Gustav-Adolf-Gedächtniskirche Nürnberg
"Die Sonne und Du - eine Zeitreise mit Schlagern"
Gottesdienst-Live-Übertragung aus der Gustav-Adolf-Gedächtniskirche Nürnberg
17.07.2022 10:05
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Predigt zum Nachlesen
 

I

„Gott lädt uns ein zu seinem Fest, lasst uns geh‘n!“ – was haben wir das geschmettert in der Jungschar! Ein echter Schlager aus meiner Zeit in der evangelischen Jugend! Ist ja auch eine mitreißende Melodie und ein anschaulicher Text: „Leben im Schatten, sterben auf Raten – haben wir was davon?“ Da wird einem genau gesagt, wo es lang geht, was gut ist für mich, wo ich dazu gehöre.

 

Liebe Gemeinde,

 

das ist jetzt schon einige Jahre her, seit ich dieses Lied regelmäßig und mit Inbrunst gesungen habe. Aber in der Vorbereitung für diesen Gottesdienst ist es mir sofort wieder eingefallen, weil es eben so ein Schlager ist, ein Ohrwurm: Eingängige Melodie, einfache Aussage, jede und jeder kann gleich mitsingen. Heute sehe ich dieses Lied kritisch, es ist mir zu einfach: Hier die, die an Gott glauben, richtig glauben und dort die, die man noch überzeugen und missionieren muss, die auf dem falschen Weg sind. Aber ich verstehe schon: man wünscht sich oft manches etwas einfacher, weniger komplex, auch als Christ. Warum nicht mal klar sagen: das ist christlich, so geht’s und wer sich nicht dran hält, der gehört halt nicht dazu – und ein Schlager kann so ein Weltbild natürlich ganz einfach an den Mann und die Frau bringen, auch ein christlicher! Wenn ich so was ausspreche, dann erschrecke ich vor mir selber. So möchte ich nicht durch die Welt laufen, so wenig zugänglich, so schwarz-weiß. Aber vielleicht steckt hinter diesem einfachen Weltbild auch eine Sehnsucht. Nach einem einfachen Leben. Nach einem Leben, das ich verstehe. Nach einem sinnvollen Leben.

 

Der unbekannte Gast aus dem Lukasevangelium, der uns in der Lesung begegnet ist, empfindet das vielleicht auch so. Jedenfalls ist er völlig begeistert von dem, was Jesus ihnen erzählt hat, dass man zu einem Essen nicht die immer gleichen einladen soll, die einen dann wieder einladen, sondern die Armen und die Behinderten, die Blinden und Gelähmten, die sich eben nicht revanchieren können. So wird man selig. Ja, so soll es sein, spürt der Gast und ruft laut: Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes!

Und jetzt erzählt Jesus ihm und allen anderen Zuhörerinnen und Gästen in der reichen Villa von einer Einladung, die gründlich missrät. Liebe Gemeinde, Sie haben es gehört: einer nach dem andern entschuldigt sich: ich kann nicht kommen, ich hab mir gerade ein Haus gekauft, das muss ich einrichten. Ich kann nicht kommen, ich hab mir gerade ein Auto gekauft, damit muss ich ne Spritztour machen! Ich kann nicht kommen, ich bin frisch verliebt, wir wollen zu zweit sein.

Wenn mir das passieren würde als Gastgeberin, würde ich schwanken zwischen Verständnis, denn die Gründe sind schon irgendwie nachvollziehbar-  und Beleidigtsein: ich habe mir echt Mühe gegeben und ich will meine Freundinnen und Verwandten wiedersehen, mit ihnen essen, trinken, reden! Und jetzt das! Der Gastgeber aus der Bibel ist stinksauer. Und deswegen will er die bloßstellen, die ihn versetzt haben: „Schöne Freunde, die MEINE Einladung sausen lassen, denen zeig ich‘s! Dann soll eben die zweite Wahl kommen: Behinderte, Wohnungslose, Kaputte, Alkis, Erfolglose, Hässliche! Alle rein!

Was? Es ist immer noch Platz in meiner Villa? Dann holt gefälligst noch die vom Stadtrand, aus den Ghettos, die lungern ja eh bloß auf der Straße rum, an den Straßenecken und Baugruben. Und ihr, meine tollen Freundinnen, wichtigen Menschen, angesehenen Bürger, Meinesgleichen, IHR kriegt nichts von meinem Buffet!“

 

Ich halte diese Erzählung für eine Geschichte aus dem richtigen Leben. Also gerade nicht für einen Schlager, der leicht mitzusingen ist und der die Welt in schönen Farben malt. Eher für schwere Kost, für Heavy Metal: Freunde, die immer Wichtigeres zu tun haben; arrogante Gastgeber; Arme als Lückenbüßer. So eine Einladung stelle ich mir sehr miesepetrig vor. Der Gastgeber will gar nicht mit seinen Gästen zusammensitzen und die wiederum fühlen sich nur geduldet, bekommen zwar etwas zu essen, aber keine Aufmerksamkeit. Da bleibt der Ausruf des unbedarften Gastes vom Anfang „Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes!“  auch nur Sozialromantik, weil er im echten Leben, also auf Erden, nichts ändert an den Verhältnissen, von denen eine Maria am Beginn des Lukasevangeliums gesungen hatte, dass Gott sie grundlegend verändern wird, denn Gott schickt die Reichen leer weg und füllt die Hungernde mit Gutem – das kann Brot sein, aber eben noch viel mehr.

