Spielraum! 7 Wochen ohne Blockaden

Spielraum! 7 Wochen ohne Blockaden
Rundfunkgottesdienst aus der Ev. Matthäuskirche in Frankfurt am Main
14.03.2021 - 10:05
09.03.2021
Pfarrerin Dr. Annegreth Schilling und Pfarrer Martin Vorländer
Über die Sendung

 

 

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen

Teil 1
(Vorländer) Liebe Hörerin, lieber Hörer!

„Du meine kluge Eselin!“ oder „Du mein treuer Esel!“. Das sind nicht gerade Kosena-men aus dem Tierreich, die Liebende oder Freunde füreinander verwenden. „Spatzl“, „Mäusi“, „Du meine Löwin“, „Mein Bär“ – das lässt man sich gefallen. Aber Eselin oder Esel? Bestimmt nicht!
In der Geschichte aus der Bibel über den Propheten Bileam und seine Eselin ist das an-ders. Da ist die Eselin der Schatz, das Goldstück, die Heldin. Sie erkennt besser als Bileam: Es gibt Blockaden, die sollte man lieber nicht ignorieren.
Die Eselin sieht den Engel, der mit gezogenem Schwert den Weg versperrt. Aber ihr Reiter, der Prophet Bileam, ist blind für die tödliche Blockade. Er treibt sie mit aller Gewalt vorwärts.
Tier und Mensch scheinen die Rollen vertauscht zu haben: Die Eselin ist hellsichtig wie ein Prophet, und der Prophet Bileam ist störrisch wie ein Esel.

(Schilling) “Du meine kluge Eselin!”, das klingt tatsächlich nicht charmant. Aber es gibt sie, die Menschen, die mich gut kennen. Die mich tragen und ertragen mit meinen gu-ten Seiten und mit meinen störrischen Eigenheiten. Und die mir, wenn’s nötig ist, auch mal sagen: Stopp! Nicht weiter! Es reicht.
Ich bin froh über die Begleiterinnen und Begleiter meines Lebens, die es gut mit mir meinen und mir deshalb auch mal Kontra geben.
Zugegeben - oft verhalte ich mich dann wie Bileam. Ich will die Warnsignale nicht se-hen und hören, sondern ich will weiter und kenne kein Halten. Aber diese gutmeinen-den Stimmen in meinem Leben nerven so lange, bis ich endlich stehen bleibe und er-kenne: Es gibt mehr als nur diesen einen Weg. Ich sollte die Richtung wechseln – und ich kann es auch.

(Vorländer) Bei der Eselin denke ich auch an den eigenen Körper: Der muss mich eben-falls tragen und ertragen. Und den peitsche ich manchmal kräftig vorwärts.
Geht mal was „kaputt“, fährt es ins Kreuz, kommt er eben in die Reparatur, so wie man ein Auto in die Werkstatt bringt. „Die Ärztinnen und Therapeuten sollen das mal richten!“ Und weiter geht’s im selben Tempo.
Aber bevor der eigene Körper in die Knie geht, ist es besser, ich merke rechtzeitig: So kann ich nicht weitermachen. Ich muss was ändern.
(Schilling) Der Prophet und die Eselin. Und dann gibt es in der Geschichte noch den Engel. Der ist kein freundlicher Schutzengel. Dieser Engel hat sein Schwert gezogen. Bereit zum Kampf. Mit dem ist nicht zu spaßen. Wenn man ihn übergeht, wird er das Schwert gebrauchen und töten. Darüber lässt die Geschichte keinen Zweifel.

(Vorländer) Es gibt Blockaden, die mich aufhalten. Ich kann sie überwinden. Aber es gibt auch Blockaden, die mich aufhalten sollen. Bei denen es gefährlich ist, wenn ich sie ignoriere.
In der Liebe kann es ein Satz sein, der wie ein Block zwischen beiden steht, der etwas am Gefühl füreinander sterben lässt. Man spürt: Hier ist ein Endpunkt erreicht.
Oder in Freundschaften: Ein Problem steht im Raum. Aber beide Seiten wollen es nicht sehen. Sie plaudern drüber weg, weichen aus. Bis nichts mehr geht und die Freund-schaft am Boden liegt. Die Frage ist dann: Gibt es die Chance, dass die Freundschaft wieder aufsteht?

