Fragen beim Ballwechsel
mit Theologieprofessorin Julia Enxing
02.09.2023 23:35

Der kleine weiße Ball fliegt hin und her über die Tischtennisplatte. Da fragt mich meine Mitspielerin: „Was ist eigentlich das Besondere am Christentum, außer, dass man die andere Wange hinhält, wenn man geschlagen wird?“

Ich war baff. Der Ball längst im Aus. Äh? „Also das wäre mir jetzt nicht gerade eingefallen als der Kern des Christlichen“, sage ich. Ich bin noch etwas irritiert und fühle mich auch irgendwie provoziert. Aber ich freue mich auch über die Frage. Da steckt so viel Neugier und echtes Interesse drin.

Wir nehmen das Spiel wieder auf. Ich überlege kurz und denke laut nach: „Nein, das mit der anderen Wange ist es nun wirklich nicht. Im Gegenteil, das finde ich total fragwürdig.“ „Aha. Und was dann?“, fragt meine Bekannte.

Hm. Naja. Also erstmal glaube ich nicht, dass dieses Leben alles sein kann. Es muss mehr geben. „Mehr als was?“ Mehr als das Auf und Ab von Gesundheit und Krankheit, von Freude und Leid, von Krieg und Frieden. Dieses Leben, das kann doch nicht alles sein. Das kann und soll, nein, das darf es nicht gewesen sein. Ich denke ja, dass sich der Sinn meines Lebens erst von einem Höheren her erschließt. Das gibt mir Kraft. Ich schöpfe Kraft aus der Überzeugung, dass auch die Ungerechtigkeit dieser Welt irgendwann eine Antwort erhält oder ihr Aushalten leichter wird. Dass auch die Ungeliebten, die Ungewollten, die Misshandelten und Entrechteten, sich irgendwann als Geliebte, Gewollte erfahren, gut behandelt und gleichberechtigt; dass die Stimmen der Verstummten Gehör finden. Ich hoffe, ja ich glaube: es wird ein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit geben.

„Und wann so?“, fragt meine Bekannte.

Das weiß ich auch nicht. Aber ich weiß, genau dieses Reich der Gerechtigkeit ist nichts, auf das ich mich bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag vertrösten lassen möchte. Als Christin fühle ich mich als Teil einer großen Zeugnisgemeinschaft. Der Gemeinschaft jener, die Zeugnis ablegen möchten – von den Prophet:innen, von Jesus, von der Botschaft der Umkehr, der Botschaft, dass wir nicht so weitermachen dürfen, ein Neuanfang jederzeit möglich, Versöhnung denkbar ist. Und zwar genau im Hier und Jetzt. Denn es heißt ja, das Reich Gottes ist bereits angebrochen. Dann will ich es bitteschön auch spüren, dann will ich diesen Anbruch erleben und meinen Teil dazu beitragen. Christin sein heißt nicht nur reden, heißt auch handeln!

Und dann komme ich noch auf einen weiteren Punkt, beim Nachdenken: Ich bin davon überzeugt, dass das, was ist, nicht dem Zufall oder allein uns Menschen zu verdanken ist. Ich glaube an die Kraft Gottes, die diese Welt begleitet, die allem Lebendigen Kraft zum Leben geben möchte. Dieses Auch-einem-anderen-verdankt-Sein lässt mich demütig werden. Genauso wie Sie bin ich Teil eines Lebensnetzes, verbunden, aber auch verwundbar. Wir brauchen einander – von Anfang an. Wir gehören uns nicht selbst. Wir sind Gast auf einem Planeten. Wir sollten uns deshalb auch wie Gäste verhalten. Wir, die wir das große Ganze eben nicht im Blick haben, nur selektiv wahrnehmen, selektiv handeln, selektiv lieben können. Wir sollten dankbar sein für all das, was wir nehmen, ohne je angemessen geben zu können.

Wie das Tischtennis-Match ausging, fragen sie sich? Ich habe haushoch verloren. Sei’s drum.

Sendeort und Mitwirkende

Mitteldeutscher Rundfunk (MDR)
Redaktion: Susanne Sturm

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