Kirche am Markt, Heidelberg
"Gegen alle Vernunft"
Evangelisch-methodistischer Gottesdienst, live aus der Kirche am Markt, Heidelberg
23.10.2022 10:05
 
Predigt zum Nachlesen:

I

Wir leben in ungewissen, stürmischen Zeiten. Wir haben Oktober und die Energieversorgung ist nicht mehr nur Thema in Worten, sondern ganz konkret Thema in vielen Haushalten. Habt ihr in euren Wohnungen die Heizungstemperatur runter gedreht? Sitzen Sie vor dem Radio gerade in einer wohlig-warmen Wohnung, oder haben Sie die Temperatur runtergestellt und ein zweites Paar Socken an?
Uns Menschen steht das Wasser bis zum Hals. Im Sommer zu wenig Wasser, im Herbst zu viel.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine nimmt kein Ende. Mütter flüchten mit ihren Kindern und müssen Großeltern und Väter zurücklassen. Viele Krisenherde weltweit sind dabei noch nicht mal im Blick. Im Südsudan, Madagaskar und anderen Ländern hungern hunderttausende Menschen. Kinder sterben. Menschen werden gedemütigt, misshandelt, verfolgt.
Das Wasser steht uns in dieser Welt bis zum Hals. Ein tosendes Meer an Ängsten, Sorgen und Nöten. Der Blick in die Welt könnte einen verzweifeln lassen.
Und dabei sind es ja nicht nur die großen Krisen, die Gesellschaft, Politik, Weltgemeinschaft oder das Klima betreffend, die uns beschäftigen. Auch im ganz persönlichen, privaten, sind viele von uns in Nöten. Sei es durch eine Krankheit, die fortschreitend und schmerzhaft ist. Sei es der Tod von geliebten Menschen. Oder auch finanzielle Unsicherheit. Oder Streit, Einsamkeit, Zweifel.
Und da hören wir diese biblische Erzählung von Jesus, wie er auf dem Wasser ging.

Für mich klingt das erstmal nach Leichtigkeit. Nach Unbeschwertheit. Einfach so über das Wasser gehen. Schwebend. Losgelöst von den Problemen meines Lebens und dieser Welt. Einfach losgehen - auf dem Wasser gehen, das wär’s doch! Alle kleinen und großen Krisen, die unser Leben, unseren Alltag, unsere Existenz begleiten, hinter - oder viel mehr unter uns in den Tiefen der Wasser, unter den Wellen lassen. Das wär’s doch.

Die Freunde und Freundinnen Jesu erleben eine heftige Nacht. Sie sind ohne Jesus unterwegs und geraten sie in einen Sturm, in hohe Wellen. Die Not ist groß. Sich gegen den Wind zu stellen, kostet Kraft. Sicher haben sie große Angst. Sind verzweifelt.
Ich kann das sehr gut nachvollziehen. Es gibt Situationen, in denen mich Zweifel und Sinnlosigkeit kalt erwischen. Ich fühle mich, als ob ich in einen Sturm geraten wäre. Ich komme nicht mehr klar.
Keinen Ausweg hat auch Melanie in ihrer Lebenssituation gesehen, davon hat sie uns erzählt.
Wenn der Blick auf die Sorgen fällt, die Zweifel kommen, sich Angst breit macht. Wird es schnell Nacht um uns. Werden die Wellen zu hoch. Werden wir hin und her geworfen. Und auch wir erleben, wie Jesu Freunde und Freundinnen, in Krisenzeiten Gegenwind. Alles wird schwer.

II

Gegenwind. Die Wellen sind zu hoch. Angst und Zweifel kommen auf. Damals bei Jesus. In dieser Geschichte. Heute, wenn ich nachts wach liege. Nicht mehr schlafen kann, weil die Sorgen mich nicht schlafen lassen.
Da kommt Jesus. Geht auf dem Wasser, über die Wellen zum Boot. Er kommt „in der vierten Nachtwache“ heißt es. Es ist eine symbolische Zeit: Im Alten Testament ist die Zeit des frühen Morgens die Zeit des „helfenden Eingreifens Gottes“. Auch davon haben wir in den Interviews gehört: Melanie und Susanne haben beide in unterschiedlicher Weise bedrohliche Situationen erlebt. Die eine: keine Perspektive, auch finanziell am Ende. Die andere: eine schwere Krankheit. Beide aber haben erlebt, dass Gott eingreift. Dass Jesus die Hand reicht.