 

Ich denke mir, Lukas erzählt diese Geschichte von der misslungenen Einladung als Wink mit dem Zaunpfahl, damit es auch noch die Letzte kapiert, dass christliche Gemeinschaft so nicht funktionieren kann. Nicht als mitleidige Tat, nicht um andere bloßzustellen und sich selbst besser zu fühlen. Das erwischt mich schon: ich gebe gern jemandem Geld, der bettelt oder die Obdachlosen-Zeitungen verkauft – aber zu mir nach Hause einladen?! Meinen Tisch und mein Essen teilen? Naja, würde ich vielleicht schon. Ein, zwei Stunden. Aber dann will ich doch wieder unter Meinesgleichen sein – das sind nämlich die mit den neuen Autos und der Wohnung. Ist menschlich, ist auch nicht verwerflich, ich muss keine Mutter Theresa oder ein Franz von Assisi werden. Was ich, denke ich, tun muss, ist das Evangelium ernst nehmen und mich hinterfragen lassen: lebst du in der rosaroten überzuckerten Schlagerwelt, in der du dir die Welt vom Hals hältst oder lässt du dich auf die Unterschiede hinweisen: „Wenn du ein Mahl machst, sagt Jesus, dann lade die Armen und die Behinderten, die Blinden und Gelähmten ein, dann wirst du selig werden, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten.“

 

Was sollen wir tun?

Ich denke, unsere Augen offenhalten. Nicht verschleiern lassen: Es gibt arme Menschen, , vom Leben Verwundete, sie leben hier in der Nürnberger Südstadt, sie leben mit uns, den Gutgestellten mit einem Dach über dem Kopf und geregeltem Einkommen. Es gibt Flüchtlinge, aus der Ukraine, es gibt Flüchtlinge auch aus Syrien und Afghanistan, die nicht zu „Gästen zweiter Wahl“ werden wollen. Die Welt ist nicht schwarz-weiß.

Und dann würde ich sagen, unsere Feste, unsere Einladungen sollten schon etwas anders aussehen als das miesepetrige und peinliche Abendessen aus der Erzählung. Freudig, von Herzen. Sinnvoll. Freigiebig und ohne Ansehen der Person.

Und die Kraft für all das kommt nicht aus mir, sondern von Gott, meiner Quelle, in dessen Licht ich das Licht sehe. Ohne Gott gehe ich ein wie eine Primel. Gott trägt mich und stärkt mich und tränkt mich mit Wonne wie mit einem Strom. Wie und wo das geht, weiß der Kirchenliedschlagerschreiber Paul Gerhardt: „Geh aus mein Herz und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit an deines Gottes Gaben!“

 

II

Hier in der Gustav-Adolf-Gedächtniskirche findet zu Anfang jeden Jahres die Vesperkirche statt. In diesen sechs Wochen verwandelt sich der Kirchenraum, Tische werden aufgestellt, immer acht Stühle dazu, mit Blumen drauf, liebevoll eingedeckt. Unter den Bögen ist die große Theke, an der es etwas Warmes zu essen gibt, Schnitzel, Gemüselasagne und freitags Fisch, außerdem Kaffee und Tee und Wasser den ganzen Tag. Ab zehn Uhr morgens öffnet die Kirche ihre Türen, die ersten Besucher warten schon, nehmen sich gleich eine Zeitung und einen Kaffee und bleiben nicht selten bis zum Schluss um 15 Uhr. Bis zwölf Uhr füllt sich der Raum, nicht selten sind hier bis zu dreihundert Menschen und reden und erzählen, manche kommen schon seit Beginn vor sechs Jahren. Kurz vor zwölf Uhr dann eine Andacht und der ganze Raum wird still. Alle wollen zuhören, etwas mitnehmen, gefüllt werden mit Gutem, dass über das Mittagessen hinausgeht. Aber dann, das Amen und der Ansturm auf das Menu: Suppe, zwei Hauptgänge zur Wahl, später noch einen Kuchen. Das Essen kostet einen Euro, wer kann, gibt mehr, wer auch den Euro nicht hat, bekommt einen Gutschein.

