Kann ich sehen, was mir Hoffnung gibt? Beweisen lässt sich die Hoffnung nicht. Aber in der Bibel gibt es Bilder für sie. Ein Beitrag der evangelischen Kirche.
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"Glauben heißt: Über den Horizont zu schauen." So lautet ein afrikanisches Sprichwort. Was ist gemeint?
Der Horizont begrenzt unseren Blick. Steht man am Strand oder auf einem Berg und blickt in die Weite, dann ist der Horizont genau die Linie, wo sich Himmel und Erde treffen. Menschen früherer Jahrhunderte glaubten daher, die Erde sei eine Scheibe, über die sich der Himmel wölbt. Das entspricht dem Bild, das sich unseren Augen bietet.
Es ist ein schützendes Bild: Der Himmel begrenzt die Erde an ihren Rändern und bewahrt die Menschen vor dem Sturz ins Nichts. So dachte man im antiken Babylon, bis der griechische Philosoph Aristoteles bereits 400 Jahre vor Christus das Gegenteil bewies. Eine flache Erde ist ein Trugbild, auch wenn unsere Sinne dies als Wirklichkeit vermitteln.
Die Bibel ist misstrauisch gegenüber bloßen Wahrnehmungen. Das zeigt bereits die Schöpfungserzählung am Anfang der Bibel. Anders als in den antiken Mythen über die Entstehung der Welt ist es Gott, der die Sonne, den Mond und die Sterne schafft. Sie sind keine eigenständigen Himmelsgötter, die das Leben regieren, sondern lediglich Lampen, die der biblische Schöpfergott an den Himmel gehängt hat.
Mit dieser Aussage grenzt sich die Bibel ab von den Erzählungen antiker Völker. Entscheidend ist aber nicht die Abgrenzung, sondern der Blick auf unsere Welt. Denn über Gottes Schöpfung heißt es: "Siehe, alles war sehr gut." (Genesis 1,31) Diese Worte vereinen beides: Das Lob des Schöpfers und die Hoffnung für die Welt, dass sie erhalten bleibt als ein Ort, wo dieses Lob erklingen kann.
"Glauben heißt: Über den Horizont zu schauen." Das afrikanische Sprichwort nimmt den Blick auf den Horizont als Grenze ernst. Aber diese Grenze ist mehr als eine Wahrnehmung. Sie steht für eine besondere menschliche Erfahrung: In unserem Leben stoßen wir an Grenzen. Manche können wir erweitern oder sogar überwinden. An anderen scheitern wir.
Die letzte absolute Grenze ist der Tod. Er scheint alles in Staub zu verwandeln, was einen Menschen ausgemacht hat. Manchmal finden Menschen Trost darin, "wenn der Verstorbene sein Leben gelebt hat" oder wenn das Leben so reich war, dass der Tote hätte sagen können: "Ich habe genug." Manchmal aber werden Menschen mitten aus dem Leben gerissen. Dann erscheint ihr Leben nicht erfüllt, sondern abgebrochen und der Tod macht jeden Sinn zunichte. "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?", schreit der vielleicht 30-jährige Jesus am Kreuz (Markus 15,34).
Wie soll man dann Trost finden? Wie ist es möglich, die Sinnlosigkeit auszuhalten, ohne sie vorschnell aufzulösen? Denn so wäre der Riss durch unsere Wirklichkeit nur zugeschüttet, nicht aber geheilt.
Dieser Konflikt spiegelt sich auch im Neuen Testament wider: Im Markusevangelium schreit der sterbende Jesus seine Gottverlassenheit direkt heraus. Im Unterschied dazu legt das - viel später geschriebene - Johannesevangelium Jesus folgende Worte in den Mund: "Es ist vollbracht." (Johannes 19,30) Der Akzent verschiebt sich. Die Kreuzigung wird zu einem sinnvollen Akt, zu einem Sieg. Aber wozu braucht es dann noch einen Karsamstag, an dem Jesus tot im Grab liegt und jede Hoffnung gestorben scheint? Könnte man nicht sofort zur Osterfeier übergehen?
Und doch gehört der Karsamstag ganz der Sprachlosigkeit, mit der Menschen auf das Sinnlose reagieren. Es steht nirgends geschrieben, wann Jesus vom Tod auferstanden ist. Irgendwann zwischen Karsamstag und dem Ostermorgen. Irgendwann zwischen Nacht und neuem Licht. Erst dann ist es möglich, über den Horizont zu schauen. Noch Anderes und Mehr für möglich zu halten, als unsere Sinne uns vermitteln. Darauf zu vertrauen, dass Gott den Verstorbenen und den Lebenden treu bleibt in seiner Liebe.
Ist es möglich, diese Hoffnung auch unserer Wahrnehmung zugänglich zu machen? Entzieht sie sich den Sinnen? So formuliert es der Apostel Paulus: "Denn wir sind gerettet auf Hoffnung hin. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht?" (Römer 8,24)
Und doch finden Menschen Bilder für ihre Hoffnung und Trost, der sinnlich wahrnehmbar ist. Zum Beispiel im Licht. Aus gutem Grund zünden Christ:innen Osterkerzen am Ostermorgen an und leuchten in die Dunkelheit. Denn das Licht ist keine Materie. Und doch können wir es mit unseren Sinnen wahrnehmen.
Eines der eindrücklichsten Bilder für solchen Trost habe ich in Israel gefunden und zwar in Keren Or (übersetzt "Lichtstrahl"), einer besonderen Farm. Die Tiere, die dort leben, wurden vernachlässigt oder waren Gewalt ausgesetzt. Um sie kümmern sich nun Freiwillige, die selbst aus der Bahn geraten sind, zum Beispiel durch den Terroranschlag des 7. Oktober.
Ein besonderer Bereich der Farm ist dem Andenken an die junge Schwester der Gründerin gewidmet. Am 7. Oktober 2023 wurde Hilly Solomon von Hamas-Terroristen auf dem Nova-festival umgebracht. Hillys Garten ist für Hunde bestimmt, die nach dem 7. Oktober aufgegriffen wurden, verwundet, krank und hungrig. Hier genesen sie und fassen langsam wieder Vertrauen zu Menschen.
Eine große Tafel steht am Eingang dieses Gartens. Eingraviert sind Hillys Name und ihre Silhouette, die Umrisse von Hunden und eine Inschrift: "See the Good". Denn das - so beschreibt es ihre Schwester - war Hillys Lebensmotto: Das Gute im Menschen und in jedem Moment ihres Lebens zu entdecken.
Das Besondere an dieser Tafel ist: Durch die Umrisse des Namens, der Silhouetten und der Inschrift fällt Licht. Vor allem, wenn morgens die Sonne aufgeht. Dann leuchten Hillys Name und ihre Gestalt auf wie ein Gruß aus der Ewigkeit, jenseits unseres Horizontes.