Denk ich an Bethlehem

Foto: Ina Jäckel

Denk ich an Bethlehem
Live-Übertragung aus der Friedenskirche Leer-Loga
17.12.2023 - 10:05
10.05.2023
Pastorin Ina Jäckel
Über die Sendung:

Am Dritten Advent übertragen wir einen evangelischen Gottesdienst aus der Friedenskirche im ostfriesischen Leer. Die Predigt hält Pastorin Ina Jäckel. Die kirchliche Leitung hat Radiopastor Oliver Vorwald.

Gottesdienst nachhören:
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Predigt zum Nachlesen:
I
  1. Mit Wartezeit rechnen

„Sie müssen mit längerer Wartezeit rechnen“,

sagt die Frau am Empfangstresen.

Mit der Hand macht sie eine Geste Richtung Wartezimmer.

Ich nicke und nehme meine beiden hustenden Kinder an die Hand.

Wartezeit, natürlich.

Damit habe ich gerechnet.

Wir haben keinen Termin.

Das Wartezimmer der Arztpraxis ist voll.

Die Luft ist stickig.

Fast alle Stühle sind besetzt.

Ich höre Husten und Schniefen.

Ein Kind weint.

Zwei andere Kinder streiten.

Ich sitze auf dem Stuhl mit meinen Kindern auf dem Schoß.

Die Zeit vergeht im Schneckentempo.

Wie mich diese Warterei nervt!

Ein Patient wird aufgerufen.

Er springt auf und beeilt sich,

aus dem Wartezimmer zu kommen.

„Wann sind wir dran?“, fragt eines meiner Kinder.

Das frage ich mich auch.

Warten wir nicht schon ewig?

Vielleicht sind wir die Nächsten.

Ich lehne mich zurück und kann es kaum erwarten,

dass es weitergeht.

 

2. Wartezeit ist Lebenszeit

Laut einer Studie verbringen wir im Laufe unseres Lebens

etwa 374 Tage mit Warten.

Warten an der Ampel,

am Bahnhof, im Stau,

in der Arztpraxis, an der Kasse.

Warten, dass es weitergeht und besser wird.

374 Tage – mehr als ein Jahr!

Das finde ich unglaublich.

Manche finden,

man könne solche Wartezeiten doch für sich nutzen.

Ein bisschen Pause machen.

Mir fällt das schwer.

Ganz schnell stellt sich das Gefühl ein,

Zeit zu vergeuden.

Warten lässt mich unruhig werden.

Wie lange dauert es denn noch?

 

3. Warten im Advent

Bis Weihnachten dauert es nicht mehr lange.

Drei Kerzen brennen heute am Adventskranz.

Nächsten Sonntag ist es soweit.

Dann erzählen wir wieder die große Hoffnungsgeschichte:

Wie Gott als Baby in diese Welt gekommen ist.

Geboren in einem Stall in Bethlehem.

„Retter der Welt“ wird er genannt.

Ein „Friedensbringer“ wird er sein.

Einer, der die Welt zum Guten verändert.

Und die Hoffnung ruht auf seiner Schulter.

So wird es kommen.

 

4. Wider Erwarten ganz anders…

Für Johannes den Täufer war es anders gekommen.

Er hatte die Hoffnung fast verloren.

Denn er saß im Gefängnis.

Er hatte gepredigt.

Öffentlich gesagt, was richtig und falsch war.

Das hatte nicht allen gefallen.

Darum hatte man ihn festgenommen.

Tag ein Tag aus verbrachte er mit Warten.

Und nachdenken.

Er wusste nicht mehr,

was er glauben sollte.

Früher war das anders gewesen:

Er hatte alles von Gott gewusst.

Er hatte Jesus für den gehalten,

auf den sie so sehr gewartet hatten.

An die erste Begegnung mit Jesus erinnerte er sich,

als wäre es gestern gewesen.

Jesus hatte sich von ihm taufen lassen wollen.

Von ihm, der er doch, wenn überhaupt,

nur ein kleiner Zeigefinger sein könnte

für den Gottessohn,

den „Friedensbringer“,

auf den sie hofften.
Also hatte Johannes ihn getauft.

Und dann die Stimme aus den Wolken,

die sagte:

„Ja, er ist es.

Das ist mein lieber Sohn, auf den sollt ihr hören!“

Aber dann war es so ganz anders gekommen.

Was für eine Botschaft,

die Jesus predigte!

