Karfreitag

Altar der Kreuzkirche in München

Kirchengemeinde Kreuzkirche München

Karfreitag
aus der Kreuzkirche in München
29.03.2024 - 10:05
Über die Sendung:

Am Karfreitag übernimmt der Deutschlandfunk die Live-Übertragung des evangelischen Gottesdienstes aus der Kreuzkirche in München vom Bayerischen Rundfunk. Die Predigt halten Pfarrerin Elke Wewetzer und der Münchner Regionalbischof Thomas Prieto Peral.

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Predigt zum Nachlesen:

Lesung I:  Mt 27, 27-44 durch Harald Mayer-Haas

Da nahmen die Soldaten des Statthalters Jesus mit sich in das Prätorium und versammelten um ihn die ganze Kohorte und zogen ihn aus und legten ihm einen roten Mantel an und flochten eine Dornenkrone und setzten sie auf sein Haupt und gaben ihm ein Rohr in seine rechte Hand und beugten die Knie vor ihm und verspotteten ihn und sprachen: Gegrüßet seist du, der Juden König!, und spien ihn an und nahmen das Rohr und schlugen damit auf sein Haupt.

Und als sie ihn verspottet hatten, zogen sie ihm den Mantel aus und zogen ihm seine Kleider an und führten ihn ab, um ihn zu kreuzigen.

Und als sie hinausgingen, fanden sie einen Menschen aus Kyrene mit Namen Simon; den zwangen sie, dass er ihm sein Kreuz trug.

Und als sie an die Stätte kamen mit Namen Golgatha, das heißt: Schädelstätte, gaben sie ihm Wein zu trinken mit Galle vermischt; und da er’s schmeckte, wollte er nicht trinken.

Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum.

Und sie saßen da und bewachten ihn.

Und oben über sein Haupt setzten sie eine Aufschrift mit der Ursache seines Todes: Dies ist Jesus, der Juden König. Da wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken. Die aber vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe und sprachen: Der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz!

Desgleichen spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen. Er ist der König von Israel, er steige nun herab vom Kreuz. Dann wollen wir an ihn glauben. Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn. Desgleichen schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren.

 

Regionalbischof Prieto Peral: Hilflosigkeit 

Gewalt macht krank. Gewalt tötet. Jesus hat das am eigenen Leib erfahren.

Ich höre die Passionsgeschichte und denke an die vielen Menschen, die immer wieder solches Leid erfahren. Es lässt mich nicht los: Was Jesus erlebt, ist wie das, was viele Opfer, denen Gewalt angetan wird durchleben. Es frisst sich fest in der Erinnerung und lässt sie oft ein Leben lang nicht (mehr) los.

Jesus hat all das erlebt. In diesem Moment. Im Vorhof des Palastes, als die Soldaten ihren Spott mit ihm trieben und ihm eine Dornenkrone aufgesetzt haben. Er riecht den Schweiß der Männer, den Mief der Mäntel, den kalten Rauch im Raum. Er spürt die unangenehme Nähe seiner Peiniger. Das höhnische Lachen der Soldaten riecht faulig. Der Hohn verletzt. Jesus ist all dem hilflos ausgeliefert. 

Er kann sich nicht wehren. Ein Soldat legt den stinkenden Mantel auf ihn. Der Mantel nimmt Jesus den Atem. Der Umhang umwickelt ihn mit Hohn und Spott. Es ist, als wäre Jesus nackter als zuvor. 

Der Geruch der Gewalt klebt an ihm. Blut läuft über seinen Körper. Jesus schließt die Augen. Hört Lachen, Grölen, Johlen. Männerstimmen. Die ersten Schläge brennen auf der Haut.  

Die Schläge sind wie ein fernes Donnern.  Die Soldaten schubsen, drängeln, schreien. Sie werden ihm seinen Körper entreißen, ihn durchbohren. Sie werden sein Innerstes töten, seine Würde verletzen.

Und da ist niemand, der hilft.

Kein Mensch.

Kein Gott?

Jesus schweigt. Jesus lässt es geschehen.

Weiß er, dass diese Gewalt niemals stärker sein wird als das Leben aus Gott…

 

Pfarrerin Elke Wewetzer: Demütigung

Gewalt macht krank. Gewalt tötet.

Mich trifft ganz besonders, wie brutal viele Mädchen und Frauen erniedrigt werden. In so genannten Friedenszeiten und in Terror und Krieg, egal, wo und wann: Die Gewalt geht fast immer von Männern aus. Wie im Iran, wo Shirin lebt. Sie hat weitererzählt, was ihr geschehen ist.

Es hatte sich so gut angefühlt. Mit vielen anderen Frauen öffentlich laut herausschreien: „Woman, Life, Freedom“. Frau, Leben, Freiheit. Ohne Kopftuch, mit wehendem Haar. Aufrecht. Den Kopf erhoben. Gemeinsam. Es muss sich doch was ändern lassen. 

Da packt einer Shirin am Arm. Ein Griff wie ein Schraubstock. Keine Chance zu entkommen. Er zerrt sie davon. Da, noch mehr von ihnen, die auch andere Frauen davon zerren. Mit unbewegten Gesichtern. Kalten Augen, die sagen: Das wirst du bezahlen. Freiheit für Frauen!? 

