Das Wort zum Sonntag: "Der leere Stuhl"
Pfarrer Gereon Alter
02.03.2013 21:10

Sede vacante. Der Stuhl ist leer. – Seit Donnerstagabend, 20:00 Uhr, herrscht in der katholischen Kirche die sog. "Sedisvakanz". Der Stuhl des Papstes, das Symbol seiner Leitungsverantwortung für die Kirche, steht im wahrsten Sinne des Wortes leer da.

 

Ich finde, das ist ein starkes Bild. Zum einen, weil es für eine Lebensentscheidung steht, der viel Respekt und Hochachtung entgegen gebracht worden ist. Zum anderen – und das tritt für mich immer stärker in den Vordergrund – weil es etwas über die Kirche und den christlichen Glauben sagt.

 

Wir Katholiken werden ja manchmal völlig mit dem Papstamt in eins gesetzt. Als habe der Papst alles und jedes zu entscheiden. Als ginge in unserer Kirche überhaupt nichts ohne ihn. Der "Stellvertreter Christi auf Erden" wird er genannt. Interessanterweise vor allem von Menschen, die von außen auf die Kirche schauen. In meiner Pfarrei würde das so, glaube ich, niemand sagen.

Der Papst ist ohne Zweifel ein wichtiger Inspirator. Einer, der die katholische Kirche zusammen hält. Ja, auch einer, der gelegentlich richtungsweisende Entscheidungen trifft. Aber er ist nicht "die Kirche". Die Kirche, sei sie nun katholisch, evangelisch oder orthodoxisch, lebt zunächst und vor allem von Menschen, denen der Glaube an Gott etwas bedeutet, und die versuchen, ihr Leben aus diesem Glauben heraus zu gestalten. Dabei ist ihr erster und wichtigster Orientierungspunkt nicht der Papst, sondern Jesus Christus und die Art und Weise, wie er gelebt hat.

 

"Was würde er in dieser oder jener Situation tun? Wie können wir seinem Lebensmodell, von dem wir glauben, dass es ein gutes ist, heute, unter den Bedingungen einer ganz anderen, postmodernen Gesellschaft folgen? Was heißt es für mich persönlich, ein lebendiger und guter Mensch zu sein?" Das sind die Fragen, die einen Christen bewegen und mitunter auch im Gewissen fordern – wie ja übrigens auch Papst Benedikt seine Entscheidung, das Papstamt an einen Jüngeren zu übergeben, sehr bewusst vor Gott und vor seinem Gewissen getroffen hat. Wir sind also auch als katholische Kirche keine "Papstkirche", sondern eine Kirche Gottes und eine Kirche Jesu Christi.

 

Übrigens: weit bevor der leere Stuhl zu einem Symbol der Papstamtes geworden ist, war er ein Symbol für Jesus Christus. Schon in den ersten Kirchen wurde er bildlich dargestellt, um die Menschen daran zu erinnern, dass keine irdische Macht, kein Mensch und auch kein Papst, diese Stelle letztlich einnehmen kann. Es wird in unserem Leben immer eine Leere bleiben, die nur Gott selbst ausfüllen kann. Ein Gott, wie er sich in Jesus Christus gezeigt hat.

 

So gesehen verliert für mich die Frage, wer denn nun wohl der neue Papst wird, so einiges an Gewicht. – Klar, auch ich wünsche mir, dass der neue Papst eine inspirierende Persönlichkeit ist. Dass es ihm gelingt, die vielen hausgemachten Probleme, unter denen die katholische Kirche derzeit leidet (auch und gerade im Vatikan), … dass es ihm gelingt, diese Probleme mutig anzugehen. Und dass die Reformen nun endlich kommen, die so viele Menschen ersehnen. Aber nüchtern betrachtet, wird auch der neue Papst seine Grenzen haben. Auch er wird nicht alle Erwartungen erfüllen können. Auch der 266. Papst wird ein Mensch sein und seine Macht bloß eine irdische.

 

So gut dieser Stuhl also demnächst auch wieder besetzt sein mag: er wird immer auch ein Stück leer bleiben. Gott sei Dank! Denn so bleibt Raum für den, der allein in der Lage ist, die Leere, das Unvollkommende und Begrenzte in unserer Welt zu füllen – auch die Leere, die ich manchmal in mir selber spüre. In einem alten Gebet heißt es: "Gott vollende das Gute, das er in dir begonnen hat." Das ist mein Wunsch für den neuen Papst. Und das ist mein Wunsch auch für mich und für Sie.

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