Und nicht nur mit Worten!

Sein ganzes Leben:

Immerzu war er bei den Leuten, 

denen Johannes in seiner Predigt

angekündigt hatte: Euch trifft das Gericht Gottes.  

Johannes hatte sich das mit dem Gottessohn anders vorgestellt.

Mit Zöllnern und Prostituierten saß Jesus am Tisch.

Er predigte von Vergebung für Feinde.

Und dass man die segnen sollte,

die einem Böses wollen.

Er hatte so viele Kranke geheilt.

Das Gericht war nicht an erster Stelle sein Thema.

Tage wurden zu Wochen.

Und Johannes verbrachte sie mit Warten.

Der Zweifel nagte an ihm.

War Jesus der, auf den sie hofften?

Müde saß er in seiner kalten und nassen Zelle.

Den Kopf legte er auf die angezogenen Knie.

Früher war er sich doch so sicher gewesen!

Er hatte Antworten auf Fragen.

Jetzt war nichts mehr klar.

Es war nur noch kalt und finster.

Manchmal kann es so schwer sein im Leben,

dass man nicht mehr weiß,

woran man glauben soll.

 

5. Ist er es?

Johannes hatte ein paar Jünger,

die ihn besuchten.

Eigentlich war das nicht erlaubt.

Aber wenn man ein paar Silbergroschen dabeihatte,

war doch das eine oder andere möglich.

Nun standen die Männer vor dem Gitter der Zelle.

Und Johannes kauerte im Schmutz. 

Ein gebrochener Mann, das konnte man sehen.

Keiner wusste so recht, was er sagen sollte.

Es gab keinen Trost.

Und dann sagte Johannes :

Ich sehne mich nach Hoffnung!

Bitte fragt Jesus:

„Bist du der, der kommen soll,

oder müssen wir auf einen anderen warten?“

Die Frage hing schwer zwischen den Gitterstäben:

„Bist du es? Oder müssen wir weiter warten?“

 

II

6.   Die Welt im Wartezimmer

Annie Heger singt:

„Jetzt kommt wieder die Weihnachtszeit

Frieden auf der Erde

Wie gehen wir mit Menschen um -

und was tut uns selbst weh?

Jetzt kommt wieder die Weihnachtszeit

Die Dämmerung ist zu Ende.

Das Licht als große Chance …“

 

Bis Weihnachten dauert es nicht mehr lange.

Dann werden wir genau diese alten Worte wieder hören:

Das kleine Gotteskind im Stall von Bethlehem.

Frieden auf der Erde.

Licht für die Welt.

Ach, warten wir darauf nicht schon ewig?

„Sie müssen mit längerer Wartezeit rechnen.“

Als Christinnen und Christen haben wir uns irgendwie darauf eingestellt.

Und die Welt wird zum Wartezimmer des Weltenretters.

Nicht nur im Advent!

Das ist doch schon ein Dauerzustand.

Das Wartezimmer ist voll.

Die ganze Welt wartet,

krank an Leib und Seele –

am Ende ihrer Reserven.

Verschmutzte Luft, Krankheiten, Hunger.

Ich höre Weinen und Klagen,

Ich sehe Angst in den Augen.

Die vielen Kriegstoten!

Und noch zwei Völker mehr,

die gegeneinander die Waffen erheben.

Wenn ich an Bethlehem denke,

in diesen Tagen,

dann denke ich nicht an den Stall,

das Stroh oder den hellen Stern am Himmel.

Ich denke an den Krieg,

der das Heilige Land zerreißt.

Und mittendrin die Stadt,

in der die Hoffnung geboren wurde.

Die Welt wartet.

Ist das zu erwarten, dass da noch etwas kommt?

Freude? Frieden? Hoffnung und Licht?

Ich spüre, wie an mir der Zweifel nagt.

„Jesus, bist du der, der kommen soll,

oder müssen wir auf einen anderen warten?“

 

7.   Jesu Antwort und die bleibende Frage

Drei Tage, nachdem Johannes seine Jünger losgeschickt hat,

kommen sie zurück.

Sie gehen zu Johannes in den Kerker.

Und dann fangen die Jünger an zu erzählen.

Johannes hört zu.

„Wir haben Jesus getroffen“,

sagt einer der Männer.

„Wir haben ihm deine Frage gestellt.

Und wir sollen dir was ausrichten.

