Foto: Edith Willmann
Wir gehen gemeinsam
aus der Jubilate-Kirche in Reutlingen
24.03.2024 09:05
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Predigt zum Nachlesen:


Es ist nicht zu begreifen, was da geschieht. Jesus, ein absolut unschuldiger Mensch, wird von den Verantwortlichen beiseitegeschafft. Römer und Hohepriester samt Schriftgelehrten sind sich da ausnahmsweise mal einig. Bevor noch mehr Aufruhr im Volk entsteht um einen, der angeblich Wunderkräfte hat, den viele gar den Messias, den Sohn Gottes nennen, von dem so mancher die Befreiung von den römischen Besatzern erhofft… - bevor es dazu kommen kann, wird lieber ein Unschuldiger ans Kreuz genagelt.

Es ist nicht zu begreifen. Was da geschieht. Jesus, der bislang keiner Fliege was zuleide getan hat, im Gegenteil, der Menschen heil gemacht hat an Leib und Seele, der wird verhaftet. Jesus, der allenfalls theologische Streitpunkte offenlegte und ansonsten die Gewaltlosigkeit propagierte, ja die Liebe zu den Feinden, dem wird Gewalt angetan.

Jesus, der gerade noch mit Hosianna-Rufen in Jerusalem willkommen geheißen wurde, hört am Ende der Karwoche das „Kreuzigt ihn!“ des Pöbels.

Es ist nicht zu begreifen, dass Gott da nicht eingreift und Leid und Gewalt verhindert. Bis heute nicht zu begreifen. Wie so oft. Vielleicht deshalb gehört die Passionsgeschichte zu den Teilen des Neuen Testaments unserer Bibel, die besonders oft gemalt, verdichtet und vertont werden. Mit Pinsel und Musik versuchen Menschen, sich dem Geheimnis der Leidensgeschichte Jesu anzunähern. Und genau das tun wir heute auch. Wir tun es mithilfe des Liedes „Wir gehen hinauf nach Jerusalem“, gedichtet 1970 von Karl Ludwig Voss nach einer Melodie aus Schweden.

Der Kinderchor singt die erste Strophe:

Wir gehen hinauf nach Jerusalem in leidender Liebe Zeiten und sehen, wie einer für alle stirbt, um uns einen Platz zu bereiten.

II
er Bibelvers aus dem Lukasevangelium, den wir bei der Lesung gehört haben, ist der Ausgangspunkt für dieses Passionslied von Karl-Ludwig Voss. Jesus sagt zu den Seinen: „Wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden.“ Jesus geht nicht allein. Er hat seine Freunde um sich. Das heißt im Umkehrschluss: Auch seine Freunde gehen nicht allein. Sie haben Jesus bei sich auf dem Weg. Das ist gut zu wissen.

Neulich in der Grundschule war der Tod eines Haustieres, kurze Zeit später sogar der Abschied von einer Oma Thema im Religionsunterricht.

Kinder fragen ehrlich und schonungslos nach dem Wie und dem Wohin, wenn jemand stirbt. Und sie brauchen genau wie wir Erwachsenen auch Bilder gegen die Sorge und die Angst.

Jesus hat seinen Vertrauten an anderer Stelle, im Johannesevangelium, so ein Bild gegen die Angst mitgegeben. Er sagt: „Ich werde vorgehen, um eine Wohnung zu bereiten und dann hole ich euch nach.“ Sterben ist wie Umziehen. So habe ich es den Kindern erklärt. Nur dass wir noch nicht ganz genau wissen, wie die neue Wohnung aussieht. Sicher ist nur: Jesus hat uns da einen Platz bereitet. Gut zu wissen und wohltuend zu glauben, gerade dann, wenn wir einen Angehörigen loslassen müssen.

Der Kinderchor singt die zweite Strophe:

Wir gehen hinauf nach Jerusalem. Wer will bei dem Herrn bleiben und kosten von einem so bittern Kelch? Die Angst soll uns nicht von ihm treiben.

III
Mehrfach kündigt Jesus seinen Abschied vorher an im Kreis seiner Freunde. Einmal sagt Simon Petrus daraufhin vollmundig: Ich jedenfalls werde dir folgen, wohin du auch gehst. Ich lasse dich nicht im Stich. Jesus fragt daraufhin vorsichtig zurück: Willst du wirklich den Kelch trinken, den ich trinke? Bist du dir da sicher? Simon hat beste Absichten, aber er hält sie nicht durch. Er kriegt später doch noch weiche Knie. Gott sei Dank ist Jesus nicht nachtragend. Er weiß ja, wie bitter so ein Kelch schmecken kann.

