I:
Liebe Gemeinde hier in der Kreuzkirche und liebe Zuhörerinnen und Zuhörer am Radio,
durch unsere Tische scheint ja zur Zeit ein Riss zu gehen angesichts der Herausforderungen, die wir erleben. Die Meinungen gehen weit auseinander, viele Menschen verstehen sich nicht mehr: Geflüchtete aufnehmen oder nicht? Waffen liefern oder nicht? Ein viertes Mal Impfen oder nicht.
Eigentlich hat es uns so sehr gefehlt in den letzten zwei Jahren: Miteinander am Tisch sitzen. Aber leichter ist es nicht geworden. Hier in Chemnitz wollten wir trotzdem einladen. Gerade darum, dass Risse sich nicht vertiefen. Aber wer wird kommen? Und werden die Leute zueinander passen. Am Pfingstmontag stand eine lange Tafel vor unserer Kirche. Es sollte auch ein Beitrag sein hin auf das Kulturhauptstadtjahr 2025.
Wir, die in Chemnitz leben, blicken mit der Nominierung zur Kulturhauptstadt gespannt auf die Entwicklung vor Ort- wie und was wird sich bis 2025 verändern?
Unsere Stadt war zu DDR-Zeiten vorwiegend atheistisch geprägt. Religiöse Wurzeln gibt es in vielen Familien – das zeigen auch die zahlreichen schönen Kirchen im Stadtbild. See the unseen! Sieh das Verborgene, das Unsichtbare! So, die Einladung für 2025!
Wie wollen wir Chemnitzer, besonders wir Christen, gesehen werden und uns zeigen? Wie können wir eine einladende und vielfältige Kulturhauptstadt 2025 aktiv mitgestalten? Die Ideen wachsen, nicht nur im Verborgenen!
Sichtbar mit einem großen Banner vor unserer Stadt- und Marktkirche St. Jakobi haben wir im vergangenen Mai eingeladen: „Komm und setz dich zu mir.“ Wird das „Willkommen“, das wir in verschiedenen Sprachen aufdrucken ließen, wirken? Wir wollten Menschen erreichen, die in der Nachbarschaft unserer Kirche leben, Geflüchtete aus den nahegelegenen Unterkünften, Zugereiste, Neugierige, Menschen anderer Kulturen und Religionen.
Eine große festliche Tafel war vor der Kirche gedeckt, reichlich Kuchen gebacken und Kaffee gekocht. Jeder Besucher brachte eine Köstlichkeit mit! Bekanntlich überwindet gutes Essen und Gastlichkeit Schranken und löst die Zunge! Mehr als 70 Menschen im regen Austausch, ein buntes Stimmengewirr, interessante Geschichten.
Wir werden auf alle Fälle wieder an unseren Tisch einladen und ihn für Chemnitz zu einer Tradition machen. Es wäre schön, wenn unsere Idee der Begegnung und Gastlichkeit auch von Anderen aufgenommen wird. Das gestaltete Banner „Komm und setz das Emporeich zu mir“ liegt zur Weiterverwendung bereit.
II:
Jesus hat sich gerne einladen lassen. Und dabei setzte er sich auch mit Menschen zusammen, die nicht angesehen waren. Gerade mit ihnen wollte er zusammen sein und wohl deutlich machen: Für Gott ist jeder Mensch besonders, er lädt alle ein: Frauen und Männer, Fromme und Zweifler. Auch die, die Fehler machen und scheitern. Und sie fühlten sich offenbar wohl mit Jesus am Tisch. Ich glaube, weil sie spürten, dass Jesus sich wirklich für sie interessierte, offen für sie war und niemanden verachtete.
Beim Außenseiter Zachäus war er zu Gast, bei den Frauen Martha und Maria kehrte er ein, wo Martha ihn eifrig bewirtete und Maria sich Zeit nahm für ihn. Er hat deutlich gemacht, wie Gemeinschaft am Tisch gelingt: Anteil nehmen am Leben des Anderen. Spüren, wenn jemand Hunger hat: ob er nun einen Teller Suppe braucht, eine Tasse Kaffee oder einfach einen, der zuhört. Wenn wir unsere Vorräte teilen, dann ist Jesus dabei. Im Himmel wird es sein wie bei einem Fest mit guten Essen. Wenn Gott jeden einlädt und alle Ängste für immer vom Tisch sind.