 

Es gibt nicht nur was zu Essen. Es gibt einen Raum, in dem man einfach sein kann, einfach nur dasitzen, sich aufwärmen, auch mal ein nettes Gespräch mit einer Fremden. Einmal die Woche gibt es einen kostenlosen Friseur, außerdem Bastelkurse, Rechtsberatung, Fotografen, Bewerbungstraining. Und immer die Möglichkeit für ein Gespräch, Seelsorger und Seelsorgerinnen sind da. Und an den Sonntag Abenden gibt es in der Kirche Konzerte der Nürnberger Staatsoper: junge Sänger und Sängerinnen bringen ein wunderbares Repertoire an Arien aus Oper und Operette. Kostenlos! Da kann sich jeder leisten und Abendgarderobe braucht es auch nicht.

Die Vesperkirche will ein bisschen schon ein himmlisches Festmahl auf Erden sein, so habe ich sie immer verstanden. Niemand ist nur Lückenbüßer, niemand ist zweite Wahl. Hierher kommen alleinlebende Seniorinnen, türkische Familien, Wohnungslose, Studentinnen, Nachbarn. Sozialromantik kommt aber nicht auf: es gibt immer auch mal Streit, weil sich ein Gast plötzlich provoziert fühlt oder ungerecht behandelt. Manchmal hat auch jemand aus dem Team der Helfer genaue Vorstellungen, wer denn nun einen Gutschein bekommen sollte oder wer sich den nur erschleicht. Alles menschlich, alles nicht verwerflich.

 

Liebe Hörerinnen und Hörer, wer in der Vesperkirche mitarbeitet, hat das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Wer hierherkommt, nimmt wieder ein bisschen Teil am gesellschaftlichen Leben, beim gemeinsamen Essen, beim Fotoshooting, beim Gottesdienst am Sonntag morgen und beim Konzert am Sonntagabend. Man könnte sagen, die Vesperkirche ist ein Schlager geworden, ein Gassenhauer, den man in Nürnberg und Umgebung kennt. Weil hier das Richtige am richtigen Ort getan wird. Anerkennung ist so wichtig wie Brot. Und doch denke ich, dürfen wir uns nicht selbst die Augen verkleistern und uns immerzu an unseren guten Taten erfreuen. Die Zahl derer, die hierherkommen, steigt von Jahr zu Jahr an, weil es in Deutschland immer mehr Menschen gibt, die unter der Armutsgrenze leben. Tafeln, Wärmestuben und Vesperkirchen helfen, aber sie sind auch nur ein Tropfen. Wirklich miteinander teilen, umverteilen, erkennen, was wirklich wichtig ist – Autos oder Sozialwohnungen – das würde unser Land langfristig verändern. Und das ängstliche: „Da kann man nix ändern!“ kritisiert die Bibel ja genau mit solchen Erzählungen wie aus dem Lukasevangelium!

 

In den letzten beiden Jahren konnte die Vesperkirche so wie ich sie Ihnen beschreibe, nicht stattfinden, wegen Corona. Wir wollten sie aber nicht ausfallen lassen und es gab auf dem Vorplatz der Kirche eine Essensausgabe. Auch da haben sich lange Schlangen gebildet, denn es gibt arme Menschen, sie leben mit uns, nicht nur hier in der Nürnberger Südstadt. Aber ganz dasselbe war es nicht. Es fehlte die Gemeinschaft und vor allem fehlte die Wärme des Kirchenraums mit dem großen Kruzifix und einem Jesus, der weit seine Arme ausbreitet.

 

Gott lädt uns ein. Da ist wieder der Schlager vom Anfang. Gott lädt uns ein zu seinem Fest. Gott sucht meine Gesellschaft. Genau mich möchte Gott mit sitzen haben am Tisch. Und dich. Und dich auch. Ob ich ein neues Auto habe oder meine Rente gerade so reicht interessiert nicht. Zumindest Gott nicht, wir Menschen sind da manchmal pingeliger. Und dann passieren so komische Sachen wie die missratene Einladung.

 

Gott ist der ganz andere Gastgeber. Hierarchien interessieren nicht, wer oben am Tisch sitzt und wer neben wem. Und wenn jemand krank ist, behindert, verwundet vom Leben, dann gebührt ihm oder ihr die volle Aufmerksamkeit, dann wird er und sie geheilt. Festliches Bankett hin oder her, Sabbat hin oder her. First things first.

Gott sucht meine Gesellschaft. Genau mich braucht er, um auf Erden schon ein bisschen Festmahl zu feiern, in der Vesperkirche, zu Hause, im Alltag, im Urlaub.

 

„Das wird ein super Sommer“ singt gleich die Band und das wünsche ich Ihnen: Sommerfeeling, auch mal Schlagersorglosigkeit. „Die Sonne und Du gehörn dazu“ –  fragen Sie sich mal: Wer ist denn dieses DU?! Nicht nur Meinesgleichen. Wenn ich meine Arme öffne, dann haben da mehr und andere Menschen Platz, als ich bisher so dachte.

 

Amen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

 

Dlf Gottesdienst