So mancher Christ, so manche Christin hat schon einen bitteren Kelch trinken müssen. Dietrich Bonhoeffer dichtet einst im Gefängnis, wo er als persönlicher Gefangener Hitlers den sicheren Tod vor sich hat: „Und reichst du uns den schweren Kelch, den bitteren, des Leids gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus deiner und geliebten Hand.“ Beeindruckend, wenn einer das sagen und leben kann, oder? Bonhoeffer konnte es, weil er seinen Weg als richtig erkannt hatte und weil er sich mitten in der Auseinandersetzung und im Leid behütet fühlte. Und so schreibt Bonhoeffer in seinem Gedicht: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

Wir hören die dritte Strophe des Liedes „Wir gehen hinauf nach Jerusalem“.

Wir gehen hinauf nach Jerusalem, das Opfer der Welt zu sehen, zu spüren, wie unsere Not vergeht, und unter dem Kreuze zu stehen.

IV
Es waren wenige, die damals unter dem Kreuz standen und die Not aushielten bis zuletzt. Es waren vor allem die Frauen um Jesus, seine Mutter, seine Jüngerinnen, einer seiner liebsten Jünger, Johannes. Alle anderen konnten das Ende nicht mit ansehen oder wollten nicht, vielleicht weil sie es nicht ausgehalten haben, vielleicht aus Angst, selbst dranzukommen.

Ich kenne den Reflex, lieber die Augen zu verschließen vor der Not ihrer Mitmenschen. Was soll ich als einzelner Mensch da schon gegen machen? Da gerate ich vielleicht selbst noch in Konflikte… Das halte ich emotional gar nicht aus, mir die Not anderer vor Augen führen zu lassen. Aber die Not kann nur da vergehen, wo wir sie teilen, auch wenn es uns schmerzt. Mitgefühl lindert. Mittragen hilft, gerade im Leid. Manchmal ohne große Worte. Das Dasein kann mehr bewirken als jedes gut gemeinte Wort. Das sollten wir einander wert sein. Dann können wir nach der Passions- vielleicht auch eine Osterzeit gemeinsam erleben.

Der Kinderchor singt die vierte Strophe des Liedes „Wir gehen hinauf nach Jerusalem“:

Wir gehen hinauf nach Jerusalem, zur Stätte der ew’gen Klarheit. Wo Leiden und Ohnmacht in unsrer Welt, da finden wir Christus in Wahrheit.

V
„Wir gehen hinauf nach Jerusalem zur Stätte der ew’gen Klarheit.“ Alles klar? Nichts ist klar, wenn „das Schicksal“ uns ereilt, wenn eine Krankheit uns zu schaffen macht oder wenn der Tod uns einen lieben Menschen nimmt. Das ist eine Ohnmachtserfahrung, die schmerzt. Normalerweise haben wir doch alles gut im Griff gehabt: das Leben, die Liebe, den Beruf, den Alltag. Und plötzlich ist alles anders. Und das Schlimmste: Ich kann niemandem dafür so richtig die Schuld in die Schuhe schieben. Allenfalls Gott selbst, dem ich mein „Warum?“ entgegenschleudere.

„Warum geht es mir eigentlich so gut?“ Das fragt selten jemand. Obwohl wir es oft genauso wenig verdient haben „Warum geht es mir schlecht?“, das ist eine der häufigsten Fragen im Gebet. Aber Jesus trägt uns das nicht nach. Er weiß ja, wie es ist zu leiden. Am Kreuz fragt er selbst: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Die das später gewissenhaft notiert haben ins Evangelium, die wussten natürlich schon, dass Gott ihn keineswegs verlassen hatte, als Jesus starb.

Die hatten Ostern ja bereits hinter sich. Aber wer sein Ostern noch vor sich hat, wer noch mitten im Leid steckt, für den ist noch längst nicht alles klar. Dennoch heißt es in dem Lied, das der Kinderchor gesungen hat: Jerusalem wird zur Stätte der ewigen Klarheit. Denn dort wird klar, dass unser Gott immer genau da präsent ist, wo Leid und Ohnmacht schmerzlich erlebt, ja erlitten werden.

Mit dem heutigen Palmsonntag beginnt die Karwoche. Wir machen uns auf den Weg mit Jesus. Manche fasten in dieser Karwoche. Manche besuchen Passionsandachten, Gottesdienst und Passionsoratorien. Ich wünsche uns allen die Erfahrung, dass wir nicht allein auf dem Weg sind – weil wir einander begleiten, ja, aber vor allem, weil Jesus uns begleitet in Gottes Namen.

Amen.

Es gilt das gesprochene Wort.

Kontakt zur Sendung

Pfarrerin Barbara Wurz
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