Das Wort zum Sonntag: "Hauptsache, das Bild stimmt?"
Pfarrer Gereon Alter
03.11.2012 22:30

In drei Tagen entscheidet es sich: Mitt Romney oder Barack Obama. Der us-amerikanische Wahlkampf läuft sich noch einmal so richtig heiß. Aber woran entscheidet es sich eigentlich? – Vermutlich an dem Bild, das die beiden in den Medien abgeben. Vermutlich daran, wie sie im Fernsehen und im Internet "rüberkommen".

Von einem, der sich wissenschaftlich mit solchen Dingen befasst, habe ich gelernt, dass die Entscheidung, wer mir sympathisch ist und wem ich mein Vertrauen schenke, bereits nach 0,3 Sekunden fällt. Ja, Sie haben richtig gehört: 0,3 Sekunden. Mehr braucht es nicht für ein erstes, aber entscheidendes Urteil. (Schön übrigens, dass Sie noch nicht abgeschaltet haben.) Und dann sind es Kleidung, Blicke und bewusst gewählte Gesten, die den Eindruck festigen. – Und was ist mit den Sachfragen, den Argumenten und der nötigen Nachdenklichkeit? Höchstens zehn Prozent, sagt der Medienwissenschaftler. Zu neunzig Prozent entscheidet das Bild.

Ob Ihnen mein Jacket gefällt, meine Gestik und meine Mimik, ist also viel wichtiger als das, worüber ich mit Ihnen nachdenken möchte. Ich weiß, dass es so ist. Und dennoch irritiert es mich. Denn so ist es ja nicht nur beim "Wort zum Sonntag" oder im amerikanischen Wahlkampf. So funktioniert jede Rede, jede Talkshow, jedes Interview. Ja, mittlerweile habe ich den Eindruck, dass sogar unsere Alltagsgespräche immer häufiger so funktionieren. Hauptsache, ich gebe ein gutes Bild ab. Was sich dahinter verbirgt, ist nicht so entscheidend.

Dabei habe ich schon so manche Überraschung erlebt. Erst kürzlich noch bei einem Vortrag. Ein Mann, in bestem Zwirn gekleidet, gut geübt im Umgang mit Gesten und Worten ... aber je länger ich ihm zuhöre, umso deutlicher wird mir: das alles hat er schon tausend Mal gesagt. Es sind Textbausteine, die er aneinanderreiht. Keine wirklich eigenen Gedanken.

Wie anders die Begegnung mit einem Mann, der mir auf den ersten Blick unsympathisch war – wohl, weil er etwas "schlunzig" daher kam und auch seine Wortwahl nicht die beste war. Aber was er sagte, hat mich schwer beindruckt. Denn es war deutlich zu spüren: er meint, was er sagt. Und es stehen auch entsprechende Taten dahinter.

Mir kommt ein Bibelwort in den Sinn: "Der Mensch sieht, was vor den Augen ist. Gott aber sieht auf das Herz des Menschen." (1 Sam 16,7). Nun sind wir nicht der liebe Gott. Aber etwas mehr von seiner Art zu sehen, würde uns glaube ich gut tun – nicht nur im amerikanischen Wahlkampf, sondern auch in unseren alltäglichen Gesprächen. Dann würde der, dem es nicht auf Anhieb gelingt, unsere ganze Sympathie zu gewinnen, eine zweite Chance bekommen. Und der, der uns blendend gegenübersteht, müsste erstmal beweisen, dass er uns nicht blenden will.

Ich wünsche Ihnen einen klaren Blick und ein hörendes Herz … und danke Ihnen, dass Sie mir zugehört haben.

Sendeort und Mitwirkende