Die Predigt zum Nachlesen:
Teil 1 Pastorin Mareike Bloedt:
Hört auf mich, die ihr der Gerechtigkeit nachjagt. Gerechtigkeit. Das ist ein großes Wort. Was ist schon gerecht? Gerade wird viel über Gerechtigkeit diskutiert. Die Coronapandemie führt zu einer ganz neuen Gerechtigkeitsdebatte. Ich merke das, sobald ich mit Freunden, Familie oder anderen Bekannten spreche. Jede und jeder hat eine ganz eigene Vorstellung, von dem was gerecht ist. Ich finde es zum Beispiel ungerecht, dass persönliche Kontakte be-schränkt werden, die großen Wirtschaftsunternehmen aber weitgehend geschont werden. Ge-nauso finde ich es ungerecht, dass eine Pflegekraft oder Erzieherin weniger verdient als ein Manager im Home Office. Wo ist da die Gerechtigkeit? Bei solchen Gesprächen merke ich, dass ich Gerechtigkeit vor allem mit Bildern des Unrechts beschreibe. Ist Gerechtigkeit also einfach die Abwesenheit von Unrecht? Genügt das oder müsste ich fragen: Wo ist Gerechtig-keit?
Der Prophet Jesaja sagt: Bei Gott finde ich Gerechtigkeit. Er ist gerecht. Schaue ich auf Gott, dann begegnet mir gerechtes Handeln. Er wendet sich seinem Volk zu. Er geht mit und ver-spricht seinem Volk: Von mir geht Weisung aus. Mein Recht mache ich zum Licht der Völker. Meine Gerechtigkeit ist nahe. Von mir kommt Rettung. Gott ist gerecht, weil er sein Verspre-chen hält: Gott will ein gerechtes, ein gutes Leben für alle. Aufgrund einer neuen persischen Reichspolitik dürfen die Israeliten aus dem babylonischen Exil heimkehren nach Israel. Doch das geht nicht konfliktfrei. Nicht alle sind nach Babylon verschleppt worden. Manche sind in Israel geblieben. Wer aber ist denn jetzt das wahre Volk Gottes? Und wem gehört welches Land? Welches Haus? Welcher Acker? Wenn Jesaja hier von Gerechtigkeit spricht, geht es vor allem, um eine gerechte und faire Landverteilung. Die Zeit ist geprägt von Katastrophen, dem Verlust des Tempels und des Königtums. Das Volk Gottes lebt in unsicheren Zeiten. Mitten in einer Krise. Wie wir. Und mitten in dieser Krise geht Gott mit. Er lädt sein Volk dazu ein, der Gerechtigkeit nachzujagen und dabei auf Abraham und Sara zu schauen. Sie erleben näm-lich Gottes gerechtes Handeln am eigenen Leib. Mich ermutigt das, selbst aktiv zu werden. Gott zu suchen und auf ihn zu schauen. Wenn ich der Gerechtigkeit nachjage, jage ich nach einem guten Leben für alle. Und das ist für mich Gerechtigkeit.
Teil 2 Generaloberin Katharina Ganz:
Abraham und Sara waren schon alt und kinderlos geblieben. Gott prophezeite ihnen, dass sie noch ein Kind bekommen, und sie vertrauten ihm. Mich ermutigt diese Geschichte, selbst zu glauben, dass Gott seine Verheißungen wahrmacht und neues Leben schenkt. Das geht aber nicht ohne uns. In unserer Bibelstelle wird Sara explizit genannt. Sie ist nicht einfach mitge-meint. Das Judentum, Christentum und der Islam verehren Abraham und Sara als Erzeltern. Wir haben dieselben Wurzeln. Menschlich und religiös. Wir glauben an den einen Gott. Wir sind Menschenkinder und Kinder Gottes. Das macht uns weltweit zu Geschwistern. Handelnd können wir gemeinsam unsere Welt gestalten. Handelnd können wir Gottes Gerechtigkeit zum Durchbruch verhelfen. Wörtlich heißt es: „Schaut auf Abraham, euren Vater und auf Sara, die euch gebiert.“ Das Geborenwerden ist nicht abgeschlossen. Es geht weiter. Bis heute. Von Generation zu Generation sind wir miteinander verbunden. Persönlich dürfen wir uns fragen: Wer hat mich geboren und für mich gesorgt? Wer hat mich wachsen lassen und an mich ge-glaubt? Wer macht mich stark und ermutigt mich?
