Pauluskirche Neunkirchen
„Denn es ist erschienen“
Gottesdienst aus der Pauluskirche Neunkirchen
24.12.2015 16:05

Predigt

Gnade sei mit euch und Friede und das Licht dieser Nacht erscheine Euch allen durch Gott, der war, ist und kommt!

 

Liebe Gemeinde,

was hier und heute zu Weihnachten von der Kanzel wie bei jedem Gottesdienst zum Gruß gewünscht wird: Gnade – soll gerade heute kein frommer Wunsch bleiben: Sie ist erschienen , die Gnade da und zwar für alle.

So sagt es uns der Titusbrief (2, 11-14):

„Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen und nimmt uns in Zucht, dass wir absagen dem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Begierden und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilandes Jesus Christus, der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das eifrig wäre zu guten Werken.“

 

Ohne Punkt und Komma wird uns hier die Weihnachtsbotschaft beschert. Wovon sein Herz voll war, davon ist dem Briefschreiber offensichtlich der Mund übergegangen: von, ja wovon eigentlich? Von der Erfahrung der Gnade war sein Herz so voll, dass Titus ohne Punkt und Komma Gottes herrliche Gnade allen verkündet. Gnade hat der Briefschreiber offenbar nicht nur für sich erlebt, sondern er sprudelt davon über: Die Gnade Gottes ist heilsam erschienen allen Menschen.

Allen Menschen? Das haben wir tatsächlich vorhin schon einmal gehört. Der Engel sagte es zu den Hirten: Ich verkünde Euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird. Allen Menschen wird der Heiland geboren und über allen im Finstern scheint es hell.

Ich höre diese wirklich frohe Botschaft als Entgegnung zu all dem, was ich an Bildern und Ereignissen durch die Adventszeit hindurch in diesen Weihnachtsgottesdienst mitbringe: Unsere Zeit scheint für sehr viele so ausweglos, so gnadenlos! Ich denke an die Opfer der Terroranschläge in Beirut, Bagdad, Paris und an ihre Angehörigen. Getötet, als sie einfach bloß das Leben genießen wollten. In Restaurants, Cafes, im Konzert. Ermordet von verbrecherischen Terroristen.

Solchen, vor denen nach wie vor Menschen fliehen. Durch die Wüste laufen sie immer noch um ihr Leben, wagen sich lieber aufs Meer als zu bleiben. Immer noch treiben Terror und Krieg Tausende fort von den Ihren. Und: immer noch sind Zäune hilflose Antworten. Immer noch werden Ankommende ausgesperrt oder weitergeschickt. Immer noch ist Ankommen also ein Wunder, für das sich viele anstrengen. Wirklich viele Menschen strengen sich mit ihrer Arbeit an, dass in unserer Mitte Menschen überhaupt ankommen können, dass die Gnadenlosigkeit nicht schon durch die Sprachbarriere siegt. Und: auch in unserer Mitte ist die Gnade des Friedens zerbrechlich geworden. Die Gnadenlosigkeit von Terror und Krieg scheint so übermächtig für ungezählte Menschen. Und dagegen spricht die Botschaft des heiligen Abends von dieser Herrlichkeit. Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes für alle Menschen!

 

Die heilsame Gnade Gottes will allen beistehen und Raum geben: denen, die ankommen bei uns und denen, die sich darum mühen und manchmal nicht mehr weiter wissen. Die heilsame Gnade Gottes stellt uns in dieser Nacht alle in das wärmende Licht der Menschlichkeit. So brauchen wir weder Angst vor Fremden noch Mutlosigkeit vor uns herzutragen. Zäune werden übersprungen und alle Denkschubladen geöffnet, dass wir einander Raum geben und begegnen können. Vor kurzer Zeit habe ich den treffenden Satz gehört: Jeder Mensch, dem Du in echt begegnest, ist eine Schublade weniger. Das ist für mich Gnade: offene Begegnung statt Vorurteil und Angst.

 

Die heilsame Gnade Gottes ist erschienen allen Menschen: Sehen wir einander doch als die, die wir sind: geliebte Menschen Gottes. Alle. Uns ist heute der Heiland geboren – menschgewordener Gott ganz klein! Diese Weihnachtsbotschaft entgegnet denen, die gern auf Vorurteil, Angst und Besitz beharren, dass Gott Mensch wurde im Stall von Bethlehem. Durch diese Menschlichkeit Gottes kommt das wärmende Licht der Hoffnung für alle Menschen in die Welt.

