"Aufstand des Lebens"

St.-Remberti-Kirche in Bremen

"Aufstand des Lebens"
Gottesdienst-Live-Übertragung aus der St.-Remberti-Kirche in Bremen
17.04.2022 - 10:05
Über die Sendung

Ostern ist der Aufstand des Lebens gegen den Tod. "Ihr findet mich bei den Lebenden", sagt der Auferstandene. Doch wie kann diese Botschaft heute verstanden werden in Angesicht des Krieges in der Ukraine? Darüber predigt Pastorin Esther Joas. Musikalische Untermalung von Christian Seibert (Tenor) und Efraín Oscher (Querflöte).

 

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Predigt zum Nachlesen

I

Schalom. Friede sei mit Euch. Amen.

„Eine namenlose Welt dringt in die Sprache.“ Das beschreibt, wie Religion sich auszudrücken versucht. Der Dichter und Theologe Christian Lehnert hat das formuliert und wir haben es eben gehört. Er spricht mit Kafka vom sagenhaften Drüben, das nur als Metapher zu verstehen ist. Weil es ja keine andere Seite der Welt gibt, auf die wir rüber springen könnten wie Ronja Räubertochter, die auf der Mattisburg über den Graben zu Birk springt.

Religion ist nur diesseitig relevant oder aber unbedeutend. Doch diese Welt hat ein Jenseits des Greifbaren und Fassbaren. Ihr Potential, ihre Vollkommenheit ist nicht ausgeschöpft. In den Psalmen hörten wir vorhin den krassen Gegensatz zwischen der guten Ordnung der Natur und ihrer Geschöpfe einerseits und der Gebrochenheit menschlicher Erfahrung andererseits. „Gott, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter.“ Und dann aber auch dieser Satz: „Täglich fechten Menschen meine Sache an; alle ihre Gedanken suchen mir Böses zu tun.“

Als sehnende, hoffende und begehrende Geschöpfe machen wir uns also auf den Weg, ohne verlässliches Ziel, die Vollkommenheit immer vor uns.

Bildersprache ist uneigentliche Rede und keine begriffliche Aussage. Sie sperrt sich gegen eindeutige Festlegungen, gegen Gewissheiten und lässt Raum für Interpretation. Nicht ohne Grund redete Jesus von Nazareth in Gleichnissen und nicht ohne Grund erzählen die Evangelien eine Geschichte, um Jesu Tod zu deuten. Keine beliebige, sondern eine, die auf Resonanz stößt. Die Glaubenden nahmen die Bilder und Erfahrungen ihrer Zeit, um in einen Sinnzusammenhang zu stellen, was keiner verstand: Der Messias, ihr Hoffnungsträger ist tot, wie ein Verräter geächtet und gefoltert. Seine Verkündigung: gescheitert. Das Christentum entstand, weil Menschen diesem Schweigen und dieser Leere etwas entgegenzusetzen hatten. Ein Trotzdem, das jetzt schon zweitausend Jahre lang „in Bewegung setzt“.

Heute, am Ostersonntag 2022, soll von diesem „Trotzdem“ die Rede sein. 

Weitermachen, trotz Scheitern. Vom Leben reden, trotz Tod. Freude, trotz Trauer. Das Licht preisen, trotz Finsternis. Ostern predigen, trotz Krieg. Der Raum, den dieses Trotzdem zu schaffen vermag, übersteigt das Vorgegebene und macht uns so zu Gestalterinnen und Gestaltern des Lebens.

Inmitten von Krieg und Flucht backen Ordensschwestern einen Geburtstagskuchen für eines ihrer Waisenkinder und singen an einem übervollen Bahnhof in Polen: Wie schön, dass du geboren bist. Das war 1945 und das Kind war Annelie Keil, die eben zu uns gesprochen hat. Vor ein paar Wochen ließ sich eine russische Künstlerin verhaften, weil sie, in rote Farbe getränkt, vor einem Regierungsgebäude stand und wieder und wieder den einen Satz sagte: „Mein Herz blutet.“ Und Jesus sagte: Wer sein Leben verliert, der wird’s trotzdem behalten.

 

Sie müssen sich vorstellen, wie abwegig und verrückt die Glaubensgeschichte der Urchristen im römischen Reich gewesen sein muss. Wer den Kreuzestod starb - und das waren viele-, der war ein Schwächling und Verräter, niemals ein Held. In Rom hat man eine antike Karikatur gefunden, in der ein am Kreuz hängender Esel angebetet wird. Die römischen und griechischen Gottheiten waren stark und schön und unantastbar. Einen Gekreuzigten anzubeten war Hohn.

Ich bete auch nicht den Gekreuzigten an. Ich glaube aber an die Verwandlung: Dass aus dem Scheitern nie Dagewesenes entstehen kann, aus der Schwäche Stärke, aus der Verachtung Respekt und Eingestehen von Schuld. In dieser Verwandlung ist neues Leben möglich. Das alte lassen wir dann zurück.