Und hier und heute? Gerade fürchten wir eine Hungerkatastrophe, weil es zu trocken ist auf den Feldern, Kriege geführt werden und Getreide nicht transportiert werden kann. Wir erleben einen grausamen Krieg in unserer Nähe. Zu Jesu Zeiten war es sicher nicht viel besser. Dennoch hat er nicht auf den Himmel vertröstet. Den kann man schon hier erleben. Voraussetzung ist, dass wir uns öffnen; abgeben, was wir haben und uns gegenseitig unterstützen. Wenn das gelingt, sind das wunderbare Erfahrungen.
Ich denke an die lange Tafel vor der St. Jakobikirche an Pfingstmontag. Wie viele verschiedene Menschen kamen da zusammen, brachten sich ein, begegneten ihrem Gegenüber herzlich und offen.
Ich bin Mitglied der jüdischen Gemeinde Chemnitz und bin mit an die Tafel gekommen. Ich habe dort erzählt, dass ich eine der letzten Überlebenden des Holocausts im Großraum Chemnitz/ Dresden bin. Für alle hatte ich Hamantaschen gebacken, ein traditionelles Gebäck. Und die damit verbundene Geschichte erzählt, von Esther, die sich schützend vor ihr Volk stellte. Meine Hamanntaschen wurden gern gegessen. Mich hat an der Tafel beeindruckt, dass iranische Gäste übrig gebliebene Speisen einer iranischen Hochzeit vom Vorabend mitbrachten. Dazu gab es frisch gebackene Brote und leckerste Salate konnten gekostet werden. Am Ende stand keiner mit leerem Magen vom Tisch auf! Und wir spürten: Gemeinsam Mahl halten, ist mehr als nur miteinander essen. Es schenkt die Erfahrung, sich auf Augenhöhe als Schwestern und Brüder zu erkennen, sprachliche Barrieren mit einem Lächeln und einer Berührung zu überwinden, über alle Grenzen, Kulturen und Bekenntnisse hinweg!
Evangelium
Eine Tischgeschichte erzählt auch der Predigttext für heute.
Wir hören aus dem Johannesevangelium, Kapitel 6:
Bald darauf kam Jesus an das andere Ufer des Sees von Galiläa, der auch See von Tiberias genannt wird.
Eine große Menschenmenge folgte ihm. Denn sie hatten die Zeichen gesehen, die er an den Kranken tat.
Jesus stieg auf einen Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern nieder. Es war kurz vor dem Passafest, dem großen Fest der Juden. Jesus blickte auf und sah, dass die große Menschenmenge zu ihm kam. Da sagte er zu Philippus: »Wo können wir Brot kaufen, damit diese Leute zu essen haben?« Das sagte er aber, um Philippus auf die Probe zu stellen. Er selbst wusste längst, was er tun wollte. Philippus antwortete: »Nicht einmal Brot für 200 Silberstücke reicht aus, dass jeder auch nur ein kleines Stück bekommt!«
Da sagte einer seiner Jünger –Andreas, der Bruder von Simon Petrus: »Hier ist ein kleines Kind. Es hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische. Aber was ist das schon für so viele Menschen?« Jesus sagte: »Sorgt dafür, dass die Menschen sich setzen.« Der Ort war dicht mit Gras bewachsen. Dort ließen sie sich nieder, es waren etwa 5000 Männer.
Jesus nahm die Brote und dankte Gott. Dann verteilte er sie an die Leute, die dort saßen. Genauso machte er es mit den Fischen. Alle bekamen, so viel sie wollten.
Als sie satt waren, sagte Jesus zu seinen Jüngern: »Sammelt die Reste ein, damit nichts verdirbt.«
Das taten sie und füllten zwölf Körbe mit den Resten von den fünf Gerstenbroten. So viel war nach dem Essen übrig geblieben.
Als die Leute sahen,was für ein Zeichen Jesus getan hatte, sagten sie: »Er ist wirklich der Prophet, der in die Welt kommen soll!« Jesus merkte, dass sie ihn in ihre Gewalt bringen wollten. Denn sie wollten ihn zu ihrem König machen. Darum zog er sich wieder auf den Berg zurück – er ganz allein.
III
Liebe Gemeinde,
das Essen war knapp damals am Abend am See Genezareth.
