Morgenandacht
Gemeinfrei via unsplash/ Craig Melville
Frauen, Leben, Freiheit
27.10.2022 06:35

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Die Sendung zum Nachlesen: 

Am 13. September wurde Mah-sa Amini verhaftet. Mahsa oder Jina, wie ihre Familie sie mit ihrem kurdischen Namen nannte, kam aus einer Kleinstadt im Westen des Irans. Jina heißt „Leben“. Sie war mit ihrem Bruder in Teheran unterwegs zu Verwandten. Auf dem Weg wurde sie von der iranischen Sittenpolizei angehalten, eine Streife des „Ministeriums für die Wahrung der Moral und der Prävention der Unzucht“ nahm sie fest. Solche Sittenwächter überwachen in der Islamischen Republik Iran vorwiegend Frauen und die Einhaltung der Kleidervorschriften. Die Anordnungen zum Tragen des Hidschab sind streng.

 

Mahsa Amini war vermutlich wie sonst auch gekleidet. Die 22-jährige Iranerin, so die Anschuldigung, trug ihr Kopftuch nicht ordnungsgemäß. Ihr Haar war zu sehen. Wegen dieses Verstoßes gegen die islamische Kleiderordnung nahm sie die Sittenpolizei in Haft. Kurz darauf wurde sie in ein Krankenhaus gebracht. Sie lag im Koma, drei Tage später starb sie.

 

Der Tod von Mahsa Amini ging um die Welt und löste eine Protestwelle aus. Im Fernsehen und im Internet sieht man Frauen, die zur Schere greifen und sich ihre Haare abschneiden. Auch eine schwedische Abgeordnete im Europaparlament1. Videos gingen viral, in denen Frauen ihre Kopftücher verbrennen. Die Frauen begehren auf. Sie fürchten sich nicht. Sie fordern „Frauen, Leben, Freiheit“. Aus Solidarität mit den Frauen im Iran protestieren Menschen weltweit. Sie protestieren für die Rechte von Frauen im Iran und gegen Moralgesetze, die Frauen diskriminieren. Denn Mahsa hätte jede andere Frau im Iran und anderswo sein können.

 

Religiöse Gesetze gibt es, solange es Religionen gibt. Dabei scheint es ein Erbe patriarchaler Gesellschaften zu sein, dass für Frauen mehr und rigidere Vorschriften gelten als für Männer. Und zu allen Zeiten hat es auch Menschen gegeben, die über die Einhaltung dieser Vorschriften wachten – mal offenkundig, mal hinter vorgehaltener Hand.

 

So eine Art Sittenpolizei waren zu Zeiten Jesu die Schriftgelehrten und Pharisäer: Die brachten eine Frau, die auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt worden war, zu Jesus. Ihr Name ist unbekannt. Sie griffen nicht etwa den Mann auf, sondern die Frau, die Ehebrecherin. Sie wurde als Objekt für ihre Zwecke benutzt, missbraucht. Denn die Pharisäer und Schriftgelehrten wollten Jesus eine Falle stellen. Sie suchten einen Grund, um Anklage gegen ihn zu erheben. Würde Jesus sich gegen das Gesetz des Mose wenden? Oder die Frau zur Todesstrafe verurteilen und somit seine Befugnisse überschreiten und gegen römisches Recht verstoßen? Religiöse und staatliche Kompetenzen sind getrennt. Die Männer konfrontierten Jesus mit dem Fall: „Mose hat uns im Gesetz befohlen, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?“

 

Jesus schweigt. Er beugt sich vor und schreibt mit dem Finger auf die Erde. Die Bibel berichtet nicht, was er schrieb. Die Schriftgelehrten und Pharisäer pochen auf eine Antwort. Jesus steht auf und sagt zu ihnen: „Wer von euch ohne Sünde ist, der soll den ersten Stein werfen.“ Dann beugt er sich wieder und schreibt weiter auf die Erde. Ich wüsste sehr genau, welche Vergehen und Sünden ich in den Sand schreiben würde… 

 

Doch Jesus richtet sich auf und wendet sich der Frau zu: „Wo sind sie geblieben?“ Denn einer nach dem anderen, alle Männer sind gegangen. Allein die Frau steht noch wie angewurzelt da. „Hat dich keiner verurteilt?“ „Nein, Herr, keiner“, antwortet sie. Sie hat einen Fehler gemacht. Doch Jesus verurteilt sie nicht. Er heißt den Ehebruch nicht gut, aber er stellt ihn gleich mit anderen Vergehen. „Wer von euch ohne Sünde ist, der soll den ersten Stein werfen.“ Jesus nimmt aller moralischer Überlegenheit den Wind aus den Segeln.

 

Jesus verurteilt die Frau nicht und lässt sie gehen. Sie ist frei. Jesus stellt sich jeglicher Sittenpolizei entgegen auf die Seite dieser namenlosen Frau, auf die Seite unterdrückter Frauen. Er sieht sie an – auch die Frauen im Iran und anderswo. Und sie, wir, ich will gesehen werden und frei und in Würde leben. „Frauen, Leben, Freiheit.“

Es gilt das gesprochene Wort.