Ich beobachte den Mann und den Hund im Park schon eine ganze Weile. Der Mann wirft das Stöckchen und der Hund rennt hinterher und holt den Stock. Manchmal tut das Herrchen nur so, als ob es den Stock wirft. Der Hund rennt dann los und hält mitten im Lauf an, weil er merkt, dass der Stock nicht geworfen wurde. Also rennt der Hund zurück zum Herrchen und wartet, dass dieser den Stock nun wirklich wirft. Wenn der Herr seinen Hund herausfordern will, dann wirft er zwei Stöcke in unterschiedliche Richtungen. Der Hund ist komplett verwirrt, springt zwischen beiden Zielen hin und her bis er einen Stock zurückbringt.
Ganz schön einfältig von dem Hund, sich die ganze Zeit nach irgendwelchen Stöckchen auszurichten. Ein sinnloses Unterfangen mit immer gleichem Vorgang und Ergebnis. Ob der Hund das weiß? Wahrscheinlich schon und wahrscheinlich macht es ihm sogar Spaß. Es ist für ihn ein Spiel.
Ich erwische mich bei dem Gedanken, dass zwischen dem Hol-das-Stöckchen-Spiel und meinem Alltag gelegentlich kein großer Unterschied besteht. Auch ich renne gerne sämtlichen Wurfgeschossen meines Lebens nach. Im übertragenen Sinn bin ich ständig dabei, auf das zu reagieren, was sich in meinem Leben zeigt.
Ein Beispiel: Da sitze ich friedlich an meinem Schreibtisch und arbeite. Meine Tochter holt die Post und legt sie mir hin. Ich mache die Post natürlich sofort auf und sehe eine Rechnung, die nicht stimmt. Man verlangt mehr Geld von mir als vereinbart. Ich werde aktiv. Herausgerissen aus meiner inhaltlichen Arbeit, rufe ich bei der Buchhaltungsstelle an, um mich zu beschweren. Die Buchhaltung reagiert pampig und beharrt auf den Irrtum. Meine Aufregung steigt; der Blutdruck auch. An meine Arbeit denke ich nicht mehr, sondern nur noch an diesen Buchhaltungsfehler.
Ich rufe meine Kollegin an, um mich mit ihr auszutauschen über die Ungerechtigkeit dieser Welt im Allgemeinen und die Fehlerhaftigkeit von Buchhaltungen im Besonderen. Zwei Tage später klärt sich das Problem. Die Buchhaltung hat einen Fehler gemacht, entschuldigt sich und wird eine neue Rechnung schicken.
Und ich? Ich blicke auf zwei Tage Aufregung und eine unterbrochene und nicht vollendete Arbeit. Ich bin wie ein Hund dem "Stöckchen" hinterhergelaufen.
Der Hund und ich. Wir haben Gemeinsamkeiten und legen los, sobald sich etwas in unser Blickfeld schiebt, dem wir hinterherjagen können. Mit etwas Abstand gelingt es mir, dieses Spielchen zu entlarven, aber oft genug, falle ich darauf herein und bringe mich in Aufruhr, obwohl sich die Dinge nacheinander und ganz entspannt klären lassen. Und selbst wenn sich die Dinge nicht gut klären lassen: Durch reinen Aktivismus und Aufregung werden sie auch nicht besser. Ganz im Gegenteil, durch die Aufregung handle ich planloser als in Ruhe und treffe die schlechteren Entscheidungen.
"Alles hat seine Zeit" ist eine Aussage aus dem Buch Prediger in der Bibel. Es ist eine pragmatische Aussage. Jeder Inhalt hat seine Zeit und braucht seine Zeit. Alles kommt im Leben vor und will gesehen und gewürdigt werden: Die Arbeit, das Spiel, der Spaß und die Trauer, das Auf und Ab. Es ist gut, den Dingen ihre Zeit und Aufmerksamkeit zu geben, die sie brauchen. Aber zeitlich versetzt, nicht alles auf einmal. Denn es heißt nicht: "Alles in einer Zeit", sondern: "Alles hat seine Zeit!".
Mir hilft Atemmeditation dabei, zur Ruhe zu kommen. Den Atem verfolgen, spüren, dass es den Moment des Einatmens und den Moment des Ausatmens gibt. Mal so, mal so. Nie gleichzeitig, sondern immer zeitlich versetzt. Jahwe, der Name Gottes, ist eine Atemmeditation: Jah-we.