Predigt zum Nachlesen
Voll Vertrauen möchte ich ins Neue Jahr gehen, gelassen, ja heiter, weil ich mich auf das freue, was auf mich zukommt. „Ein gutes Neues Jahr wünsche ich Dir“- der kurze Gruß auf dem Handy oder die Karte im Briefkasten stärkt mein Vertrauen. Die Freundin, die mir schreibt, wird auch im kommenden Jahr mit mir Tee trinken, lachen und Pläne schmieden. Wir werden uns gegenseitig die Welt erklären, und wenn ich Sorgen habe, rufe ich sie an.
Ich vertraue darauf, dass jemand an meiner Seite ist. Wir überstehen auch Streit und Meinungsverschiedenheiten. Das ist ein großes, tiefes Glück, wenn ich Vertrauen schenken kann. Wenn mir Vertrauen geschenkt wird.
Es hilft mir, offen auf neue, auch fremde Menschen zuzugehen.
Enttäuschungen hören dazu. Manche Freundschaft geht auseinander, stirbt leise oder mit einem schmerzhaften Krach. Manchmal stehe ich ganz allein da, auch in einer liebevollen Partnerschaft.
Blindes Vertrauen ist nicht klug. Eine gesunde Portion Vorsicht und Lebenserfahrung nehme ich mit ins Neue Jahr.
Dafür brauche ich Selbstvertrauen. Es ist nicht egal, wie ich lebe, auch in diesem kommenden Jahr. Ich kann das Klima verbessern, im Kleinen wie im Großen. Ich sage meine Meinung, weil ich etwas zu melden habe. Ich werde gebraucht, gerade meine besondere Art ist wichtig. Und ich bin überzeugt, dass die Welt auf mich wartet.
Wer diese Überzeugung aber permanent in Kurznachrichten verbreitet, wer immer denkt, Fehler machen nur die andern, ist ein anstrengender Zeitgenosse. Die nagenden Selbstzweifel und die kritischen Blicke in den Spiegel gehören dazu, damit das Selbstbewusstsein realistisch bleibt.
Mir hilft dazu mein Gottvertrauen. Am Anfang des Jahres kann ich meine Augen heben aus den Sorgen des Alltags. Da gibt es so vieles, das ich nicht selbst in der Hand habe. Was aus den Kindern wird, und ob ich gesund bleibe.
Von Gott kommt mir Hilfe, haben wir gebetet. Wenn ich darauf vertrauen kann, wenn das wirklich mein Herz erfüllt, wird das Leben heller und heiter. Auf schlüpfrigem Boden unterwegs werde ich vertrauen, dass meine Füße nicht gleiten- weil Gott mir die Hand reicht. In der Hitze von Streit und in der Sorge, zu verbrennen, finde ich Ruhe, Schatten unter Gottes Flügeln. Wenn meine Seele müde ist und zu schwer, um morgens aufzustehen, weckt mich ein Licht vom Himmel.
Ich muss nicht unfehlbar sein, nicht immer stark. Weil Gott mir sagt: Du bist mein geliebtes Kind.
Manchmal kommt sie tief aus meinem Herzen, die Hilfe Gottes.
Oder aus der Weite über mir, aus dem überwältigenden Rosa und Hellblau am Winterhimmel.
Manchmal ist es ein Satz in der Zeitung, der zu mir spricht, oder ein Blick in der Straßenbahn. Dann wieder gibt es ein Lied, ein Gebet, ein Schweigen, in dem ich Zuhause sein kann. Glauben kann und vertrauen.
Manchmal höre ich diese Stimme nicht. Auch zum Glauben gehören die Zweifel, ja, sogar die Verzweiflung.
Zum Glauben gehören die Zweifel, ja, sogar die Verzweiflung.
Davon erzählt die Geschichte zur Jahreslosung im Markusevangelium.
Sie beginnt mit einem Vater, der nahe an der Verzweiflung ist. Er sucht schon lange nach Hilfe für seinen Sohn. Der Junge hat Anfälle, die ihn zu Boden reißen, wieder und wieder– und niemand kann ihm helfen, auch nicht der Vater. Der Junge ist dann nicht er selbst, nicht ansprechbar. Er ist besessen von einem sprachlosen Geist, so deuten Menschen zur Zeit Jesu diese Krankheit. Sie fürchten den Dämon, der das Leben des Jungen bedroht. Denn gefährlicher als die Anfälle sind bis heute die Unfälle, die passieren, wenn die Kranken beim Krampf ins Feuer oder ins Wasser oder unter die Räder geraten.
Der Vater ist hilflos- und er lässt nicht locker. Überall sucht er nach Hilfe.
Jetzt soll Jesus selbst helfen. Der Vater wendet sich an ihn.
Jesus will den Jungen sehen. Bringt ihn her, sagt er. Denn das ist ja die Not, dass die Krankheit den Jungen geradezu verschwinden lässt, weil er verstummt. Jesus will Kontakt aufnehmen, und gerade da zeigt der böse Geist noch einmal seine ganze Kraft, der Junge stürzt, wird vom Anfall hin- und hergerissen.
Jesus bleibt da, und er fragt nach. „Wie lange geht das schon so?“ Nachfragen und Zuhören tut gut. Den Kranken und ihren Angehörigen, weil es Vertrauen weckt. Da ist jemand, der sich interessiert, der genau hinschaut und hinhört. Das schwächt den sprachlosen Geist, den es noch heute gibt. Wenn keiner mehr zuhören will.
Vertrauen ist so wichtig für jede Therapie.
