Wort zum Sonntag
Jesus weint
01.08.2015 10:00

Eine Kapelle in Jerusalem

Dominus flevit – der Herr weint. So heißt eine kleine Kapelle auf dem Ölberg in Jerusalem. Dort kann man hinter dem Altar durch ein großes Fenster die Jerusalemer Altstadt mit Grabeskirche und Felsendom sehen.

Dominus flevit – der Herr weint. Die Kirche erinnert an eine Episode aus dem Leben Jesu. An dieser Stelle hat er einmal gestanden und über die Stadt geschaut. Da ist er in Tränen ausgebrochen. Er hat Krieg und Zerstörung kommen sehen und geklagt: „Wenn Du doch erkennen würdest, was zum Frieden dient!“ (Lk 19, 42)

Jesus hat über Jerusalem geweint. Er war traurig – weil Menschen so sind, wie sie sind. Unfähig Frieden zu halten. Jeder meint, er müsste sein Recht durchzusetzen. Jeder hat Angst, zu kurz zu kommen. Jeder denkt, er müsste sich verteidigen. Zu viele meinen, nach Ihren Ideen müsste sich die Welt verändern. Und versuchen zu verwirklichen, was ihnen richtig scheint. Um jeden Preis. So ist das bis heute. Es ist zum Weinen.

 

Wenn jeder auf seinem Recht beharrt…

Ich habe vor vielen Jahren durch das große Fenster in dem kleinen Kirchlein auf Jerusalem geschaut und das ganz beklemmend gespürt: Ja, so sind wir Menschen. Sogar hier, in der Stadt, die für Christen, Juden und Muslime gleichermaßen heilig ist. Hier vielleicht erst recht. Gerade hier gibt es keinen Frieden.

Jesus hat darüber geweint. Damals gab es noch keine Christen und auch noch keine Muslime. Aber die Menschen waren die gleichen. Die gleichen wie überall. Unfähig, in Frieden miteinander zu leben. Unfähig, sich gegenseitig zu unterstützen, statt sich zu bekriegen. Darüber hat Jesus geweint. Und weil sich in Jesus Gott gezeigt hat, kann man sagen: Gott weint über die Menschen in Jerusalem. Und er weint auch über mich. Ich  merke ja, wie ich immer wieder mal Öl ins Feuer gieße, statt Frieden möglich zu machen. Ich beharre auf meinem Standpunkt. Ich mache dem anderen Vorwürfe. Ich versuche, mich und meine Ideen durchzusetzen.

Aber mir fällt auf: Genau das tut Jesus nicht! Ich finde, das kann man dieser kurzen Szene sehen. Jesus macht niemandem Vorwürfe. Er beschuldigt nicht die einen und nimmt die anderen in Schutz. Er verflucht die nicht, die unfähig sind zum Frieden. Er ist traurig.

Manchmal denke ich: Daran müsste man sich ein Beispiel nehmen. Egal ob es um das heutige Jerusalem und Israel geht oder um die Trennung eines befreundeten Paares, ob es um eine Firma geht, die bankrott ist, um die Schulden Griechenlands oder um Eltern, die sich Sorgen machen um ihre Kinder.  Dann nicht mit dem Finger zeigen und sagen: „Selbst schuld!“ Oder: „Das habe ich doch gleich gesagt.“ Oder: „Hättest du mal auf ich gehört!“ Sondern: „Es tut mir leid für ich! Ich bin traurig, dass es so gekommen ist.“

 

Tränen reinigen die Augen

Traurig sein mit den anderen. Vielleicht wäre das ein erster Schritt zum Frieden. Ein erster Schritt, dass etwas besser wird. Weinen, dass wir alle so sind, wie wir sind. Damit kann ich zeigen: Ich weiß im Augenblick auch keinen Rat. Aber ich weiß, dass es so nicht bleiben kann. Und ich sehe, dass ich auch meinen Teil Schuld trage an dem, was ist. Ich glaube, das könnte Menschen zueinander führen, die meinen, sie müssten sich dauernd voneinander abgrenzen. Und Mauern aufrichten, damit nicht Schlimmeres passiert. Vielleicht merken sie dann: Wenn man Mauern einreißt, kommt der Frieden näher. Denn erst dann sieht man die Menschen auf der anderen Seite und wie es ihnen geht. Und wo Menschen sich sehen und kennen lernen, da können aus Feinden Freunde werden.

Traurig sein und weinen:  Manchmal macht das die Augen klar. Irgendwann versiegen die Tränen. Und dann sieht man mehr als vorher. Manchmal sogar einen Weg, der weiter führt.

Hoffentlich.