Spurensuche
Der Wächter über den Schlaf
21.05.2022 10:00

„Schlaf ist die beste Medizin“, sagt ein Sprichwort. Wie wahr diese alte Weisheit ist, bestätigt die Schlafforschung. Unser Organismus regeneriert sich im Schlaf, und zwar nicht nur in physischer, sondern auch in psychischer Hinsicht. Besonders wichtig sind die Phasen, in denen wir träumen. Denn dann werden die Ereignisse des Tages zu Erinnerungen verknüpft und verarbeitet, damit wir auch am nächsten Tag für die Gegenwart und für Neues offen sind.

Ja, guter Schlaf ist wichtig. Aber was tun, wenn Stress und Angst den Alltag beherrschen und man nachts nur schwer zur Ruhe kommen kann? Wie derzeit viele ukrainische Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen.

 

Zufluchtsort Kirchengemeinde

Etwa 80 von ihnen, Frauen, Kinder, Jugendliche, alte Menschen haben Zuflucht in einer Berliner Gemeinde gefunden. Die Räume, die früher zu Gemeindezwecken genutzt wurden, sind umfunktioniert worden in Schlafsäle und Aufenthaltsräume. Und im Eingangsbereich befindet sich ein großes Lager für Sachspenden.

Gleich nebenan liegt ein Stadtpark. Aber dort sieht man die Gäste der Gemeinde nur selten. Denn sie trauen sich nicht, das umzäunte Gelände der Gemeinde zu verlassen. Vielleicht, weil feste Häuser und Zäune nach der Flucht erst einmal Sicherheit versprechen.

Für viele wird es schwierig, wenn der Abend kommt und es Zeit wird, schlafen zu gehen. Wie man Ruhe finden können, während die Lieben daheim kämpfen? Oder wenn man trauert um all das, was verloren ging?

 

Michael zum Beispiel

Gut, dass die Gemeinde viel dafür tut, damit sich die Gäste vor allem nachts sicher fühlen können. Ehrenamtliche wachen über ihren Schlaf und wer nicht schlafen kann, findet eine Ansprechperson.

Wie zum Beispiel Michael, ein Polizist. Einmal in der Woche übernimmt er eine Nachtwache, von 0 bis 3 Uhr. Dabei hat er mit der Gemeinde normalerweise gar nicht viel zu tun, aber in dieser Notlage möchte er helfen. Manchmal sind sie zu zweit, manchmal allein in der Schicht. Sie sind da, wenn es jemandem schlecht geht, und sind darauf vorbereitet, auch den Notarzt zu rufen, wenn es nötig sein sollte. Aber bisher konnten sich die Schutzsuchenden meist untereinander gut beistehen.

 

Gut, erzählen zu können

Einige von denen, die nachts keine Ruhe finden, suchen dann den Kontakt zu den ehrenamtlichen Helfern. Oxana zum Beispiel nutzt diese Gelegenheit sehr gern. Während nachts die Waschmaschine mit ihrer Wäsche läuft, erzählt sie Michael aus ihrem Leben. Dazu benutzt sie - wie alle in der Unterkunft - eine Übersetzungs-App. Das ist zwar umständlich, aber immerhin eine Möglichkeit, überhaupt Kontakt aufzunehmen. Sie erzählt Michael von ihrem vorherigen Leben in einem grünen Vorort von Kiew und sie ist stolz auf die beiden heranwachsenden Söhne. Mit ihren Kindern lebt sie schon lang allein. Das war anfangs schwierig, dann haben sie sich daran gewöhnt. In dieser Situation hat es sogar sein Gutes, weil Oxana sich nicht wie die anderen Frauen um einen Mann sorgt, der in der Ukraine jetzt kämpfen muss. Dann zeigt sie Michael Fotos aus dem letzten Familienurlaub in Lwiw, Lemberg. Die Erinnerung tut ihr gut, auch wenn das vergangene Leben sich jetzt so unwirklich anfühlt. Irgendwann wird dieser Krieg zu Ende sein. Dann wird sie mit ihren Söhnen zurückkehren und ihr Zuhause neu aufbauen.

 

Ein starkes Bild

Ja, ein guter Wächter in der Nacht ist da und wird aufmerksam, wenn seine Schützlinge nicht zur Ruhe kommen. Er wird Ohr und Herz öffnen für das, was anderen auf dem Herzen liegt. Denn das hilft einer erschöpften Seele heilsamen Schlaf zu finden und sich nicht zu erschrecken „vor dem Grauen der Nacht“ (Psalm 91, Vers 5).

Der Beter des 91. Psalms hat gespürt, wie sehr die Ruhelosigkeit seine Ängste noch vergrößert. In seiner Not wendet er sich an Gott und findet Bilder, die ent-ängstigen: „Du bist meine Burg, mein Gott auf den ich hoffe“. In seinem Gespräch mit Gott wächst das Vertrauen. Er hört plötzlich Gottes Zusage: „Ich bin bei ihm in der Not.“ Bei Tag und bei Nacht.