Die Tage werden dunkler; sie werden kälter. Es ist November und hier in Deutschland auch endlich Herbst. Aber der November ist mehr als ein Herbstmonat; es ist der Monat des Gedenkens an die Toten. An die, die wir verloren haben; an die, die uns vorausgegangen sind. „Voraus gegangen ...“, klingt so einfach.
Ein mir naher Mensch hat in diesem Jahr dem eigenen Kind beim Sterben zusehen müssen. Wenn junge Menschen sterben, ist das für mich der Widersinn schlechthin. Wieso? Wieso dieser eine Mensch? Wieso gerade jetzt?
Ich weigere mich, auf die Suche nach einem Sinn zu gehen. Stattdessen versuche ich, mitauszuhalten, mitzufühlen, mit da zu sein.
In einem Gespräch mit ihm hat er mir davon erzählt, dass er sein Kind so schlimm vermisst – jeden Tag, jede Stunde, jede Minute. Das Vermissen, das zerreißt ihn. Das tut so unbeschreiblich weh. Und dass das irgendwie so verrückt sei, da das Kind ja kein „Kind“ mehr war, sondern junger Erwachsener und schon seit ein paar Jahren zum Studium in einer anderen Stadt, viel auf Achse, immer mit Freundinnen unterwegs. Es sei ja nicht so gewesen, als hätten sie ständig telefoniert, wären zusammen im Urlaub gewesen, hätten sich jeden Sonntag zum Mittagessen gesehen. Manchmal war tagelang Funkstille – alle busy.
Aber jetzt, jetzt sei die Funkstille anders. „Jetzt ist Funkstille für immer.“ – und dann unterbricht sich mein Bekannter selbst, fällt sich quasi selbst ins Wort und sagt: „Für immer? Was soll das schon sein: für immer?“
Und ich traue mich laut zu denken: „Und was heißt schon Funkstille?“
Und dann müssen wir beide Schmunzeln. Schmunzeln in diesen traurigen Stunden. Schmunzeln, weil es wirklich so ist, dass „für immer“ große Worte sind, wir aber niemals wissen können, was „für immer“ eigentlich heißen soll.
Der christliche Glaube lässt ein „für immer“ nur für die göttliche Liebe und Treue gelten lässt. Gottes Zusage „ich bin bei Euch alle Tage bis ans Ende der Welt“ gilt für immer. Gottes Liebe gilt ewiglich. Was wissen wir schon von „für immer“. „Und diese göttliche Liebe sitzt auch nicht direkt mit am sonntäglichen Mittagstisch und ist trotzdem spürbar, so mein Bekannter. Von wegen Funkstille.“
Ich hätte ihn nie so trösten können. Ich hätte es als übergriffig empfunden, seinen Schmerz so zu deuten. Aber weil er es war, der diese Worte gefunden hat, haben sie mich so beeindruckt.
Und ich wollte ihnen, liebe Zuschauende, davon erzählen.
Haben Sie eine gute und gesegnete Nacht.
Mitteldeutscher Rundfunk (MDR)
Redaktion: Susanne Sturm
Katholischer Senderbeauftragter für Das Wort zum Sonntag für den MDR
Guido Erbrich, Bistum Dresden-Meißen
Georg-Schumann-Straße 336
04159 Leipzig
Tel: 0341 - 46766115
E-Mail: senderbeauftragter@bddmei.de