Sie landen in einer qualvollen Hölle von Schmerz. Ohnmächtig sind Shirin und die anderen Frauen den Männern ausgeliefert. Die erniedrigen und quälen sie. So glauben sie, ihre Macht zu beweisen.

Ich werde jetzt und hier nicht aussprechen, was den Frauen alles angetan wurde, es ist unvorstellbar.

Als die Männer mit ihnen fertig sind, stoßen sie die Frauen hinaus auf die Straße, geschunden, wie sie sind. Ein Zeichen für alle anderen: seht, das droht euch, wenn ihr aufbegehrt. Shirin hat geschrien und sie hat geredet. Auch danach.

Sie hat das Unerträgliche ausgesprochen. Aber diese Frauen müssen mit ihren Verwundungen an Körper und Seele weiterleben. Es geschieht immer und immer wieder. Totale Finsternis.

 

Lesung II: Mt 27, 45-50 durch Harald Mayer-Haas

Von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Einige aber, die da standen, als sie das hörten, sprachen sie: Der ruft nach Elia.

Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken.

Die andern aber sprachen: Halt, lasst uns sehen, ob Elia komme und ihm helfe!

Aber Jesus schrie abermals laut und verschied.

 

Lesung III Mt 27, 51-54 durch Harald Mayer-Haas:

Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus. Und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen, und die Gräber taten sich auf und viele Leiber der entschlafenen Heiligen standen auf und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen. Als aber der Hauptmann und die mit ihm Jesus bewachten das Erdbeben sahen und was da geschah, erschraken sie sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen! Und es waren viele Frauen da, die von ferne zusahen; die waren Jesus aus Galiläa nachgefolgt und hatten ihm gedient; unter ihnen war Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus und Josef, und die Mutter der Söhne des Zebedäus.

 

Pfarrerin Elke Wewetzer: Der Ohnmacht widerstehen

Wie höre ich heute die Erzählung von der Kreuzigung Jesu?

Es ist und bleibt eine Gewaltgeschichte. Und ihr folgen viele weitere. Wie klingt sie unter dem Eindruck so vieler Beispiele von Brutalität und Verrohung, die wir miterleben? 

Ich frage mich: Hat es irgend etwas verändert, dass Jesus so qualvoll starb? Sie kreuzigten ihn, weil er sich hingebungsvoll für Liebe und Gerechtigkeit eingesetzt hatte. Aber immer noch gibt es diese eiskalte mörderische Gewalt. Männer vergewaltigen und foltern, um ihre Macht zu demonstrieren. Soldaten oder Terrorgruppen verüben wahllos Massaker an unschuldigen Menschen. Schamlos inszenieren sie öffentlich das Grauen, damit alle Welt es sieht.

Am liebsten würde ich wegschauen, meine Augen verschließen. Das Zuschauen ist unerträglich. „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ schreit Jesus.

Wo, Gott, bist du, wenn deine Menschen andere quälen? Wo, Gott, bist du, wenn deine Menschen Qualen leiden? Ich finde für mich immer noch keine Antwort, die dauerhaft trägt. Und werde es vielleicht nie. Leidet und stirbt Gott selbst jedes Mal wieder mit? Ist Gott macht-los? Ohn-mächtig gegenüber der Über-macht des Grauens? Müssen wir genau das aushalten, dass es so gottverlassene Momente gibt? Und sogar Gott von sich selbst verlassen ist?

Dennoch: Ich schaue aufs Kreuz. Immer, wenn ich diese Geschichte vom Kreuz bedenke und wirken lasse, spüre ich: Doch, es hat sich etwas verändert. Nicht an der Welt. Aber in mir. Die Erzählung von Jesu Kreuzigung hilft mir, die Augen eben nicht zu verschließen vor Unrecht, das Menschen erleiden. Ich will Leidenden beistehen, sie nicht allein lassen. Eine wärmende Decke um sie legen. In Worten und Gesten und tatkräftiger Hilfe. Für sie sorgen, bis sie selbst es wieder tun können. Ihre Würde schützen.

Die Kreuzigungsgeschichte nötigt mir Respekt ab vor Jesus und allen anderen, die ihre Sicherheit und ihr Leben riskieren – nicht nur für sich selbst, auch für viele andere.

Es setzt Kraft frei, wenn uns nicht egal ist, was Menschen anderen antun. Wenn wir einander beistehen, einander aushalten und trösten wie die drei Frauen, die Jesus bei seiner Kreuzigung nicht allein lassen. Die drei Marien. Sie sind da, sehen hin, voll Schmerz und Mitgefühl. Es sind heilsame Gesten. Wie bei den inhaftierten Frauen im Evin-Gefängnis in Teheran. Sie kümmern sich umeinander, wenn eine schwer gezeichnet aus der Folter oder Isolationshaft zu den anderen zurückgebracht wird. Oder wie die vielen Helferinnen und Helfer, die Medikamente und Lebensmittel zu Menschen in Kriegsgebieten bringen, oft unter Einsatz ihres eigenen Lebens. Handfeste Hilfe zum Überleben.

Sie alle bestärken mich, nicht aufzugeben, wenn mir alles nur noch sinnlos erscheint.

Ihre Geschichten setzen Kräfte frei. Und diese Kraft stammt für mich aus der anderen Geschichte - von Jesus am Kreuz.

Amen

Es gilt das gesprochene Wort.