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Wie kannst du Gemeinschaft erfahren, wenn du schwer krank im Bett liegst? Das beschäftigt oft Angehörige schwer kranker Menschen. Den Künstler Matthias Mollner zum Beispiel. Er hat seine schwer kranke Partnerin vorsichtig und einfühlsam für die Öffentlichkeit fotografiert und gemalt. Es ist ihr gemeinsames Projekt, denn sie möchte nicht in die Krankheit verschwinden.
Als ich eines dieser Bilder sah, dachte ich: Hält die Frau auf der rosa Decke ihren Mittagsschlaf? Ein paar Minuten Ruhe ohne Handy? Sie liegt auf der Seite, die Hände unter dem Kopf verschränkt und die Augen geschlossen.
Ohne mehr zu wissen, ein friedliches Bild. Doch etwas irritiert. Etwas fräst sich durch das Bild. Eine Schnur liegt über der Frau. Wie ein Wurm. Schließlich ist es ein Schmerzportrait. Der Wiener Künstler Matthias Mollner hat von seiner Partnerin Judith Schoßböck eine ganze Reihe erschaffen. Sie ist an ME/CFS erkrankt, einer schweren Multisystemerkrankung. Die Betroffenen sind oft bettlägerig, ständig müde und leiden an großen Schmerzen. Reize sind für sie eine Tortur, und sie dürfen sich nicht anstrengen.
Ein einsamer Leidensweg. Darum versuchen Angehörige und Freunde die Kranken sichtbar zu machen – für die größere Gemeinschaft. So wie Judith durch die Schmerzportraits ihres Partners sichtbar ist. ME/CFS-Erkrankte und auch andere Menschen, die an einer chronischen Erschöpfung – einer Fatigue – leiden, werden oft nicht ernst genommen. Viele verschwinden von der Bildfläche in eine stille und unsichtbare Welt.
Diese Millionen vermisste Menschen - in den USA heißt die Bewegung #millionsmissing - müssen täglich ihre wenigen Energiereserven mobilisieren, um zu überleben. Bisher gibt es wenig Forschung und medizinisches Wissen, aber immer mehr Menschen erkranken.
Für mich sind sie auch eine Gemeinschaft. Eine große unsichtbare Gemeinschaft. Und sie brauchen die, die sie lieben und natürlich auch pflegen und versorgen. Sie und ihre Angehörigen brauchen aber auch die größere Gemeinschaft derer, die sie unterstützen, ihre Bilder zeigen, für sie beten, sie sichtbar machen.
Wie die Eltern der 20-jährigen auch an ME/CFS erkrankten Mila Hermisson, die sich mit aller Kraft für mehr Forschung einsetzen. Sie bringen immer neue Aktionen in die Öffentlichkeit. Und unterstützen auch das Kunst-Projekt von Matthias Mollner und Judith Schoßböck. Auf dem Social Media-Kanal der Mutter von Mila finde ich einen Dank an die evangelische Gemeinde am Ort. Dort steht: "ME/CFS macht oft einsam – Betroffene, die nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt am sozialen Leben teilhaben können, aber auch Angehörige, die durch die Pflege in ihren sozialen Möglichkeiten eingeschränkt sind. Deshalb ist es bewegend, wenn eine tolle und engagierte Gemeinde Betroffene und die verheerende medizinische Versorgungssituation sichtbar macht und ein Zeichen der Solidarität und Gemeinschaft setzt."
Die evangelische Gemeinde im österreichischen Mödling betet für die Betroffenen. In der Wiener Stadtkirche hingen die Schmerzportraits von Matthias Mollner und Judith Schoßböck. Manche Kirchen werden zum ME/CFS Awareness Day blau angestrahlt.
Manchmal können wir nicht gemeinsam essen oder uns unterhalten. Aber Gemeinschaft entsteht auch anders: für Menschen zu beten, an sie zu denken und auf sie aufmerksam zu machen. Auch für andere kranke Gemeindeglieder, die nicht mehr auftauchen.
Gemeinschaft und Verbindung entstehen, wenn Außenstehende bei Erkrankten vorsichtig nachfragen, sie besuchen oder ihnen schreiben. Oder eben, wenn es in Ordnung ist, öffentlich zu machen, wie es ihnen geht.
In einem Artikel über Mila Hermisson lese ich: "Woran denkt sie in den zahllosen Stunden, in denen sie allein im Dunkeln liegt? Nachdem ihr Vater diese Frage stellt, zögert Mila lange. Er hakt nach, ob es vielleicht Erinnerungen an das besondere Jahr sind, als sie im Ausland war. Nein, antwortet sie. Pläne, Zukunft."
Es gilt das gesprochene Wort.