Jetzt ist er weg
Himmelfahrt ist vorbei. Die Jünger haben erlebt, wie Jesus auf einer Wolke in den Himmel gefahren ist, und sie sind wieder allein. Schon wieder. Gerade ist der Schock der Auferstehung bei Ihnen etwas abgeklungen, gerade haben sie vielleicht ein wenig begreifen können, dass der Tod nicht das Ende von Jesu Gegenwart bedeutet. Da ist er auch schon wieder weg.
Die letzten zwei Monate sind eine zermürbende Achterbahn der Gefühle gewesen. Die Wunder, die Hoffnung, die Sie davor mit Jesus erlebt hatten. Dann die Katastrophe, Jesu Gefangennahme, ein Schauprozess, seine Hinrichtung. Dann haben ihnen ein paar Frauen, ebenfalls Jüngerinnen, berichtet, dass sie Jesus lebend gesehen haben. Schließlich sein Auftauchen mitten unter ihnen, seinen alten Weggefährten, Freunden, Schülern. Jetzt ist er wieder da. Jetzt wird alles gut. Oder?
Tatsächlich bleibt Jesus nicht bei seinen Jüngern. Als er sie endgültig verlässt, kündigt er immerhin an, dass sie nicht allein bleiben werden. Er werde einen Beistand senden, einen Tröster. Was sollen sich die Jünger aber darunter vorstellen? Einen weiteren Propheten, einen Rabbi? Und wenn der sie dann auch wieder verlässt? Ist Jesus nicht einzigartig, unersetzbar? Voller Fragen kehren die Jünger nach Jerusalem zurück und tun erst einmal (fast) nichts. Sie beten. Neun Tage lang.
Neun Tage Ungewissheit
Natürlich ist mir die Situation der Jünger vollkommen fremd. Und natürlich ist mir die Situation der Jünger zugleich sehr vertraut. Ich kenne das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Meine Karrierepläne sind nicht aufgegangen. Ein wichtiger Mensch in meinem Leben ist plötzlich nicht mehr da. Mein Körper funktioniert nicht mehr so, wie ich ihn kenne. Der Friede in Europa, meiner Welt für diesen Moment, ist nicht so sicher, wie ich immer dachte. Die Klimakrise verändert die Erde. Nichts scheint mehr so wie es war. Und nichts wird so bleiben wie es ist.
Die Jünger sind verunsichert - und ich mit ihnen. In solch einer Krise tendiere ich dazu, mich zurückzuziehen. Ich habe genug zu tun mit meinen Problemen. Da stören andere Leute nur – oder störe ich sie? Ich will auch niemandem zur Last fallen. Allerdings tun die Jünger in dieser Situation das Gegenteil. Sie suchen die Gemeinschaft mit ihren Freundinnen und Freunden in Jerusalem, sie bleiben beieinander.
Sie analysieren offenbar nicht ihre Situation. Sie schauen nicht auf ihre Probleme oder trauern um ihre geplatzten Träume. Sie machen keine Pläne für die Zukunft. Sie beten einfach nur, gemeinsam.
Sie konzentrieren sich auf das, was sie verbindet – untereinander und mit Gott. Gut, wahrscheinlich gehören da auch ihre Probleme und ihre Pläne dazu, ebenso ihre Traurigkeit. So aber in einem anderen Licht, mit einem anderen Blick. Neun Tage bleiben sie dabei, bleiben sie dran am Gebet. Jeden Tag entscheiden sie sich neu dafür. Dieser „Gebets-Marathon“ bringt Jesus nicht zurück, löst nicht ihre Probleme. Aber er hilft den Jüngern dabei, am Leben zu bleiben, weiterzumachen. Vielleicht lernen sie, das Erlebte zu verarbeiten. Vielleicht werden sie langsam bereit für eine Veränderung, zuerst in ihnen selbst.
Alles bleibt anders
In dieser Zeit nehmen sie auch einen neuen Jünger in ihren Kreis auf. Die schmerzliche Lücke, die Judas hinterlassen hat, wird wieder geschlossen. Es ist auch eine Zeit der Heilung. Und schließlich wird das Pfingstfest kommen. Die von Jesus versprochene Gegenwart Gottes werden die Jünger und Jüngerinnen am eigenen Leib erfahren. Wenn sie einen neuen Anführer oder eine endgültige Antwort auf all ihre Fragen erwartet haben, dann werden sie enttäuscht werden. Denn Gott bleibt sich auch hier selbst treu - und kommt anders als erwartet.
Nicht die Welt wird sich an Pfingsten ändern, sondern die Menschen. Gott wird sie mit Energie und Eigenschaften ausstatten, die in der Kirche als „Geistesgaben“ bezeichnet werden: Weisheit, Einsicht, Rat, Stärke, Erkenntnis, Gottesfurcht und Frömmigkeit. Und vor allem aufs Neue mit den großen Drei: Glaube, Hoffnung und Liebe. Der Anfang der Kirche. Doch noch ist das Zukunftsmusik. Noch herrscht Zwischenzeit. Noch beten die Jünger gemeinsam. Noch warte ich mit ihnen. Und hoffe mit ihnen, dass da noch was kommt.