Der Junge hatte Epilepsie, nach allen Symptomen, die beschrieben werden. Die medizinische Wissenschaft fürchtet sich heute nicht mehr vor Dämonen, Gott sei Dank. Ärztinnen und Ärzte fragen nach Ursachen, sie haben Medikamente entwickelt und Operationen, die bei Epilepsie meist nicht heilen, aber helfen. Und heute noch sind Menschen wie besessen. Es gibt Krankheiten, die dazu führen, dass Menschen nicht mehr bei sich sind. Wenn sie von Angstzuständen geschüttelt werden, helfen tröstende Worte erstmal nicht. Hilflos müssen Angehörige erleben, dass Menschen wie getrieben sind, hin- und hergerissen und in Lebensgefahr, weil sie abhängig sind vom Alkohol oder von Drogen.
Depression wird erlebt wie eine dunkle Macht, die Menschen verstummen lässt. Ein sprachloser Geist.
Sind sie krank, weil sie nicht genug glauben? Sie selbst oder ihre Angehörigen?
Weil ihre Hoffnung zu klein ist?
Der Vater des kranken Jungen hat viele Enttäuschungen erlebt. Er ist nur realistisch, wenn er Jesus vorsichtig bittet, fast kleinlaut: Wenn du kannst, dann hilf doch.
Jesus dagegen antwortet schroff: Alle Dinge sind möglich für den, der glaubt.
Dabei ist er selbst nicht unerschütterlich. Sein Glauben ist stark.
Mit Gottes Kraft befreit Jesus Menschen von Schmerzen und Blindheit. Er schaut in den Himmel und teilt das Brot, und alle werden satt. Er spricht frei von Schuld, er richtet die Gelähmten auf, so dass sie fröhlich weiterziehen, ganz sie selbst und voller Vertrauen. Jesus glaubt.
Und doch wird auch er wenig später weinen, im Garten Gethsemane, weil er ganz allein ist und Angst vor dem Sterben hat. Jesus ringt mit Gott, er ringt um Vertrauen.
Auch der Vater des kranken Jungen lässt nicht locker. Er bleibt dran, an Jesus, ergibt den Kontakt nicht auf.
Jetzt ist er nicht mehr kleinlaut, jetzt schreit er: Ich glaube, hilf meinem Unglauben
„Ich glaube, hilf meinem Unglauben“.
Das ist ein starkes Gebet. Mehr braucht es nicht, damit Jesus hilft. Der böse Geist verliert seine Macht, der Junge wird geheilt. Wie tot liegt er nach dem Anfall auf dem Boden, wird erzählt. Jesus nimmt ihn an der Hand und richtet ihn auf.
Vertrauen wirkt Wunder. Es besiegt die sprachlosen Geister, die Kranke und ihre Angehörigen quälen. Vertrauen in Gott und in Menschen ist heilsam, auch wenn die Krankheit nicht verschwindet. Jesus will wissen, was uns Sorgen macht, Gott will den Kontakt nicht abreißen lassen. So, wie es der Engel des Neuen Jahres sagt, sagt es Jesus:
Leg deine Hand in meine Hand.
Ich glaube, hilf meinem Unglauben.
In diesen Ruf kann ich auch einstimmen. Ganz besonders am Beginn des Neuen Jahres, das vor uns liegt wie ein unbekanntes Land. Voll Vertrauen will ich darauf zugehen, und Sorgen mache ich mir auch, berechtigte Sorgen.
Wir leben in unsicheren Zeiten, mit vielen offenen Fragen.
Was wird aus den alten Menschen? Viele genießen ihr Leben auch im hohen Alter und unterstützen die Jungen. Aber was passiert, wenn meine Angehörigen nicht mehr allein zurechtkommen?
Die, die alte Menschen pflegen, fragen sich: Reicht meine Kraft weiter aus? Mal denke ich ja, mal bin ich sehr erschöpft.
Und wie wird das erst aussehen, wenn wir vielen einmal alt sind?
Unsere Kinder haben gute Aussichten. In Schule und in der Ausbildung werden sie umworben und gefördert. Aber können sie den Stress bestehen, bei den Prüfungen, und dann im Beruf dem Druck standhalten? Und was kommt auf sie zu, wenn wir die Klimaveränderung nicht aufhalten können?
Wir leben im Frieden in Deutschland und in Europa. Und doch steht so viel Selbstverständliches in Frage. Wie schaffen wir das, dass wir zusammenhalten, auch wenn wir verschiedene Ansichten haben? Damit nicht geschossen und gemordet wird?
Die Jahreslosung ist ein starkes Wort für unsichere Zeiten.
Ich glaube, sagt sie, ich setze mein Vertrauen auf Gott. Trotz allem. Wir werden gute Wege finden, auch im Neuen Jahr.
In diesem Vertrauen ist Raum für Zweifel. Wenn der Alltag mich fest im Griff hat, ist Gott weit weg. Dann ist der Sog groß, einfach irgendwie durchzukommen.
Nicht das große Vertrauen zu wagen, damit ich nicht enttäuscht werde.
Schaue ich dann auf zum Horizont? Bin ich offen für das Wort, für die Begegnung mit Gott?
Wenn ich mich auf das bisschen Glauben einlasse, auf eine kleine Sehnsucht, eine heilige Unruhe,
wenn ich alle meine Zweifel und meine Sprachlosigkeit Gott hinhalte – dann erlebe ich, dass das Vertrauen in mir wächst, das Vertrauen, das von Gott ausgeht.
Ein Wunder.
Ein Wunder, wenn auch unheilbar Kranke das Vertrauen haben, dass Gott ihnen beisteht.
Ein Wunder, wenn die Jungen aufstehen für ein gutes Leben für alle.
Hilf meinem Unglauben, Gott.
Ich lasse nicht locker.
Die Jahreslosung ermuntert zum Beten. Leise, laut, mit Worten oder ganz still.
Allein und mit Andern, die mein Vertrauen stärken.
Amen
Es gilt das gesprochene Wort.