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Die Sendung zum Nachlesen:
Ich betrete eine alte Kirche. Seit 700 Jahren steht sie mitten in der Stadt. Sie steht da, allen theologischen und meteorologischen Stürmen, allen Kriegen und Seuchen und Verwerfungen, die sie schon überstanden hat, zum Trotz. Sie steht da, den Turm in den Himmel gestreckt, wie ein Fingerzeig auf das, was größer ist, als wir selbst. Viele Generationen schon tragen Sorge für dieses Gotteshaus und so steht die Kirche seit 700 Jahren mitten in der Stadt.
Beim Betreten der alten Kirche merke ich, dass ich langsamer gehe, leiser spreche, stiller werde. Beim Betreten dieser alten Kirche wird mir bewusst, dass ich eine von vielen bin und nicht allein. Ich bin eine von den vielen, die vor mir lebten und eine von den vielen, die nach mir kommen werden. Sie alle haben hier einen Ort, um ihre Freude und ihre Klage vor Gott zu bringen.
Die Kühle des Raums, der Geruch nach Kerzen, das Licht, das durch die bunten Fenster fällt – beim Betreten dieser Kirche spüre ich: dieser Raum ist anders. Jede Ritze, jeder Winkel des Raums atmet die Worte, den Gesang und auch die Sprachlosigkeit der Gebete. Die Kirche ist ein durchbeteter Raum und ich bin Teil einer Gemeinschaft, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft durchzieht.
Beim Betreten dieser Kirche spüre ich, dass der Raum etwas mit mir macht. Der Theologe Fulbert Steffensky formuliert die Wirkung des Raumes so: »Der Raum baut meine Seele. Die Äußerlichkeit baut an meiner Innerlichkeit.« Ja, dieser Raum baut an mir, da er anders ist als das, was mich täglich umgibt. Er umfängt mich mit einer wohltuenden Fremdheit. Mit seinem Klang und seiner Temperatur, mit seiner Höhe und den starken Linien, die den Blick zum Licht ziehen, ist dieser Raum ganz anders als das, was mir täglich vertraut ist. Hier bin ich anders zuhause als in meinem Wohnzimmer oder Arbeitszimmer.
Ich brauche diesen anderen, fremden Ort, denn nur in der Fremde kann ich mich erkennen, erklärt Fulbert Steffensky: »Ich kann mich nicht erkennen: Ich kann mir selbst nicht gegenübertreten, wenn ich nur in Räumen und Atmosphären lebe, die durch mich selbst geprägt sind, die mir allzu sehr gleichen und mich wiederholen.« Der fremde Raum ruft mir zu: »Halt! Unterbrich Dich! Befreie Dich von Deinen Wiederholungen.« So baut der Raum an meiner Seele. Ich betrete die alte Kirche und trete in Distanz zu meinem Alltags-Selbst. Hier bin ich Nachdenkende, Betende, Singende. Hier bin ich Hoffende und Klagende vor Gott.
Als Jesus einmal in ein Gotteshaus kommt, findet er anderes vor. Da geht es zu wie auf dem Wochenmarkt. In der Bibel wird das so erzählt: »Und Jesus ging in den Tempel hinein und trieb hinaus alle Verkäufer und Käufer im Tempel und stieß die Tische der Geldwechsler um und die Stände der Taubenhändler und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben: ›Mein Haus soll ein Bethaus heißen.‹« (Mt 21,12-13a mit Verweis auf Jesaja 56,7)
»Mein Haus soll ein Bethaus heißen«, sagt Jesus. Er weiß um die Kraft besonderer Orte, weiß, was ich brauche: Die wohltuende Fremdheit lenkt meinen Blick gen Himmel. Hier komme ich mit Gott in Kontakt. Hier bin ich nicht mehr vordergründig nur Mutter und Ehefrau, Konsumentin, Bürgerin, Arbeitnehmerin und all das andere, das mich täglich ausmacht. Dieser Ort schiebt einen anderen Aspekt meines Selbst in den Vordergrund. Hier bin ich allererst ein Geschöpf Gottes.
Und während ich langsam durch den mächtigen Raum der alten Kirche gehe und mich umsehe, machen mir die festen Mauern körperlich begreifbar, worauf ich hoffe: Von allen Seiten umgibt mich Gott – wie eine feste Burg.
Literaturangaben:
Vgl. Steffensky, Fulbert, Der Raum baut meine Seele. Von der Bedeutung und Funktion von Kirchenräumen in unserer Zeit, in: Gustav-Adolf-Blatt 1/2004, 5-7 und ders., Referat zum Sachthema "Der Seele Raum geben - Kirchen als Orte der Besinnung und Ermutigung", im Auftrag des Präsidiums der Synode der EKD, Hannover 2003.
Es gilt das gesprochene Wort.