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Die Sendung zum Nachlesen:
Das Preisschild baumelt noch an seiner neuen blau-weiß-roten Fanmütze, der Junge lächelt: „What do you want?“, fragt ihn der Mann am Getränkewagen. Der Junge guckt seinen Vater neben sich fragend an, sie wechseln ein paar Worte auf Ukrainisch, vielleicht auch Russisch. „Coke“, sagt schließlich erst der Kleine mit der Fanmütze, dann die anderen beiden neben ihm: Coke, Coke. Ihr Vater gibt die Getränkegutscheine ab, die drei Jungs kriegen ihre Coke und das Grüppchen geht langsam weiter in Richtung Stadion.
120 geflüchtete ukrainische Kinder samt ihrer Eltern sind heute beim Heimspiel von Holstein Kiel gegen den 1. FC Heidenheim dabei. Eingeladen vom Verein. Und haben vielleicht ein paar leichte Momente auf ihrer langen Reise. Die Flucht aus der Ukraine. Eine ungewisse Zukunft hier, in Norddeutschland. Gern wollen sie wieder zurück, nach Hause. Wenn es sein muss: auch an einen anderen Ort. Wer weiß das jetzt schon.
„Coke – Coke - Coke“ hallt es in mir nach. Und da ist er wieder, dieser un-fassbare Grat zwischen der Welt hier mit ihren kleinen und großen Problemen: Kinder unter zehn sollten nicht so viel Cola trinken und hast Du auch deine Regenjacke fürs Stadion dabei? – und der so anderen Welt des Krieges mit seinen unerbittlichen Themen.
Was ist schon ein Fußballspiel gegen die neuesten Nachrichten? Beim Fußball geht es in diesen neunzig Minuten um alles: Verzweifelt schreien die Fans, wenn ihre Spieler die Köpfe hängen lassen und den Klassenerhalt gefährden. Noch nie habe ich so viele weinende Männer gesehen wie im Stadion, noch nie so viel Wut, unbändige Freude und Hass auf einem Haufen. Aber um das Ergebnis geht es bei diesem Fußballspiel für die Kinder aus der Ukraine und ihre Eltern vermutlich kein bisschen. Holstein Kiel und 1. FC Heidenheim… das ist eine komplett andere Welt als die, die die ukrainischen Familien zurzeit erleben. Das ist gut, um einmal Luft zu holen. Bevor sie wieder am Handy sitzen und bangen. Das ist gut, wie ein Schluck Wasser auf ihrem Weg durch die Wüste. Und, eben auch ein Schluck Cola – in diesem einen, kleinen Moment hoffentlich ohne Angst und unbeschwert.
Am nächsten Morgen schalte ich den Radiogottesdienst ein: „Höre Worte, die für dich in deiner Wüste geschrieben sind“, heißt es da und die Pastorin zitiert Worte des Propheten Jesaja: „Jubeln werden die Wüste und das trockene Land, jauchzen wird die Steppe und blühen wie die Lilien“ (Jes 35, 1).
Wieder dieser Grat, denke ich – zwischen Wüste und Lilien, zwischen Krieg und Fußball. Aber Jesaja spricht nicht von den blühenden Lilien, ohne die Wüste zu kennen. Er leidet mit denen, die schlecht und ungerecht behandelt werden und prangert Missstände an. Er selbst kommt auch nicht ungeschoren davon. Wird immer wieder angefeindet und verfolgt. Das macht seine blühenden Lilien glaubwürdig. Ich kann das Hoffen nur denen glauben, die auch das Verzweifeln kennen. Ich kann Oasen nur erahnen und Luftholen erhoffen, wenn eine atemlose Person davon erzählt. Was ich nicht kann: den Ukrainern von hier, aus dem friedlichen Deutschland, erzählen, wie sie Frieden bekommen können…
Wenn Jesaja daran erinnert, auf Gott zu vertrauen, dann tut er das für mich nicht von oben herab. Dann ist das kein Säuseln, sondern ein von Wüstenerfahrungen getränktes Hoffen und Glauben: „Jubeln werden die Wüste und das trockene Land, jauchzen wird die Steppe und blühen wie die Lilie“. Mich lässt das hoffen - es kann noch nicht alles sein in dieser Welt, so wie sie ist. Es gibt einen neuen Himmel und eine neue Erde. Irgendwann. Und es muss sie geben. Auch schon jetzt. Manchmal. Wenigstens für einen Moment.
Die ukrainischen Jungs sehe ich noch mal auf dem Weg zum Bus. Auch die anderen haben inzwischen Schals und Mützen von dem Verein, von dem sie vorher vermutlich noch nie gehört haben. Aber vielleicht nehmen sie mit den Schals einen kurzen leichten Moment mit in ihren neuen Alltag.
Es gilt das gesprochene Wort.