Tausende hatten sich versammelt - wie sollten die Leute satt werden? Die Jünger schauten realistisch auf die Situation, vielleicht fragten sie auch: Hat jemand etwas zu essen bei sich? Aber keiner gab zu, dass er etwas hat – alle wollten wohl lieber das ihre für sich behalten.
Man kann ja nie wissen. Ein Blick auf die Menschenmassen zeigte ja: Es geht sich nicht aus, es reicht niemals.
Ich bin gut eingeübt darin, vor allem auf das zu sehen, was nicht da ist, finde schnell Gründe dafür, dass etwas nicht geht. Meine Angst ist oft größer als mein Vertrauen. Inflation und Gasmangel, die Teuerung bei Lebensmitteln und Sprit lassen fragen: Kommen wir da durch? Haben wir bald nicht mehr genug? Reicht es noch für mich?
Doch ein Kind verhält sich anders damals, es zeigt, was es dabei hat: 5 Brote und 2 Fische. Anders als die Erwachsenen sorgt sich das Kind nicht, es gibt vertrauensvoll seine Vorräte. Durch das Kind kommt es zur Wendung, ein Wunder geschieht. Vertrauen wie ein Kind - Jesus selbst hat sich als Kind Gottes erlebt und weiß, wie viel Gott möglich ist.
Vor dem Wunder spricht Jesus ein Dankgebet. So hat er es immer gemacht am Tisch. Es geht ums Teilen und Essen in Gottes Gegenwart. Ums Stillen des Hungers nach Leben.
Ich glaube, Jesu Gegenwart, sein Vertrauen hat die Herzen der Menschen berührt und geöffnet. Und dieses Wunder kann sich wiederholen bis heute, unter uns, wenn wir teilen, was wir haben. Selbst angesichts verschlossener ukrainischer Häfen geht Jesu Wirken weiter.
Der Tisch ist ein guter Ort, um Vertrauen einzuüben.Der Tisch, an dem wir zusammenkommen, miteinander essen, aber auch diskutieren und um die Zukunft ringen. Wir erfahren, welch Möglichkeiten von Gott gegeben sind und wieviel auch wir bewirken können.
IV
Und eine letzte Chemnitzer Tischgeschichte: Wir wollen grillen für ukrainische Flüchtlinge, so sagte mir Viktor vor kurzem am Telefon. Er kommt aus Georgien und lebt seit 14 Jahren in Chemnitz. Nun möchte er etwas für die Ukrainer tun, die ihre Heimat verlassen mussten. Etwas weitergeben, ihnen einen schönen Nachmittag machen. Gemeinsam mit Familie und Freunden möchte er ein Grillfest anbieten, aber wo?
Unsere Kirchgemeinde beschließt, dass er in unseren Pfarrgarten einladen kann, an einem Montagnachmittag Mitte Juni. Ob aber überhaupt jemand kommen wird? Viktor baut seinen Grill auf der Terrasse auf, bereitet 4 Tische vor, schleppt Getränkekästen herbei. Um 15 Uhr kommen doch die ersten Gäste. Dann mehrere Familien mit Kinderwagen, Jugendliche, junge Frauen, Babies. Die Terrasse füllt sich. Es kommen immer mehr. Wir holen alle Bierzeltgarnituren aus dem Keller und bauen sie auf. Sofort sitzen dort über 40 Menschen. Dann strömen sie von allen Seiten in den Garten. Ein Sprachgewirr, an Viktors Grill entsteht eine lange Schlange, aber die Menschen sind aufgeräumt, warten, reden, Viktor dreht sein Radio auf, es wird georgisch getanzt, die Gäste klatschen. Sämtliche Gartenstühle suchen wir herbei, öffnen den Gemeindesaal, bringen die Stühlchen des Kindergartens. Der Garten ist voller Menschen die essen, reden, trinken, die Kinder spielen Fußball. Viktor schwitzt und fährt immer weiteres Grillgut heran. Zufällig vorbeikommende Gemeindeglieder staunen, ehemalige Geflüchtete aus Syrien sprechen via Handyübersetzer mit den Ukrainern. Ich halte den Atem an. Noch nie habe ich den Pfarrgarten so voll gesehen. „Wunderbar“ ruft eine Besucherin mir zu. Stunden später werden die Schlangen vor den Grills kürzer.nAlle werden satt. Um 22 Uhr zählt Viktor 1000 ausgegebene Pappteller, er ist glücklich.
Amen
Es gilt das gesprochene Wort.