Anfang Juli hat die zweite Hälfte des Jahres begonnen. Unsere Autorin erfasst dabei Wehmut.
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Der Zenit ist überschritten, sagen manche. Meine Mutter hat in diesen Sommertagen Anfang Juli immer gesagt: Nun werden die Tage wieder kürzer. Als Kind fand ich das schräg: Hier bei uns im Norden ist die Ostsee gerade erst so warm, dass man baden kann, und die Sommerferien haben noch gar nicht angefangen. Der Sommer läuft sich gerade erst warm – und jetzt werden die Tage schon wieder kürzer?
Der Zenit ist überschritten oder feiern wir das Bergfest? Ist das Glas mit Holundermarmelade halbvoll oder halbleer? Gehen wir entspannt in die Halbzeit oder schauen wir angespannt auf den Rest des Jahres?
Der Gedanke lässt sich weiterspinnen. Wenn die erste Hälfte von 2025 wie im Nu schon wieder rum ist, dann hat der Flug der Zeit insgesamt Geschwindigkeit aufgenommen. Die Hälfte des Jahres umweht auch Wehmut. Der Zenit ist überschritten – der Satz legt sich leicht auf das Lebensgefühl. Hälfte des Jahres, Mitte des Lebens, Midlife-Crisis.
Neulich habe ich einen Podcast mit der Philosophin Barbara Bleisch gehört zu ihrem aktuellen Buch: "Mitte des Lebens. Philosophie der besten Jahre." Hängen geblieben ist bei mir vor allem ein Bild für die Mitte des Lebens: Man steht wie auf einem Hochplateau. Von hier aus kann man in alle Richtungen schauen. Vor und zurück und zu beiden Seiten.
Mir gefällt das Bild auch für die Jahresmitte: Auf dem Zenit, auf dem Hochplateau kann ich gut verweilen. Ich kann nach vorn UND zurück schauen. Hier ist es hell, und ich kann mir klar machen, was in diesem Jahr schon gelaufen ist und was ich noch plane. Ohne Druck, sondern in Ruhe: ein Arbeitsprojekt, das mir wichtig ist – und die Verschnaufpausen auch. Freunde, die ich treffen möchte. Das Konzert im September – zwar weit entfernt und aufwändig, aber doch so attraktiv, dass ich hinwill. Also doch das Ticket kaufen. Anderes vielleicht absagen.
Jetzt duftet es nach Himbeeren und Lavendel. Im September wird es nach Äpfeln und feuchtem Gras riechen. Auch gut. Es sind nicht nur noch sechs Monate bis Silvester, sondern noch ein ganzes halbes Jahr. Oder wie die Philosophin Barbara Bleisch zur Lebensmitte sagt: "Wie viel schöner wäre es doch, wir könnten uns zuprosten und sagen: Du bist 50! Wie schön! Du bist ein halbes Jahrhundert hier." Auf dem Hochplateau des Lebens – in der Mitte des Jahres.
Ich setze dabei auf ein Vertrauen, das in der Bibel in den Psalmen vorkommt. Da steht zum Beispiel: "Ob ich sitze oder stehe, Gott, du verstehst meine Gedanken von fern. Ob ich gehe oder liege, du siehst alle meine Wege." Gott neben mir. Bei dem, was hinter mir liegt, und bei dem, was mir die Zukunft bringt. Es ist offen, was ich noch erreichen werde und was auf mich wartet. Aber ich vertraue darauf: Gott ist an meiner Seite, was auch kommen mag.
Diese Tage Anfang Juli, wenn wir die Jahresmitte gerade überschritten haben, sind besondere Tage. Ob wir unseren Sommer auf dem Balkon verbringen oder irgendwo in der Ferne, manches kann sich im Sommer ein bisschen leichter anfühlen. Heller. Und, wenn nicht, hat dieses Jahr noch richtig viel Zeit, besser zu uns zu werden. Auf uns warten Himbeeren, Brombeeren, später dann Äpfel und irgendwann Lebkuchen. Und jetzt gibt es hoffentlich laue Sommerabende, irgendwann Raureif, fallende Blätter und Schnee.
Bei all dem begegnen wir hoffentlich wohlwollenden Menschen, werden oder sind gesund und fühlen uns begleitet: "Ob ich sitze oder stehe, du verstehst meine Gedanken von fern. Ob ich gehe oder liege, du siehst alle meine Wege."
Es gilt das gesprochene Wort.
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