(Schilling) In der biblischen Erzählung ist es der Engel des Herrn, der Bileam den Weg versperrt. Eine Blockade, die Gott schickt. Sehe ich Gott hinter den Blockaden in mei-nem Leben? Darum geht es nach der Choralbearbeitung von Johann Sebastian Bach: In dir ist Freude in allem Leide.

Teil 2
(Schilling) Der Prophet Bileam auf seiner Eselin will mit aller Gewalt seinen Weg durch-setzen. Er sieht den Engel Gottes nicht, der ihm mit gezogenem Schwert den Weg ver-sperrt.
Gottes Engel als drohender Todesengel. An dieser Stelle halte ich den Atem an. Ich muss an die Corona-Pandemie denken. Eine Blockade, die die ganze Welt bedroht und zum Stillstand zwingt.
In der biblischen Geschichte geht die Eselin vor dem Engel Gottes in die Knie, und der Prophet Bileam liegt am Boden. Geht das uns gerade so? Gehen wir in die Knie? Liegen wir am Boden und mit uns unser “way of life”, unsere Art zu leben?

(Vorländer) Ich wehre mich immer gegen solche Sätze: Corona will uns was sagen. Jetzt bekommen wir die Quittung. Corona ist eine Lehre. Oder: In jeder Krise liegt eine Chance.
Ich finde: Eine Krise ist eine Krise. Ein Virus ist ein Virus. Klar, ein Virus ist auch Teil von Gottes Schöpfung. Aber dass Gott uns Corona geschickt hat, um uns was beizu-bringen oder um uns zu bestrafen? Das wäre schon eine verdammt schwarze Pädago-gik, ein zynischer Gott, dessen Unterrichtsstunde viele Tote kostet. Das glaube ich nicht.
(Schilling) Trotzdem gibt mir diese große Blockade der Corona-Krise zu denken. Denn sie führt mir drastisch vor Augen, welche anderen Blockaden es gibt. Die Ungleichheit zwischen Arm und Reich hier bei uns in Frankfurt war schon vorher da. Durch die Pan-demie hat sie sich noch verschärft.
Das gilt auch weltweit. Die reichen Länder bekommen jetzt nach und nach den Impf-stoff - was ist mit den armen Ländern?
Ich denke auch an die Blockaden an den Außengrenzen Europas.
Es tut mir weh anzusehen, wie die Hilfe für Menschen in den Lagern von Lipa in Bosni-en und Lesbos in Griechenland blockiert werden.
Für mich liegt da die Mitmenschlichkeit am Boden. Keine Heizung, keine Nahrung, nicht einmal warme Milch für Babies. Und vor allem keine Lebensperspektive. Manch-mal frage ich mich: Sehen wir den Engel Gottes nicht, der uns sagt: Stopp, es reicht! Nicht weiter!?

(Vorländer) Jetzt haben wir einige massive Blockaden beieinander. Wo bleibt der Spiel-raum?

(Schilling) Ich denke an den Schluss der biblischen Geschichte von Bileam, der Eselin und dem Engel. Die Eselin ist in die Knie gegangen. Auch Bileam liegt am Boden und sagt zu dem Engel Gottes: Ich habe gesündigt. Ich war auf dem Weg ins Verderben. Wenn du willst, kehre ich um.
Bileam ist ganz unten. Und
dieser Tiefpunkt wird für ihn zum Neustart. Der Engel lässt ihn leben und gibt den Weg frei.
Weiterleben und neue Schritte tun, das steht am Ende dieser Geschichte.
Ich versuche das so. Ich vertraue darauf: Tiefpunkte müssen keine Endpunkte sein. Ich kann umkehren. Ich kann neue Schritte tun und wieder Spielraum gewinnen. Ich werde nicht alle Blockaden dieser Welt überwinden. Aber ich kann in Richtung Spielraum lau-fen. Und ich hoffe darauf, dass der Engel Gottes sagt: Auf! Los jetzt! Wo wir Spielräu-me entdecken, davon erzählen wir nach der Orgelimprovisation.

