Predigt zum Nachlesen:
I
Herr ich komme zu dir und ich steh vor dir, so wie ich bin…So wie wir sind – am Ende dieses Jahres 2023, auf das wir heute zurückschauen. Vielleicht so wie Jakob auf ein Jahr, in dem wir Neues gewagt haben und wir vertrauen mussten, auch wenn das nicht immer einfach war. Und jetzt an Silvester doch zurückblicken auf ein Jahr, in dem wir wachsen durften.
Oder vielleicht so wie Sabine – mitgenommen von all den Krisen der Welt. Mit aufgeriebenen Nerven und der Frage, wie es eigentlich weitergeht mit dieser Welt, in der die Warnleuchten ununterbrochen anzuschlagen scheinen.
Wir stehen hier, kommen zu Gott, so wie wir sind – vielleicht so wie Lennert mit einem Jahr voller Rückenwind. Mit schönen Erfahrungen und einem weiten Horizont. Oder so wie Barbara – nach einem Jahr mit Abschied und Trauer, in dem der Horizont vom Nebel verschleiert wurde.
So, wie wir sind. Mit den hohen und den tiefen Erfahrungen. Den beflügelnden und denen, die uns haben hadern und zweifeln lassen. Auch der Apostel Paulus schaute zurück. Er schaut auf das, was er an ganz unterschiedlichen Orten bewirkt hat. Er ist umhergereist im östlichen Mittelmeerraum und hat Menschen von dem erzählt, was ihn zutiefst bewegt: der unbegreiflichen Gnade Gottes, die allen gilt. Wenn er zurückschaut, hat er Konflikte im Kopf, die es in seinen frisch gegründeten christlichen Gemeinden gab. Er musste Überzeugungsarbeit leisten und seinen Glauben an Gottes grenzenlose Liebe verteidigen. Paulus schaut zurück auch auf das, was ihn seine Überzeugung gekostet hat. Auf Erfahrungen im Gefängnis. Auf Spott und Verachtung. Aber das hat seinen Glauben nicht klein gekriegt. Im Gegenteil: Es hat sein Vertrauen in Gott größer gemacht. Paulus schreibt: Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.
Für mich ist das ein starker Satz. Und ich versuche, mit diesem starken Vertrauen auf das Jahr 2023 zu schauen – auf Hohes und Tiefes, auf Highlights und Tiefpunkte. Ich setze mit Paulus darauf, dass sich Gottes Liebes durch alles hindurchzieht – durch Stürme, durch Sonnentage und durch Nebel. Wo zeigt sich diese Liebe irgendwie, irgendwo?
Für Paulus steht unverbrüchlich fest: Gott ist nicht nur auf den Höhenflügen zu finden. Nicht nur dann, wenn ein azurblaues Panorama sichtbar ist und dir die Welt zu Füßen zu liegen scheint. Paulus war gewiss: Auch und gerade in der Tiefe des Lebens ist Gott an unserer Seite. Dann, wenn du deine demenzkranke Mutter begleitest, wenn deine Zeit auf einmal vom Rhythmus eines anderen bestimmt ist und du dich fragst, wann sich der Nebel endlich lichtet und wie die Welt ohne Nebel eigentlich aussehen wird. Wenn du einsam bist und dich sehnst nach Verbundenheit und Miteinander.
Es gibt Mächte und Gewalten, die unserem Leben zusetzen. Das wussten wir vorher und das hat das Jahr 2023 mit seinen Kriegen und Krisen gezeigt. Und trotzdem: Ich halte fest an dem Satz von Paulus: Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes. Denn: Gott hält an uns fest. So sehr, dass er selbst Mensch wurde. So sehr, dass Gott selbst in die Tiefe kam.
Mitten hinein ins Leid und es selbst durchlebt und durchlitten hat. Als der Mensch Jesus an der Seite von Menschen. Gott hält an uns fest – im Hohen und im Tiefen. Er weiß um unser vergangenes Jahr: Um Rückenwind, um Nebel und um Lichtspuren da, wo nicht zu sehen war, wo das Licht herkommt. Paulus hat darauf gesetzt, da ist Licht, und hat geschrieben:
Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes, noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. [4:28]
II
Paulus schaut in seiner Gegenwart zurück in die Vergangenheit und gewinnt daraus eine Perspektive für die Zukunft. Aus Gestern und Heute - wird Morgen. Ein Morgen, von dem er nicht weiß, was ihn erwartet und in das er doch hoffnungsstur und glaubensheiter hinein geht. Hoffnungsstur, weil er Gottes Handeln in der Vergangenheit sieht. Weil er sieht, dass Gottes Liebe in seinem Sohn Jesus Christus greifbar wurde:
Gott ist bei uns. Gott ist für uns. Nur kommt Gott manchmal eben so ganz anders, als wir es vermuten würden. Vergangene Woche haben wir Weihnachten gefeiert. Das Kind in der Krippe: Verletzlich und verwundbar beginnt sein Leben. Allmächtig und zart. Allwissend und leidend. Für Paulus ist Jesus Christus der Grund für seinen Glauben. Gott ist an unserer Seite in allem, was uns passiert. Wenn Gott für uns ist – wer kann sich dann noch gegen uns stellen?
Gott ist für uns. Gott ist bei uns. Für dich, wenn du dich fragst, wie das Leben weitergehen soll. Bei dir, wenn du ein neues Familienmitglied begrüßen darfst, wenn dein Herz übervoll ist vor Glück. Für dich, wenn du das Gefühl hast, nicht genug zu sein, egal wie sehr du dich anstrengst. Bei dir in deinem Gelingen und deinem Scheitern. Für dich in den vergangenen 365 Tagen. Für dich in den vor dir liegenden 366 Tagen – denn ist ja Schaltjahr.
Und manchmal, wenn ich das selbst gerade nicht sehen kann, dann braucht es Freund:innen. Solche wie Paulus, der sich an meine Seite stellt und mit mir auf die Suche geht nach den Spuren von Licht in meinem Leben. Der von seinen Erfahrungen mit Gott erzählt. Der mir zeigt, wie die Sonne sich im Wasser spiegelt, auch wenn sie selbst von Wolken verdeckt ist. Der mit mir Gottes Spuren entdeckt.
Gottes Spuren in der Welt. Denn Christ-Sein, das bedeutet nicht, in der eigenen Filterblase, der Welt entzogen zu leben, sondern sich mitten hineinzuwerfen. Dem Vorbild von Jesus zu folgen. Verletzlich zu sein. Sich vom Leben berühren zu lassen. Und hinzusehen, zu hören, zu handeln. Sich einzubringen in dieser Welt, die so voller Gestaltungsaufgaben vor uns liegt. Hinein in das Jahr 2024 mit seinen Höhen und Tiefen. Hoffnungsstur. Der Welt entgegenhoffend.
Meine Hoffnung für das neue Jahr. Manchmal die Sonne nicht sehen und doch wissen, dass sie da oben hinter den Wolken scheint. Gottes Liebe als Anker in den Stürmen. Das Vertrauen, dass sich hinter dem Nebel der weite Horizont verbirgt.
Denn ich bin gewiss, dass weder Gelingen noch Scheitern. Weder Tränen noch Jubel. Weder Aufbrüche noch Sackgassen. Weder Mut noch Ängste uns trennen können von Gottes Liebe. Ich bin gewiss: Gott wandert mit uns von einem Jahr zum anderen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Es gilt das gesprochene Wort.
Felix Weise
Pfarrer im Landespfarramt für Rundfunk und Fernsehen in Stuttgart
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