Predigt zum Nachlesen:
I
Berchtesgaden, liebe Gemeinde, liebe Hörerin, lieber Hörer, das ist - ganz einfach - der Watzmann. Dieser Berg hat so eine Wucht, eine fast magische Ausstrahlung.
Rechts hat er diese gewaltige Spitze vom Watzmann selber, links gegenüber steht die Spitze der etwas kleineren Watzmannfrau und dazwischen sind die Zacken der sieben Watzmannkinder - so thront dieses Bergmassiv über Berchtesgaden.
Der Watzmann ist schon so ein Berg, von dem man sagen kann: Der ruft. Unzählige Menschen wollen einmal im Leben auf dem Watzmann stehen. Und offen gestanden: Ich gehöre da auch dazu. Als Jugendlicher bin ich mal dort oben gewesen.
Wir sind damals in aller Herrgottsfrüh aufgebrochen, haben irgendwann unterwegs erlebt, wie die Sonne aufgeht. Und so ein Sonnenaufgang im Gebirge: Das gehört zum Schönsten, was man in der Natur erleben kann.
Oberhalb vom Watzmannhaus wird es dann irgendwann felsig. Das ist für mich die Stelle, an der ich mich fragen muss: Wie schaut‘s aus? Kann ich hier noch weitergehen? Passt die Ausrüstung? Fühle ich mich da überhaupt noch sicher?
Gerade, wenn es auf der einen Seite fast senkrecht nach unten geht, muss ich schon wirklich gut auf mich hören und auf die, mit denen ich unterwegs bin. Sonst wird‘s gefährlich. Ich habe lernen müssen, barmherzig zu sein: mit mir und mit meinen eigenen Grenzen.
Und dann stehe ich da mit meinen damals 14/15 Jahren auf dem mittleren Gipfel. Ringsherum die anderen Berge und über mir nur der große, weite Himmel. Das ist ein irrer Augenblick, auf so einem Gipfel. Als ob sich Himmel und Erde berühren. Ein echter Glücksmoment! Ein heiliger Moment.
Ich kenne viele Menschen, die bis ins hohe Alter hinein von Bergtouren erzählen und alte, oft vergilbte Fotos herauskramen. Da geht jedes Mal ein Strahlen über ihr Gesicht. Die sind wie verzaubert.
Und wenn ich an meine Watzmanntour von damals denke, dann geht es mir genauso.
Die Berge machen etwas mit uns. Berge sind ganz besondere Orte.
II
Schon immer zieht es Menschen in die Berge. Auch die Bibel erzählt davon. Mose bekommt auf dem Berg Sinai die Zehn Gebote. Auf dem gleichen Gipfel begegnet der Prophet Elia (in diesem leisen Säuseln) Gott.
Und: Auch Jesus ist, wenn man so will, ein Bergsteiger gewesen. Ich finde das verblüffend und überraschend, wie oft Jesus einen Berg aufsucht.
Bei seiner ersten Bergtour, so erzählt es die Bibel, präsentiert ihm der Teufel vom Berg aus, hoch oben, die ganze Welt. Alles liegt ihm dort zu Füßen. Der Teufel sagt: Schau, das kannst du alles haben, wenn du mich anbetest!
Berge können Machtfantasien auslösen. Sie machen mich größer, als ich bin. Es ist ja auch ein erhebendes Gefühl! Da steht man oben am Gipfel und denkt sich: Yeah! Ich bin der König der Welt! Mir kann keiner was!
Kein Wunder, dass sich Machthaber gerne auf irgendwelche Höhen zurückziehen. Auch Berchtesgaden kann ein Lied davon singen: Hier am Obersalzberg hatte Hitler seinen Berghof und seinen zweiten Regierungssitz neben Berlin. Hitler und andere Nazigrößen haben diese grandiose Berglandschaft für sich missbraucht.
Jesus steht auf dem Berg neben dem Teufel und sagt: Nein.
Er sagt Nein zu solchen Machtphantasien: Nein, es gibt nur einen, dem ich mich anvertraue: Gott. Und bei Gott, da gelten ganz andere Maßstäbe.
Das heißt jetzt nicht, dass wir uns auf Bergen immer nur klein fühlen müssen. Nach dem Motto: Du bist so groß und i bin a Zwerg. Nein, wir dürfen uns dort groß fühlen. Das Problem ist, wenn das Ganze kippt: Wenn wir uns nicht erhaben fühlen, sondern überheblich werden, rücksichtlos, unbarmherzig.
Darüber predigt Jesus - bei einem Berggottesdienst.
