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Die Sendung zum Nachlesen:
„Ich küsse die Sonne und umarme den Mond“… Worte plätschern zuweilen vorbei, manchmal treffen sie mitten ins Herz. Diese hier erwischten mich im richtigen Moment. Sie stammen aus einem alten Gebet von Hildegard von Bingen:
„Ich küsse die Sonne und umarme den Mond und halte ihn fest. Mir genügt, was sie für mich ersprießen lassen. Was sollte ich noch mehr wünschen, dessen ich gar nicht bedarf? Alles erweist mir Barmherzigkeit. Im Haus meines Königs darf ich wohnen, sitzen beim königlichen Mahl, weil ich eine Königstochter bin.“
Dieses Gebet lese ich an einem Urlaubsmorgen. Ich spreche die Worte nach, bete sie nach den Losungen, dem täglichen Bibelwort, das wir beim Frühstück lesen. Sicher hätte mich dieses Gebet an vielen Tagen auf dem falschen Fuß erwischt. Aber jetzt, wo ich sie erst lese und dann nachspreche, bin ich das erste Mal wieder am Atlantik. An unserem Lieblingsort, endlich wieder einmal im Urlaub. Das erste Mal, seit es mit Corona anfing, wieder an dem vertrauten weiten Strand mit dem feinen Sand und den vielen Muscheln. Das erste Mal kann ich wieder bis hinter den Horizont gucken. Das grün-türkis-blaue Wasser vor mir, den Sand unter den Füßen und darüber die Sonne in unterschiedlichen Farben und Stimmungen. Es riecht hier immer anders als zuhause. Salzig, nach Thymian und Rosmarin. Und seit Tagen beobachte ich abends mehr Fischerboote und einen zunehmenden Mond. Ob es dann mehr Seebarsche gibt?
Und dann dieser eine Abend. Vollmond. Es ist fast taghell und wir können vom Balkon aus das gesamte Meer vor der Algarve erahnen – mit all den kleinen Fischerbooten. Wir versuchen, den Anblick zu fotografieren, noch nie haben wir das hier so gesehen. Erst mit dem Handy, dann muss die Kamera ran. Aber es geht nicht. Zum Glück. Wir legen die Technik weg und schauen einfach. Als ob wir den Mond umarmten und ihn festhielten. Und für einen kurzen Moment lang gelingt es mir, dankbar zu sein. Richtig tief dankbar. Genügt mir alles. Die Sonne küssen und den Mond umarmen. Die alten Worte von Hildegard von Bingen halten mir diesen Augenblick fest. Sie fassen mein Gefühl in Worte, nämlich:
Ich bin in diesem Urlaub eigentlich immerzu dankbar gewesen. Dafür, dass ich so etwas erleben darf in all den Wirren. Dafür, dass wir keinen Krieg in unserem Land haben. Dafür, dass so viele unterstützen und helfen. Dafür, dass Corona bisher glimpflich an den mir Lieben vorbei gegangen ist. Dafür, dass ich das erste Mal wieder an meinem Lieblings-Atlantik-Ort sein darf.
In diesem Vollmond-Moment leuchtet für mich noch eine andere Farbe. Eine, die vieles Dunkle aufhellt. Ich werde daran erinnert, dass so ein Glitzeraugenblick jede Sekunde passieren kann. Unverhofft, nicht mühsam geplant oder erarbeitet, sondern einfach so. Einen kurzen Moment lang genügen Sonne und Mond und was sie für mich ersprießen lassen, wie es Hildegard von Bingen formuliert: „Was sollte ich noch mehr wünschen, dessen ich gar nicht bedarf? Alles erweist mir Barmherzigkeit. Im Haus meines Königs darf ich wohnen, sitzen beim königlichen Mahl, weil ich eine Königstochter bin.“
Die alten Worte fangen diesen Dank-Moment perfekt ein. Und ich nehme sie mit, sozusagen als Proviant für den Alltag. Luft holen. Den gleißenden Mond umarmen. Die Sonne küssen. Mit anderen Königstöchtern unterwegs sein. Helle Farben sehen und spüren. Kraft tanken für das, was kommt.
Es gilt das gesprochene Wort.