Ja, Jesus kommt manchmal echt auf unerwartetem Weg. Völlig verrückt kommt er hier über das Wasser. Kommt über die Wellen auf seine Freundinnen und Freunde zu. Und er sagt: Seid mutig!
Als wenn das immer so einfach wäre: Mut haben... Die einen können Ermutigungen annehmen, andere wehren dagegen ab. Die einen sehen das bekannte Glas „halb voll“ und die anderen „halb leer“. Die einen sind mutig, andere zurückhaltend.
Einer, der mit viel Mut ausgestattet ist, ist Petrus. Aus anderen Geschichten wissen wir: Petrus übernimmt unter den Freunden gerne die führende Rolle. Er ist einer der vorlauten Sorte. Einer mit ordentlich Selbstbewusstsein.
So ist es auch Petrus, der Mut fasst und Jesus zuruft, fast, als habe er doch noch letzte Zweifel: „Wenn du es bist, Jesus, Meister, dann befiehl mir auf dem Wasser zu dir zu kommen.“
Und Jesus sagt einfach: „Komm!“
Und wie großartig, Petrus wagt es und steigt aus dem Boot ins Wasser. Petrus geht auf dem Wasser. Und solange er Jesus anschaut, geht er Schritt um Schritt. Geht Jesus entgegen.

Beeindruckend: Es zeigt sich, dass Vertrauen etwas total Aktives ist. Durch sein Vertrauen steigt Petrus wahnwitziger Weise aus dem Boot. Gegen alle Vernunft. Völlig bekloppt. Verrückt. Was denkt er sich?
Allerdings: Wäre er nicht ausgestiegen, hätte er nicht die Erfahrung gemacht, auf dem Wasser zu gehen. Er hätte auch nicht die Erfahrung gemacht unterzugehen. Und auch nicht die Erfahrung gerettet zu werden.
Ja auch ich muss losgehen, manchmal gegen alle Vernunft, gegen Widerstände und mit Gegenwind, und auch mit der Gefahr, dass ich scheitere.
Wie wunderbar, dass die Geschichte hier aber noch nicht zu Ende ist.

III

Petrus wagt es, wahnwitzig, geht er auf dem Wasser auf Jesus zu und scheitert dann grandios. Ich stelle mir vor: er sieht plötzlich nur noch die großen Wellen, das viele Wasser, die Tiefe, die Gefahr. Da ist einfach alles zu viel. Zu viel Sorge, zu viele Zweifel.

Ich bin überzeugt, dass es entscheidend für Petrus war, aus dem Boot zu steigen. Ich bin überzeugt, dass es besser ist, los zu gehen - auch gegen alle Vernunft - als hocken zu bleiben, weil ich scheitern könnte. Diesen ersten Schritt kann mir niemand abnehmen. Ich selbst muss aktiv werden.

Petrus geht unter und schreit um Hilfe.
Das ist so nah dran an meinem Leben, an unserem Leben. Die beängstigende Realität kann das stärkste Vertrauen in Frage stellen und gefährden.
Aber wie großartig: Jesus reagiert auf den Hilferuf von Petrus. Er sieht, wie Petrus sich verliert in seinen Ängsten. Wie er in die Tiefe gerät und Jesus reicht ihm die Hand. Er zieht ihn hoch. Das klingt so locker leicht, aber wer schon mal jemanden aus dem Wasser gezogen hat weiß: Man muss fest zugreifen, kräftig ziehen und beherzt in die Arme schließen.
Ich stelle mir vor, dass Jesus Petrus noch fest im Arm hat und ihn fragt: „Warum zweifelst du?“ In dem Glauben, dem Vertrauen –dann doch Angst und Zweifel. Wie wunderbar: Jesus rettet ihn trotz allem.

Wir haben in den Interviews gehört, dass Melanie und Susanne diese Erfahrung gemacht haben. In den Tiefen ihres Lebens, in scheinbar ausweglosen Situationen, haben beide sich auf Gott verlassen. Sie konnten so erleben, dass sie gehalten werden. Dass sie Hilfe bekommen, Unterstützung, Hoffnung und Zuversicht. Melanie hat erlebt, dass sie alleine nicht weiterwusste und hat ihr Leben Jesus anvertraut. Susanne hat durch ihren Glauben, ihr Vertrauen auf Gott, Zuversicht und Mut bekommen, die sie durch die Krankheit hindurchgetragen haben.

Für mich sind drei Punkte heute besonders wichtig:

  1. Ich bin gefragt. Ich muss aktiv werden. Einen ersten Schritt wagen – raus aus dem, was mir Angst macht, mich gefangen hält und mich quält.
  2. Ich darf Jesus ganz Vertrauen, wenn er mir Mut zu spricht, den Schritt ins Ungewisse zu wagen. Gegen alle Vernunft.
  3. Jesus hält mir seine Hand hin. Ich muss nicht untergehen. Ich darf sie ergreifen.

„Heile du mich, Gott, so werde ich heil, hilf du mir, so ist mir geholfen.“ Heißt es im Wochenspruch für diese neue Woche. Daraus spricht, das Vertrauen auf Gott, darauf, dass Gott verändern und helfen und heilen kann.
Vielleicht ist das der erste Schritt aufs Wasser. Darauf zu vertrauen, dass Gott heil macht, was im Sturm des Lebens im Argen liegt. So wie Petrus es vorgemacht hat.
Gegen alle Vernunft!

Amen

Es gilt das gesprochene Wort.

Dlf Gottesdienst