Inventar

Wort zum Tage
Inventar
von Domprediger Michael Kösling, Berlin
31.08.2016 - 06:23
07.09.2016
Domprediger Michael Kösling

Es gibt  Einiges zu sehen im Berliner Dom.  Die riesige Goldene Apostelschranke stammt noch aus dem Vorgängerbau und auch das Taufbecken dahinter. In der Gruft stehen die alten Särge der Hohenzollern. In einem der ältesten liegt der „Große Kurfürst“, Friedrich Wilhelm. Unser neuestes Inventarstück sieht edel aus. Schwarz glänzend spannt sich  Stoff darüber. Es ist nicht besonders schwer. Sogar zusammenklappbar. Das ist praktisch, weil man es bequem hin- und wieder wegstellen kann. Wenn wir diesen 1 Meter vierzig hohen Tisch aufstellen, dann immer mit einer Kerze und einem dicken schweren Buch darauf. Das ist auch  schwarz. Wie gerne würde ich auf dieses Inventar verzichten. Nach  den Anschlägen in Paris, Brüssel und Nizza, nach dem Amoklauf in München - Immer, wenn eine schreckliche Nachricht  uns trifft, stellen wir den Tisch auf, ziehen die schwarze Husse darüber, legen ein neues Buch darauf und entzünden daneben eine Kerze. Schrecklich normal sind diese Abläufe geworden. Jeder weiß, wo die Dinge zu finden sind. Wir haben mehrere Bücher auf Vorrat angeschafft. Ist das schon Hoffnungslosigkeit?  Die Betroffenheit ist jedes Mal neu da und auch die Trauer. Die Bücher werden immer voll.  Viele Sprachen der Welt in Gebete gefasst. Klagen und Bitten gegen den Schreck und die Furcht. Kurze Sätze sind das oft. Brüchige Worte. Nur Wenige schreiben einen flüssigen Text. Und manchmal ist es nur der eigene Name neben dem Datum, den Menschen in dieses Buch schreiben. Der eigene Name gegen alles, was das Leben zerstören möchte. Der eigene Name reicht noch gegen die Sprachlosigkeit und die Ohnmacht. Der eigene Name gegen Tod und Gewalt. Der eigene Name für das Leben. Und ich merke, wie wichtig dieser Tisch ist. Mit ihm haben die, die an ihn herantreten, immer noch die Bitte  um Frieden. Auch, wenn die Erfüllung auf sich warten lässt. Mit diesem Buch und dem Stift haben die Menschen immer noch die Klage. Auch, wenn alles verstörend bleibt und vieles unaufgelöst. An diesem Tisch bitten und klagen sich die Menschen in eine andere Zukunft hinein, in der Gott die Tränen abwischen wird und der Tod nicht mehr sein wird, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz. Ja, in dieser Zukunft soll wenigstens ihr Name jetzt schon genannt sein. Mit Datum. Vielleicht noch mit der Heimatadresse, damit man  auffindbar ist, wenn diese Zukunft Wirklichkeit wird. Es sind dicke hoffnungsschwangere Bücher, die wir dann nach einer gewissen Zeit wieder zuklappen und die wir gut  aufheben. Und wenn wir die Kerze löschen und das schwarze Tuch zusammenlegen und den Tisch wegtragen, dann machen wir das mit einer großen Hoffnung. Ach, wäre es doch zum letzten Mal!

07.09.2016
Domprediger Michael Kösling