Das Wort zum Sonntag: "Tour des Lebens" - Doping
Pfarrer Gereon Alter
27.10.2012 22:40

Guten Abend und herzlich willkommen beim „Wort zum Sonntag“.

 

Was mach ich nun mit diesem Buch: „Lance Armstrong, Tour des Lebens. Wie ich den Krebs besiegte und die Tour de France gewann“? Es steht seit Jahren in meinem Bücherregal.

 

Als ich es zum ersten Mal gelesen habe, hab ich es regelrecht verschlungen. Ich war Feuer und Flamme. Denn ich bin selbst ein begeisterter Radfahrer. Ich weiß, was es heißt, auf dem „Bock“ zu sitzen, einen Berg in Angriff zu nehmen, dabei an meine Grenzen zu kommen und sie dann doch noch irgendwie zu überwinden. Und ich habe auch schon einige Krankenhausaufenthalte hinter mir, deren Ausgang ungewiss war. Da hat mich Lance Armstrong mit seiner Leidenschaft, seinem Kampfgeist und seiner Zähigkeit ungemein fasziniert. „Ein erschütternd beglückendes Buch“ steht auf der Rückseite.

 

Und nun? … stellt sich heraus, dass er gedopt, betrogen und gelogen hat. Dass seine Leistungen nur möglich waren, weil er Teil eines durch und durch korrupten Systems war, in dem er willfährig mitgespielt hat. Aus dem „Helden des Radsports“ ist einer der größten Versager geworden.

 

Ich habe den Sturz des großen Helden zum Anlass genommen, noch mal etwas genauer auf meine eigene „Tour des Lebens“ zu schauen. Ohne Zweifel: der Wille, etwas zu erreichen, und die Zähigkeit, auch Durststrecken zu ertragen, sind ein wichtiger Teil von mir. Ohne diese Energie und das Vertrauen in meine eigene Leistungsfähigkeit hätte ich vieles sicher nicht erreicht.

 

Aber das ist – wenn ich ehrlich bin – nur die halbe Wahrheit. Denn ich bin mit meinem Leistungsvermögen auch so manches Mal an Grenzen gestoßen und habe sie nicht überwinden können. Gerade dann, wenn ich etwas unbedingt erreichen wollte, bin ich manchmal einfach nicht weitergekommen. Und dann waren es andere, die mich wieder aus dieser Sackgasse herausgeholt haben. Gute Freunde, für die das, was ich leiste, nicht das Wichtigste ist. Denen ich aber als Mensch etwas bedeute. „Musst du das Rad wieder so überdrehen? Lass doch mal Fünfe gerade sein.“ Mit solchen Sätzen haben sie mich wieder auf die richtige Spur gebracht.

 

Im Grunde waren das die wichtigen und wirklichen Highlights meiner bisherigen „Tour des Lebens“. Nicht der verbissene Kampf und auch nicht der Stolz auf die eigene Leistung. Dass andere zu mir gehalten haben, als ich nicht mehr weiter gekommen bin, und dass meine Leistung anerkannt worden ist, obwohl ich nicht über meine Grenzen gegangen bin: das ist es, was mich wirklich glücklich und zufrieden gemacht hat.

 

Lance Armstrong hat andere Prioritäten gesetzt. Ganz sicher auch unter dem Druck einer Gesellschaft, in der Spitzenleistungen weitaus höher geschätzt werden als Menschlichkeit und Ehrlichkeit. Wird er aus seinem Scheitern lernen? Wird unsere Gesellschaft aus ihrem Scheitern lernen? – Ich hoffe es.

 

Und was mach ich nun mit diesem Buch? – Ich stelle es in mein Bücherregal zurück. Denn das, wofür Lance Armstrong gestanden hat, wird ein Teil auch meines Lebens bleiben. Aber eben nur ein Teil. Und deshalb stelle ich gleich neben dieses Buch noch ein anderes. Eins, das von Menschlichkeit und von Ehrlichkeit handelt.

 

Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht und einen gesegneten Sonntag.

Sendeort und Mitwirkende