Der Duft von Kräuterbaguette lockt alle in die Küche. Für diesen Augenblick ist alles gut – auch wenn die meisten das gleich wieder vergessen haben werden. Ein himmlischer Moment in einer Demenz-WG.
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Es riecht nach Kräuterbaguette. Ein bisschen knoblauchig – auf jeden Fall frisch und lecker. Eigentlich haben alle schon Abendbrot gegessen. Aber plötzlich kommen sie nach und nach in die Küche. Ein Pfleger in der Demenz-WG hat sich das Baguette mitgebracht. Für seinen persönlichen Abend-Snack. Aber die Bewohnerinnen und Bewohner der Wohngemeinschaft für dementiell Erkrankte lockt der Duft.
Es gibt zwar feste Essenszeiten, ein Rhythmus tut ja gut. Aber grundsätzlich können alle in der Demenz-WG ihren Tag so gestalten, wie es passt: Wer gern ausschläft, frühstückt um 11. Wer erst abends Appetit auf Müsli mit Joghurt hat, bekommt es eben um 21 Uhr.
Heute Abend wollen ALLE snacken. Das Kräuterbaguette duftet zu gut. Der Pfleger grinst: "Na, da muss ich wohl teilen", sagt er und erinnert sich im selben Moment daran, dass Grete krank in ihrem Zimmer liegt und vielleicht auch was möchte.
Ich bin zu Besuch in der Demenz-WG und sehe die Szene. Fast wie ein kleines feierliches Mahl, denke ich. So ein unverhoffter Abendimbiss, der alle noch mal zusammenbringt. Zehn Leute wohnen in der WG. Vom Baguette ist in kürzester Zeit nicht mehr viel übrig. Den Pfleger stört das nicht. "Morgen bringe ich ein neues mit", meint er und schmiert sich ein Brot.
Manchmal blitzt in der Demenz-WG etwas auf. In all den schweren Momenten schimmert es plötzlich durch so wie in diesem Augenblick in der Küche. Gerade noch hat jemand das Stromkabel durchgeschnitten, und eine andere weiß nicht, dass die Besucherin ihre Tochter ist, da gibt es ein unverhofftes Abendmahl.
Wie auf einer Wüstenwanderung – eine Geschichte in der Bibel erzählt davon: Der Weg ist lang und beschwerlich. Die Israeliten sind wütend, dass Mose sie auf diese unnütze Tour genommen hat. Das schlechte Ende scheint vorprogrammiert. Da regnet es an einem Morgen Manna vom Himmel - sozusagen aus dem Nichts. Manna ist klein, weiß, knusprig und schmeckt süß wie Honig. Das Himmelsbrot stärkt, lässt hoffen, lässt weiter gehen. Das Manna in der Bibel hält nur für einen Tag. Am nächsten Morgen ist es verdorben.
So erlebe ich das auch bei meinen Besuchen in der Demenz-WG. Es gibt diese "Manna-Momente" wie den Abend, an dem der Duft des Kräuterbaguettes alle in der Küche versammelt hat. Was zählt, ist der Moment. Am nächsten Tag sieht alles wieder ganz anders aus.
Aber solche Manna-Moment brauchen die an Demenz Erkrankten ebenso wie ihre Familien, Freundinnen und Freunde. In irgendeiner Weise braucht es Himmelsbrot, wenn ein Angehöriger seine demente Partnerin zu Hause betreut und sich sorgt, ob sie den Weg wieder nach Hause findet oder den Herd anlässt. Wenn ein Mann langsam vergisst, wie sein Partner heißt. Oder eine Mutter ihre demenzkranke 60-jährige Tochter in der Demenz-WG besucht, dann braucht es Himmelsbrot. Immer wieder.
Der Pfleger, der sein Baguette mit den Bewohnerinnen und Bewohnern teilt, beschert ihnen einen himmlischen Moment inmitten des Abendbetriebs. Freundinnen und Freunde, die weiter zu Besuch kommen, auch wenn sie sprachlos sind und sich hilflos fühlen, auch wenn es nicht mehr ums Reden geht, sondern einfach ums Da-Sein. Ein paar Minuten zuhören, mitweinen oder mitlachen.
Für mich als gläubiger Mensch schenken mir die Worte aus der Bibel solche himmlischen Momente. Manchmal. Ich kann sie mir leihen und in sie eintauchen, wenn ich mal verzweifelt bin. Mal ist es dann der Schrei aus Psalm 22: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Mal sind es Vertrauens-Worte wie Psalm 23: "Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln." Und dann gibt es außerdem die Texte der Bibel, die sagen: Hungrige werden satt und Kranke bekommen ihre Würde zurück. In manchen Momenten sind das Worte wie Manna für mich.
Es gilt das gesprochene Wort.
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