Die Sendung zum Nachlesen:
Ein Sendeformat im Fernsehen rührt mich besonders an. Es ist ein Real-Life-Format, in dem vermisste Menschen aufgespürt werden. Früher gab es so etwas bei "Lass dich überra-schen" mit Rudi Carrell. Seit einigen Jahren gibt es die Grundidee in neuem Gewand und sie ist für mich noch immer so spannend und ergreifend wie damals bei Rudi Carell. Jedenfalls kommen mir nicht selten die Tränen – so sehr fühle ich mit. Weil die Menschen echt sind, weil ihre Gefühle echt sind und weil es solche Geschichten wirklich gibt.
In der Sendung "Vermisst" zum Beispiel, suchen Menschen nach Menschen. Häufig wird eine Mutter gesucht oder ein Vater. Nicht selten stehen Adoptionsgeschichten dahinter. Mit dem Wissen, ein Adoptivkind zu sein, wächst der unbändige Wunsch, die leibliche Mutter oder den leiblichen Vater kennenzulernen und Antworten zu finden auf die Fragen: "Woher komme ich? Zu wem gehöre ich? Werde ich geliebt oder haben meine leiblichen Eltern mich vergessen?"
Eine Journalistin macht sich auf den Weg, die vermissten Eltern zu finden. Oft gibt es für die Suche nur wenige Hinweise. Über akribische Recherche und glückliche Zufälle aber wird die vermisste Person gefunden.
Für mich gibt es zwei Höhepunkte in dieser Sendung. Das große Finale natürlich, wenn Toch-ter und Vater oder Mutter und Sohn aufeinander zugehen und einander umarmen.
Davor gibt es aber noch einen Höhepunkt. Es ist der Moment, wenn zum Beispiel die Mutter gefunden ist und die Journalistin ihr die Botschaft überbringt: "Ihr Kind sucht nach ihnen."
Die Kamera fokussiert die Mutter, zoomt heran und ich kann sehen, was im Gesicht der Mut-ter passiert. Viele Regungen zugleich sind zu sehen: Völlige Überraschung, große Freude und auch ein Entsetzen, als täte sich der Boden auf. Die Mutter ist erschüttert, beginnt zu weinen und es dauert etwas, bis sie wieder sprechen kann. Aber dann kommen sie, die Worte, die so wichtig sind. Die Mutter sagt: "Ich habe mein Kind nicht vergessen."
Dem suchenden Kind werden die Aufnahmen dieser Situation später gezeigt. Es kann die Reak-tion der Mutter oder des Vaters beobachten und hört die Worte. Ja, endlich hört das erwach-sene Kind, wonach es sich so sehnte: "Meine Mutter/mein Vater hat an mich gedacht. Ich wurde nicht vergessen".
Irgendwie so – und noch viel größer – stelle ich mir das vor mit Gott und den Menschen. So verstehe ich einen Vers aus dem Buch Jesaja. Da heißt es: "Siehe, ich habe deinen Namen in meine Hand geschrieben, ich habe Dich immer vor Augen." (Jesaja 49,16)
Das ist für mich eine wichtige Zusage. Eine Zusage, die unabhängig ist vom menschlichen Er-innerungsvermögen, von sozialen Zuschreibungen und Personendaten. Die Zusage verspricht mir, dass meine Identität sicher bei Gott hinterlegt ist. Gott ist der erste und stabilste Identi-tätsanker seiner Geschöpfe. Wenn ich auch sonst nichts habe, selbst dann, wenn ich meine leiblichen Eltern nicht kenne, habe ich doch diese Zusage: "Siehe, ich habe deinen Namen in meine Hand geschrieben, ich habe Dich immer vor Augen."
Ich vertraue darauf: Gottes Zusage gilt jedem seiner Geschöpfe und ist kostbar gerade dann, wenn ich mich heimatlos fühle, abgeschnitten und alleingelassen. Wenn ich den Eindruck habe, für niemanden von Bedeutung zu sein. Wenn ich mich fühle wie unsichtbar, sind diese Worte an mich gerichtet: "Siehe, ich habe deinen Namen in meine Hand geschrieben, ich habe Dich immer vor Augen."
Derart identitätsversichert kann ich mich auf den Weg machen, die offenen Stellen in meiner Biographie zu erforschen. Und sollte ich am Ende dieser Expedition enttäuscht sein, gilt eines doch unumstößlich: Gott kennt mich.
Es gilt das gesprochene Wort.