. Gott ist mit seinen Menschen immer mitgegangen. Im Ausland war er dabei. In der Wüste. In der größten Not. Gott war nahe. Und darauf trauen sie auch jetzt.

Was bedeutet das für Sie und für mich, liebe Gemeinde, liebe Hörerinnen und Hörer?

 

 

Ich möchte gerne unterwegs sein und mich doch heimisch fühlen. In meinem Glauben gehört das zusammen. Weil Gott mitgeht. Er schenkt mir das Gefühl, beheimatet zu sein, egal wo ich bin. Ich glaube, dass er uns damit einen festen inneren Halt gibt. Gleichzeitig eröffnet er uns Neues. Wer innerlich gegründet ist, kann gelassen Veränderungen zulassen. Manchmal sogar selbst herbeiführen.

Aber wie fühlt sich das an? Wie trägt das im Alltag?

Ein erstes Beispiel sind die Christen und Christinnen aus der syrisch-orthodoxen Gemeinde hier vor Ort. Sie erzählen, wie wichtig für sie der Glaube gerade in der Fremde wurde. Viele mussten aus ihrer Heimat fliehen und haben alles zurückgelassen. Aber ihren Glauben haben sie mitgenommen. Das hat inneren Halt gegeben. Derzeit bauen sie eine Kirche. Sie sagen: „Mit dem Bau unserer neuen Kirche ….sind wir in Bad Vilbel angekommen und haben eine neue Heimat gefunden.“

Noch ein Beispiel, diesmal aus unserer Gemeinde. Da gehen einige Jugendliche nach der Schule für ein Jahr ins Ausland. Eine von ihnen hat geschrieben: „Ich hatte mich ja auf den Neuanfang gefreut. Aber ich hatte auch wirklich Heimweh. Dann tut es gut, mit Gott zu reden. Bei ihm fühle ich mich geborgen und von ihm verstanden, egal wo ich gerade bin. Manchmal habe ich sogar noch eines unserer Lieder gesungen, nur für mich. Das hat mich getröstet.“ So beschreibt sie, wie ihr der Glaube Heimat schenkt.

Ich kann sie gut verstehen. Als ich nach meinem Studium eine Weile im Ostteil von Berlin lebte, fühlte ich mich zunächst fremd. Mein Lied war Paul Gerhardts „Befiehl du deine Wege“. Als ich das in einem Gottesdienst gesungen habe, ist für mich ein Stück Heimat entstanden.

Heute ist diese Gemeinde für mich ein Ort, an dem ich Heimat erlebe. Miteinander Gottesdienste zu feiern, gemeinsam zu beten und zu singen, gibt mir das Gefühl, angenommen zu sein. Vielleicht geht es Ihnen auch so, liebe Hörerinnen und Hörer, wenn sie mit uns durch das Radio verbunden sind. Sie finden ein Stück Heimat in den Adventsliedern und Worten der Bibel, im Vaterunser, das wir nachher miteinander beten. Sich geistlich zu Hause fühlen, das ist nicht an ein Kirchengebäude gebunden oder an unveränderliche Gottesdienstabläufe. Es gründet sich auf unseren gemeinsam gelebten Glauben. Darum darf sich hier auch etwas ändern. Gott verspricht, mit uns mitzugehen.

In vier Tagen feiern wir das. An Weihnachten feiern wir, dass Gott Mensch wurde. Hildegard von Bingen hat das so gesagt: „Gottes Sohn wurde Mensch, damit der Mensch Heimat habe in Gott.“

Das wünsche ich mir. Und Ihnen! Amen.