Weihnachten wird, wenn wir uns anrühren lassen in unserer Menschlichkeit: so wie die Ärztin, die der Patientin mit großer Fachkompetenz die anstehende Operation erläutert. Während die Ärztin erklärt, merkt sie, dass die ältere Frau auch dement ist. Also nimmt sie sich noch mehr Zeit, hört der Patientin aufmerksam zu und bekommt durch ihre Geduld das Einverständnis zur OP. Mit einem Lächeln zwischen Menschen kann jetzt die OP-vorbereitung losgehen– Menschlichkeit hinter der Fassade Angst machender Klinikkühle.

Weihnachten wird es, da der Mitarbeiter im Jobcenter unerwartet viel Geduld hat mit dem langzeitarbeitslosen Familienvater, der mit der Kindergeldkasse schon wieder Ärger hat – da langt es hinten und vorne nicht für den ganzen Monat zum Leben. „Kommen Sie, ich versuche es mit einem Telefonat. Vielleicht kann ich Ihnen dann helfen, das Problem auszuräumen.“ Ungläubig sitzt der Kunde am Schreibtisch seines Sachbearbeiters:  solche Hilfsbereitschaft im Jobcenter, wo er sonst für jedes bisschen Beweispapiere bringen muss! Darin ist erschienen die Menschlichkeit Gottes mitten unter uns.

Weihnachten wird es, als mir die Frau mit dem Kleinkind an der Hand in die Augen sieht und mir eine kleine Kerze überreicht: „Das ist der Dank, weil Sie uns im letzten Jahr oft geholfen haben in dieser Gemeinde.“  Wie oft hatte sie bei unseren Begegnungen verschämt zu Boden geblickt – unbezahlte Rechnungen, Stromkosten- bis sie sich überhaupt mal eingestehen konnte, woher die stetige Geldnot kam!!! Ein weiter Weg: jetzt kann sie mich ansehen.

Sehen wir uns um: allen Menschen Heil und Hoffnung – Wir sehen und finden die Menschlichkeit im eigenen Herzen und in den Augen derer, denen wir begegnen. So wird die Gnade der Weihnacht allen zuteil!

 

Alle haben wir Weihnachten nötig auf ganz unterschiedliche Weise. Alle brauchen wir den Widerspruch zu unserem termin- und sorgenbeladenem Alltag: Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen. Sie leuchtet hindurch durch Glitter und Rummel. Sie ergreift uns im Miteinander festlicher Stimmung und erinnert uns an die tiefe Sehnsucht aller Menschen: Heil-sein. Heil-werden.

Ja, das ist meine Sehnsucht in all den Anstrengungen, die das Leben ausmachen. Wie ist anstrengend alt und gebrechlich werdenden Eltern gerecht zu werden und zugleich jeden Tag den Auseinandersetzungen im Beruf standzuhalten. Mal ganz abgesehen von pubertierenden Kindern, deren Sorgen mir auch eine gewisse elterliche Stärke abverlangen. Manchmal mag ich einfach nicht mehr stark und liebevoll zugleich sein, manches Mal  schaffe ich es auch einfach nicht: Heil -werden, Heilsein. Diese Sehnsucht beschreibt so viel mehr als ein sentimentales Weihnachtsfriedensgeflüster, das alle Spannungen höchstens übertüncht:

Die Gnade des menschgewordenen Gottes heilt mich von der schweren Last, allein Dunkel und Angst tragen zu müssen. Ich trage das Leben nicht allein. Diese Hoffnung geben mir zum Beispiel die Hirten, die dem Ruf der Engel gefolgt sind. In ihnen erkenne ich: so armselig und hilflos ich mich manchmal auch fühle, ich bin nicht allein. Gott ist nah! Gerade im Dunkel will er das Licht der Freude entzünden. Hier, wo ich so schwer trage, ist heilsam Menschsein möglich. Mit allem, was ich hierher mitbringe: Dank, Fragen, Zweifel, Schmerzen, darf ich kommen, heilsame Gnade der Weihnacht mit allen zu erfahren, die diese Sehnsucht auch kennen.

Ja, Weihnachten heilt mich von der Not, alles allein bewältigen zu müssen. Was ich loslasse im Licht der Gnade Gottes, öffnet mich für die tiefe Freude und Hoffnung dieser Nacht. Es wird Weihnachten, bedeutet dann: Gott kommt an –in einer Krippe im Stall von Bethlehem und im Leben, in mir und für mich.

FROHE WEIHNACHTEN!

 

Der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre Eure Sinne und Herzen in Christus Jesus. Amen.