Wer ist mir ein Vorbild? Ich selbst habe nie ein Kind geboren. Aber ich durfte viermal bei ei-ner Geburt dabei sein. Und ich darf immer wieder Neues in die Welt bringen: Meine Gemein-schaft leiten. Verantwortung delegieren. Menschen etwas zutrauen. Ein Haus renovieren. Ein-richtungen unterstützen. Eine Predigt halten. Ein Buch schreiben. Entscheidungen treffen, damit etwas vorangeht. Wenn wir Gottes Gerechtigkeit zum Durchbruch verhelfen wollen, dürfen wir uns vor Verantwortung nicht drücken: Wir müssen Lösungen finden für globale Her-ausforderungen wie Klimawandel, Flucht und Migration. Auch im 21. Jahrhundert gilt es, Hunger, Kriege, Seuchen, Armut und Ausbeutung zu bekämpfen. Neben den weltweiten Prob-lemen gehören hausgemachte Ungerechtigkeiten beseitigt: Dann wird einseitige männliche Herrschaft hinterfragt. Berufungen und Charismen aller Getauften und Gefirmten werden ernst genommen. Betroffene von sexualisierter Gewalt stehen in der Mitte. Die Menschen-rechte gelten auch in den christlichen Kirchen. Wir leben ein neues Miteinander zwischen den Geschlechtern und ökumenische Geschwisterlichkeit. „Schaut auf Abraham, euren Vater und auf Sara, die euch gebiert.“ Tragt Euren Teil dazu bei, dass Gottes Gerechtigkeit zum Durch-bruch kommt. Glaubt daran, dass etwas neu werden kann, auch wenn es nicht danach aussieht. Handelt und gestaltet Gesellschaft und Kirchen aktiv mit. Nehmt Leid und Ungerechtigkeit wahr und helft sie überwinden. Mir macht die heutige Lesung Mut, in Kirche und Welt Neuan-fänge zu wagen. Statt den Untergang zu beschwören. Ohne Wehen und Schmerzen wird es freilich nicht gehen. Aber die christliche Botschaft lautet: das Leben besiegt den Tod. Auch die blühenden Kirschbäume in unserem Klostergarten künden davon.
Teil 3 Pastorin Mareike Bloedt:
Ich liebe meinen Garten. Jedes Jahr aufs Neue bin ich fasziniert, wie aus dem brachliegenden Garten Neues erwächst und aufblüht. Es ist ein Hoffnungsbild, das mich tröstet und motiviert. Der Prophet Jesaja verwendet dieses Bild, um das Volk Israel zu trösten, dass vor den Trüm-mern und Ruinen seiner alten Heimat steht. Das Volk kommt zurück in ein verödetes Land, das seinen Bewohner*innen nichts bieten kann. Doch Gott verspricht seinem Volk: Aus diesen Trümmern wird ein prachtvoller Gottesgarten erwachsen. Darüber werden sich alle freuen und jubeln. Sie werden Lieder singen und Feste feiern. Dieses Bild spricht mir aus dem Herzen. Gerade heute. Ich freue mich, wenn wir wieder Feste feiern und gemeinsam Freudenlieder singen werden. Und ich bin gespannt, welche neuen Dinge dann aus den Trümmern der Krise entstehen werden. Sozusagen welche „Pflanzen“ dann zu einem wundervollen Garten aufblü-hen werden und so neue und gerechtere Perspektiven schaffen. Lasst uns diese Chance jetzt nutzen! „Gott legt Segen auf das Land. Er schafft aus den Trümmern Neues!“ Diese Gottesver-heißung gilt bis zum äußersten Rand der Welt – allen Völkern und auf allen Inseln. Gott tröstet alle. Denn Trost brauchen allen. Diese Botschaft trifft und betrifft jede und jeden einzelnen! Aus den Ruinen entsteht ein blühender Garten. Das ist ein super schönes Versprechen. Denn Gott verspricht damit: „Ich will ein gutes Leben für alle! Ich will Gerechtigkeit.“ Der blühende Gottesgarten zeigt mir damit: Rettung ist unterwegs. Gottes Gerechtigkeit ist nahe. Damit umschließt die Gerechtigkeit dieses Bibelwort, wie eine Umarmung. Gott legt seinen Arm der Gerechtigkeit um jede und jeden einzelnen. Diese Umarmung tröstet und ermutigt: hinzu-schauen, loszugehen und nach einem guten Leben für alle zu jagen.
Weitere Informationen zu diesem Gottesdienst finden Sie im Internet unter https://rundfunk.evangelisch.de/kirche-im-tv/zdf-gottesdienst/gottesdienst-zdf-16-mai-2021-oekumenischer-kirchentag-11441