Teil 3
(Vorländer) Wo entdecke ich meine Spielräume? In dieser Zeit der Einschränkungen kann ich natürlich die ganze Zeit nur auf die Einschränkungen starren. Mir bringt das auf Dauer nichts.
Also schaue ich auf das, was geht. Meine Nachbarin hat gesagt: “Es gibt wenig Gutes, das Corona gebracht hat. Aber ein Gutes ist unsere Bar.” Wir nennen sie: “Bar zum Gartenzaun”.
Die Bar zum Gartenzaun, das ist die Sonntagabend-
Verabredung, die mein Mann und ich mit dem Nachbars-Ehepaar haben. Wir treffen uns sonntags um 18 Uhr am Gartenzaun. Wir stehen unter freiem Himmel, auf Abstand.
Unser Nachbar hat im vergangenen Jahr das Kochen entdeckt. Er bringt jeden Sonntag eine neue Köstlichkeit mit. Mein Mann und ich steuern etwas Süßes oder zum Knab-bern bei. Und beide Seiten des Gartenzauns haben ein Kaltgetränk parat. Schon ist die Bar zum Gartenzaun perfekt - corona-konform, labt die Kehle, erfreut den Gaumen, stärkt die Seele.

(Schilling) Mir hat eine befreundete Kollegin den Spielraum gezeigt, um etwas zu tun für das Thema, das mich umtreibt: die Rettung von Menschen im Mittelmeer.
Sie hatte einen runden Geburtstag und hat dafür in den Sozialen Medien eine Spen-denaktion gestartet. Als Geschenk konnte man für “United for Rescue” spenden.
Das ist ein Bündnis von vielen einzelnen Gruppen und Organisationen - mit dabei die Evangelische Kirche. Die haben gemeinsam ein Rettungsschiff ins Mittelmeer geschickt. Nur mit Spenden finanziert. Die Crew des Schiffs rettet geflüchtete Menschen aus See-not.
Ich habe gespendet. Das ist keine große Heldentat. Ich kann es vom Sofa aus machen. Aber es ist ein kleiner Schritt, ein Zeichen, eine Geste dafür: Mit der Blockade Europas will ich mich nicht abgeben. Ich schaue nicht tatenlos zu, wenn tausende Menschen ertrinken. Gemeinsam mit vielen anderen kann ich selbst Spielraum schaffen.

(Vorländer) Ich habe noch einen kleinen Vorsatz zum Thema Blockade und Spielraum. Ich glaube, der Vorsatz passt für uns beide, liebe Annegreth! 
Wir sind beide Menschen, die gern das erste und das letzte Wort haben und zwischen-drin auch noch anderen ins Wort fallen… 
Ich habe mir für die Passions- und Fastenzeit vorgenommen: In Videokonferenzen, in Telefonaten, in leibhaftigen Gesprächen schaue ich darauf, dass vor allem der andere zu Wort kommt. Spielraum! Ich will andere nicht blockieren. 
Schon in den ersten vier Wochen der Fastenzeit hat das sehr gut getan. Wenn ich mich zurücknehme, können andere vorkommen - und das Ganze wird origineller und gehalt-voller.

(Schilling) Da bin ich dabei. Ich glaube, lieber Martin: In den drei Wochen bis Ostern schaffen wir das! Amen.
 

 

Es gilt das gesprochene Wort.
 

09.03.2021
Pfarrerin Dr. Annegreth Schilling und Pfarrer Martin Vorländer