Jesus sagte nämlich:

Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht:

‚Blinde sehen und Lahme gehen.

Menschen mit Aussatz werden rein.

Taube hören, Tote werden zum Leben erweckt,

und Armen wird die Gute Nachricht verkündet.‘

Und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.“

Das berichten die Jünger.

Und dann erzählten sie all die

Geschichten von Jesus,

die sie gehört haben:

Wie er das kleine Mädchen,

das tot war,

wieder lebendig gemacht hat.

Und sie erzählen von dem Mann,

den Jesus berührt hat,

und dann konnte er wieder sehen.

Sie erzählen von den fünftausend Menschen,

die er alle satt gemacht hat.

Und Johannes hört aufmerksam zu.

Ob er etwas dazu gesagt oder gedacht hat,

wissen wir nicht.

„Bist du der, der kommen soll,

oder müssen wir auf einen anderen warten?“

Ich glaube: Diese Frage bleibt.

 

8. Bist du es – oder nicht?

Manchmal kann es so schwer sein im Leben,

dass man nicht mehr weiß,

woran man glauben soll.

Jesus, bist du es – oder nicht?

Vielleicht ist das auch Ihre Frage,

jedes Mal, wenn Sie zweifelnd Kerze um Kerze

auf dem Adventskranz anzündest.

Ist es Gewohnheit?

Ist es Hoffnung?

Und ich frage es mich auch:

Zwei Drittel der evangelischen Kirchenmitglieder tendieren zum Kirchenaustritt.

Kirche und Religion sind vielen gleichgültig geworden.

Ich frage mich auch:

Diese Kirche? Diese Botschaft? Dieser Jesus?

Ist es das, was kommen soll?

Oder sollen wir auf einen anderen warten?

 

9.   Tun, was er sagt…

Tatsächlich gibt Jesus ja eine Antwort.

Kein einfaches „Ja, bin ich.“ – was ja schön wäre!

Jesus antwortet so:

„Geht und berichtet, was ihr hört und seht:

‚Blinde sehen und Lahme gehen.

Menschen mit Aussatz werden rein.

Taube hören, Tote werden zum Leben erweckt,

und Armen wird die Gute Nachricht verkündet.‘“

Vielleicht kann man das tun,

was Johannes getan hat:

Sich die alten Geschichten von Jesus erzählen lassen.

Oder sie selbst erzählen.

Hören, wie er einen, der gelähmt war, geheilt hat.

Was er gesagt hat, die guten Worte:

Dass Frieden zwischen Menschen möglich ist.

Dass wir nicht allein durchs Leben gehen,

sondern mit Gott an unserer Seite.

Dass aus Weinen Lachen werden kann.

Dass das Leben nicht einfach aus und vorbei ist,

wenn mein Herz aufhört zu schlagen.

 

„Bist du es, der da kommen soll,

oder sollen wir auf einen andern warten?“

Die Frage bleibt.

Die Antwort können wir nur selbst herausfinden.

Du und ich.

Und alle, die warten und hoffen.

 

10. … und für sich zu einem Schluss kommen

Advent – das ist die Zeit der Träume

und Wünsche und Sehnsüchte.

Und ich merke:

Ich will weiter träumen und hoffen,

dass es nicht so bleiben muss, wie es jetzt ist.

 

Annie Heger singt:

„Jetzt kommt wieder die Weihnachtszeit

Frieden auf der Erde

Jetzt kommt wieder die Weihnachtszeit

Die Dämmerung ist zu Ende,

Das Licht als große Chance …“

 

Ja! Wenn ich an Bethlehem denke,

dann will ich genau daran denken!

Wie Gott als Baby in diese Welt gekommen ist.

„Retter der Welt“ wird er genannt.

Ein „Friedensbringer“ wird er sein.

Einer, der die Welt zum Guten verändert.

Der Licht ins Dunkel bringt.

Und die Hoffnung ruht auf seiner Schulter.

 

Und ich will daran denken,

welche Hoffnung Jesus in diese Welt gebracht hat:

Dass wir nicht allein sind.

Dass wir keine Angst haben müssen.

Dass aus Weinen Lachen werden kann.

Dass Frieden möglich ist.

 

„Bist du es, der da kommen soll,

oder sollen wir auf einen andern warten?“

 

Ich will auf keinen anderen warten.

Amen

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Amen

Es gilt das gesprochene Wort.

10.05.2023
Pastorin Ina Jäckel