Ich bin als Pfarrer Referent für Kirche und Tourismus in Bayern. Zu meinem Arbeitsbereich gehören auch Berggottesdienste dazu. Insofern freut es mich besonders, dass Jesus so was wie der Erfinder der Berggottesdienste ist.
Er predigt: Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Selig sind die Friedenstifter, denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Die berühmte Berg-Predigt.
Liebet eure Feinde, tut wohl denen, die euch hassen.
Es ist kein Zufall, dass Jesus das gerade auf einem Berg sagt. Klar: Er stellt sich damit dem Mose an die Seite. Der hat auch auf einem Berggipfel erfahren, was wir brauchen, damit unser Zusammenleben funktioniert. Gott hat Mose auf dem Berg Sinai die Zehn Gebote gegeben.
Aber ich denke mir auch: Ganz schön schlau von dir, Jesus! Denn es sind die Berge, auf denen wir genau das lernen können: Aufeinander schauen. Auf den Weg achten, für uns selbst und für andere. Uns aufeinander verlassen. Und: barmherzig sein – mit mir selber und mit den anderen.
Berge sind ganz wunderbare Pädagogen.
Und: Berge sind Therapeuten!
Ich erlebe das oft: Da bin ich im Gebirge unterwegs, laufe so vor mich hin und merke: Mir geht so viel durch den Kopf, was mich ärgert und beschäftigt oder mir - im wahrsten Sinne des Wortes – nachgeht.
Und dann geschieht irgendwann zuverlässig dieses Wunder: Mein Kopf wird freier. Ich fühle mich freier. Diese große, himmlische Weite steckt mich an und lässt mich selbst weiter werden.
(Ich fange an, mich über kleine Dinge zu freuen: Ein Rinnsal, das zu einem kleinen Wasserfall wird, oder eine Blume, die sich im Felsen festklammert und blüht. Und ich finde es jedes Mal erstaunlich, wie gut am Berg so ein bisschen Brot und Schokolade schmecken. Man braucht gar nicht so viel. Auch das ist eine tolle Erfahrung: Pack dir nicht immer so viel drauf. Nimm leichtes Gepäck. Das reicht völlig.)
Berge wirken heilsam, Berge heilen.
Ich kann da meine Sorgen „wegwandern“.
Für mich ist das wirklich ein gutes Rezept: Raus und rauf auf die Berge - am besten frühmorgens. Wie in dem Lied: „Im Frühtau zu Berge“.
III
Hinausgehen, den Sonnenschein fangen. Als ob das möglich wäre.
Losgehen. Mich auf den Weg machen, raus aus der Talsohle. Mich heilen lassen. Und dafür gute Orte aufsuchen, Licht-Orte. Heilsame Orte wie die Berge.
Es gibt eine Berggeschichte mit Jesus, die habe ich – ehrlich gesagt - immer überlesen.
Jesus (…) ging auf einen Berg und setzte sich dort. Und es kam eine große Menge zu ihm; die hatten bei sich Lahme, Blinde, Verkrüppelte, Stumme und viele andere und legten sie ihm vor die Füße, und er heilte sie. (Mt 15,29f)
Da oben auf dem Berg. Jesus sieht sie alle an und heilt sie. Er hilft ihnen, freier zu werden, beweglicher und die Welt mit neuen Augen zu sehen.
Ja, ich glaube, Jesus kennt die Heilkraft auf Bergen. Und nutzt sie.
Vielleicht hat diese Kraft damit zu tun, dass sich dort Himmel und Erde berühren. Wenn ich am Gipfel stehe, dann staune ich: Wie groß und wunderbar bist du, Gott, der du das alles geschaffen hast! Berge helfen mir, wieder mit Gott in Beziehung zu kommen. Zu schauen, zu staunen und zu spüren: Da ist mehr. Mehr als mein kleines Leben.
Das erfahre ich nicht, wenn ich Berge bloß als Sportgeräte oder ein riesiges Fitnesscenter verstehe. Als Orte, an denen ich Leistung bringe oder meine Machtfantasien auslebe.
Heilsames erlebe ich, wenn ich mich auf die Berge einlasse und sie als Orte sehe, in die Gott für uns so etwas wie einen großen Schatz hineingelegt hat.
Und Jesus wird für mich zu einem Bergführer. Er nimmt mich an die Hand und sagt: Schau, das alles schenkt Gott dir mit den Bergen! Du kannst dort Wege ins Leben finden, heil werden an Leib und Seele. Dem Himmel nahe kommen. Gott begegnen.
Nicht nur auf dem Watzmann bei Berchtesgaden. In der Eifel, im Harz, im Erzgebirge, auf der Düne oder auf dem nächsten Hügel vor deinem Haus.
Komm mit.
Den Sonnenschein fangen.
Amen.
Es gilt das gesprochene Wort.