Es wäre eigentlich ein ganz normaler Tag gewesen, wenn nicht wieder dieses bohrende Gefühl zu ihr gekommen wäre, das sie seit einiger Zeit wie ein Schatten begleitet. Eigentlich doch eine freudige Nachricht und ein Grund , sich mitzufreuen: Ihre beste Freundin würde heiraten, diesen Sommer.
Doch für Elisabeth bedeutet es gerade nur eins: Dass diese ätzenden Fragen wieder in ihr aufsteigen: „Warum, warum klappt es bei allen, nur nicht bei mir? Warum ist das Leben der anderen so einfach? Warum fliegen allen anderen die Dinge einfach nur so zu?“
Mit einem Seufzer setzt sie sich auf eine Bank im Park, durch den ihr Weg sie jeden Tag führt. Sie hasst sich für diese Gedanken. Natürlich gönnt sie der Freundin das Glück. Natürlich weiß sie, dass bei keinem das Leben nur eitel Sonnenschein ist – und doch: Es ist (einfach) nicht gerecht.
Wann reißt der Himmel auf, auch für mich, wann reißt der Himmel auf?
Dieses Lied von Silbermond ist seit einiger Zeit fest in ihrem MP3-Player eingespeichert. Wann reißt der Himmel auf? Tränen schießen ihr in die Augen, sie hebt ihren Kopf und schaut in die Wolken. Ja, wann würde der Himmel aufreißen, für sie? Sie war es leid, geduldig zu sein.
Ein anderes ihrer Lieblingslieder hat mittlerweile einen bitteren Geschmack bekommen – ein Kirchenlied:
Wer nur den lieben Gott lässt walten, und hoffet auf ihn alle Zeit, den wird er wunderbar erhalten in aller Not und Traurigkeit.
Jaja. Auch hier stiegen ihr die Tränen in die Augen und sie wusste nicht mehr, ob es Tränen der Rührung, oder der Wut waren. „Ja Gott, warum waltest Du denn nicht, warum tust Du denn nichts, warum holst Du mich denn nicht aus meiner Not und Traurigkeit? Jeden Tag bete ich und du machst – nichts.“
Wann reißt der Himmel auf, auch für mich?
Durch den Schleier ihrer Tränen kommt langsam das Blau und Weiß des Himmels wieder hindurch. Sie wischt sich die Augen und hört plötzlich ein Zwitschern direkt über ihrem Kopf. Ein Vogel hat sich da auf einen Zweig gesetzt und zwitschert fröhlich vor sich hin.
Wie, als ob sich jemand plötzlich neben sie gesetzt hat, kommen ihr Worte aus einem Gedicht von Hilde Domin in den Sinn:
„Nicht müde werden
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten.“
Vielleicht geht es so, den lieben Gott walten zu lassen und auf ihn zu hoffen:
„dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten“
Und als Elisabeth so da sitzt, spürt sie auf einmal die Sonnenstrahlen auf ihrer Nase.
Der Himmel war aufgerissen.