Das Osterevangelium bei Markus endet in der Leere, im Schweigen. Die drei Frauen sagten niemandem etwas, denn sie fürchteten sich. Eine geniale Rhetorik des Evangelisten: Am Scheidepunkt der Krise sind wir, die Hörenden und Lesenden, gefragt. Verwandelt Ihr das Schweigen in Sprache, die Starre in Bewegung! Geht nach Galiläa, geht also zurück in euer Leben, dorthin, wo ihr gebraucht werdet und wirken könnt, da werdet ihr mich, den Christus, finden. Was ihr dazu braucht, das habe ich euch gezeigt: Wie man heilsam ist, wie man zuhört und Fragen stellt, wie man die Kinder herzt, wie man für Gerechtigkeit streitet und Bosheit beim Namen nennt, wie man bei den Schwachen ist, immer zuerst bei den Schwachen, Einsamen, Ausgestoßenen.

Die jesuanische Ethik ist eine radikal nach vorne gerichtete. Schon im Alten Testament erstarrt Lots Frau zur Salzsäule, als sie zurückblickt. Im Neuen Testament ruft Jesus junge Männer in die Nachfolge und sagt: Lasst die Toten ihre Toten begraben, ihr kommt mit und verkündet Hoffnung und Zuversicht. Und im Osterevangelium sagt der in Weiß Gekleidete am leeren Grab: Er ist nicht hier, er ist auferstanden. Geht, sagt, seht! 

Das „Sagenhafte Drüben“ ist keine zweite Welt, sondern ein Horizont des Hoffens und Glaubens, der in Bewegung setzt. Die Pragmatiker verharren dagegen am Faktum des leeren Grabes. Die Analytiker schauen zurück und erstarren zur Salzsäule. Und die Kriegstreiber beschwören eine tödliche Vergangenheit herauf. Jesus Christus dagegen hat das nie Dagewesene gepredigt. Eine namenlose Welt, die in unsere Sprache dringt.

 

II

 

Als das Markusevangelium verfasst wurde, lag Jerusalem in Trümmern. Rund 40 Jahre nach Jesu Tod schrieb Markus, wahrscheinlich von Syrien aus, gegen das Vergessen an. Die frohe Botschaft, trotz Zerstörung, trotz Tod.

Etwas Grausameres als die Schilderung des Geschichtsschreibers Josephus über die Zustände des von den Römern belagerten und dann eingenommenen Jerusalems habe ich selten gelesen. Jerusalem war zu der Zeit die berühmteste Stadt des Ostens und eine blühende Metropole. Über fünf Jahre trotze sie dem schwächelnden Rom, obwohl auch hier innerpolitische Kämpfe die Stadt ins Chaos stürzten. Doch dann kam das römische Heer in seiner ganzen Übermacht, umzingelte vier Monate lang die Stadt und ließ sie aushungern, Abtrünnige wurden zu Hunderten gekreuzigt. Wochenlang hielten die Juden den Angriffen und Invasionen stand, Jerusalem galt als uneinnehmbar.  Doch im Juli des Jahres 70 drang Titus schließlich mit 60 000 Mann ein, bombardierte die Festung und brannte die Stadt nieder, auch das Allerheiligste, den Jerusalemer Tempel. 

Und Markus schrieb das Evangelium von Jesus Christus. „Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden,“ steht dort. „Kommt, folgt mir nach!“

Ein Journalist sagte vor einigen Wochen, der Zustand in Mariupol hätte apokalyptische Ausmaße angenommen. Bei den Bildern aus Butscha und Borodjanka tun sich menschliche Abgründe auf. Apokalyptisch, so las man auch damals in Jerusalem die Zeichen der Zeit. Es muss das Ende sein, schlimmer geht es nicht.

Wir leben in einer unerlösten Welt, unsere Erfahrungen sind gebrochen, weit entfernt von der Vollkommenheit, die wir ersehnen. Aber es ist nicht das Ende. Wie erstarrt stehen wir angesichts des Kriegs in der Ukraine am leeren Grab und hören diese Stimme, die uns sagt: Der Stein ist weggerollt. Geht, sagt, seht! Ich laufe euch voraus, folgt mir nach!

Wo wir Gott finden, mitten im Leben, das hat Jesus seinen Jüngern einmal so gesagt:

Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war ein Fremder, und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen. (Mt 25, 35).

Alle, die das hörten, wussten, dass Jesus von Nazareth selbst nicht hungrig und durstig war, nicht krank und nicht gefangen. Er erklärt es ihnen und sagt: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern und Schwestern, das habt ihr mir getan. (Mt 25, 40)

Wo Menschen in Not sind, fliehend im Zug aus Lwiw, traumatisiert in den Kriegsgebieten, hungrig und durstig in Afghanistan, da wartet Gott auf seine sehnenden und hoffenden Geschöpfe, die kommen, um zu trösten, um ihre Türen zu öffnen, um Brot und Wasser zu verteilen. Wir sind gemeint. In uns ist Gott lebendig. 

Wir feiern Ostern: den Aufstand des Lebens gegen den Tod. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. 

 

Amen

 

Es gilt das gesprochene Wort.