Die Innerstadtkirche St. Nikolai in Flensburg ist eine Baustelle. Die 600 Jahre alte Kirche wird innen saniert. Das wird noch einige Jahre dauern. Baustellen machen Dreck und Lärm. Sie zehren an den Nerven und bedeuten Veränderung. Das ist anstrengend – wie auch sonst die Baustellen im Leben.
"Das kann man nicht schönreden. Aber es sich schönmachen", sagt Pastor Marcus Friedrich in seiner Predigt im Gottesdienst am 8. September, den der Deutschlandfunk ab 10.05 Uhr live aus St. Nikolai überträgt. Marcus Friedrich bezieht sich auf das Evangelium für den Sonntag, in dem Jesus sagt: "Sorgt euch nicht! Schaut auf die Vögel unter dem Himmel und auf die Lilien auf dem Feld!" Der Blick auf Schönes kann stärken, um Veränderungen zu meistern.
Für Schönes aufs Ohr sorgt der Nikolaichor mit Werken der zeitgenössischen Flensburger Liederdichterin Susanne Brandt. Franziska Basselli ist Kantorin. Die musikalische Leitung hat Kirchenmusikdirektor Michael Mages. Es sprechen Brigitte Richter, Dörte Juraschek und Gerold Jensen.
Die Texte zu den Liedern, die im Gottesdienst gesungen werden, finden Sie unter: https://www.nikolaikirche-flensburg.de/
Predigt nachlesen:
I
Über die Sorge und das Gottvertrauen spricht Jesus von Nazareth in der Bergpredigt. Das ist das Evangelium für heute.
Das Evangelium für den heutigen Sonntag steht bei Matthäus im sechsten Kapitel:
Darum sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie? Wer ist aber unter euch, der seiner Lebenslänge eine Elle zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt? Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: Sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen? Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.
Sorget nicht!, sagt Jesus. Das sind ja gute Nachrichten, Grund für einen Tanz. Das nächste Lied ist ein Tanzlied. Eine sogenannte Kontrafaktur: Auf eine damals populäre, weltliche Melodie wurde ein geistlicher Text gedichtet.
In diesem Fall stammt die Melodie von Giovanni Giacomo Gastoldi aus dem Jahr 1591. Wenig später hat Cyriakus Schneegas, ein Pfarrer und Kirchenlieddichter, die Melodie verwendet und einen geistlichen Text dazu geschrieben. So entstand der evangelische Klassiker "In dir ist Freude in allem Leide". Und Susanne Brandt nimmt über vierhundert Jahre später die Tanzmelodie auf in ihrem Lied: "Nun hüpft das Leben".
II
Sorgt nicht um euer Leben, einfach gesagt! Grund zur Sorge gibt es doch genug. Und ist es nicht auch richtig zu sorgen? Vorzusorgen? Das Leben besteht doch vor allem aus Sorgen und Kümmern, Altersvorsorge, Nachsorge, Versicherungen.
Vorbeugen, vorbauen. Gebäude sichern, Leben sichern.
Dabei immer die Frage: Was für ein Bild der Zukunft habe ich eigentlich? Eines, das schlechter ist als das Heute, oder eines, das eine gute Vision in sich trägt?
Sorget nicht.
Wie gut wäre es, das Negative loszuwerden. Alle Sorgen werft auf Gott, denn er sorgt für euch, heißt es in der Bibel. Ja, Sorgen haften an. Das muss der Mensch schon beherzt abwerfen, weg damit!
Sorgt nicht für morgen, es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat, sagt Jesus. Das klingt wie die christliche Version des lateinischen "Carpe Diem". Übersetzt heißt das: "Pflücke den Tag!" Ich finde aber, der Satz von Jesus, dass jeder Tag seine eigene Plage hat, ist etwas realitätsnäher. Ja, in der Tat, Sorge ist da. Ich kann nicht jeden Tag nur die Lebensfrüchte pflücken.
Sorgt nicht für morgen. Das ist eine Art "Präsenzübung". Ganz im Hier und Jetzt und nicht schon am nächsten Tag. Mich auf das einlassen, was heute dran ist. Bei uns im Norden sagen die Leute kurz und knapp: "Der Tag, die Sorge."
Ist Jesus dann ein Tagedieb und Taugenichts? Nein, ein Weisheitslehrer ganz in der Tradition der Literatur und Theologie des Alten Testament. Wie zum Beispiel im Psalm vorhin. Da heißt es:
Es ist umsonst, dass ihr früh aufsteht und hernach lange sitzt und esst euer Brot mit Sorgen, denn seinen Freunden gibt´s der Herr im Schlaf.
In diese spirituelle Denktradition der Gelassenheit stellt sich Jesus, der Rabbi. "Den Seinen gibt´s der Herr im Schlaf" erscheint allerdings steil.
Dabei erlebt man doch oft genau dies, je älter man wird: Am Abend hat man sich gegruselt vor dem, was ansteht. In der Nacht wachst du immer wieder auf und wälzt Probleme. Aber am Morgen bei Tageslicht ist der Sorgenberg schon nicht mehr so groß. Manchmal haben sich Denkknoten gelöst.
Die Neurologen haben herausgefunden, wie wichtig die Hirnaktivitäten in der Nacht für die Denkkräfte des Menschen am Tage sind. Den Seinen gibt´s der Herr im Schlaf.
Jesus spricht an, dass übergroßes Sich-Sorgen-Machen unsere Kräfte übersteigt. Er sagt: "Wer ist aber unter euch, der seiner Lebenslänge eine Elle zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?" Unser Leben ist endlich. Unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Wir können nicht alles schaffen.
Jesus unterstreicht: Zu viel Sorgen bringen wenig, sie machen die Situation nicht besser.
Darum: es einander schönmachen, es Gott schönmachen. Sich nicht die Welt schönreden, aber es sich schönmachen. Als Christinnen und Christen tun wir das mit Liedern, Gesängen und schönen Gotteshäusern, in denen Menschen auftanken können. Darum renovieren wir gerade den Innenraum von St. Nikolai. Damit Menschen die Schönheit der Kirche weiter genießen können und die Seele fliegen lassen können wie ein Vogel. Jesus sagt: "Seht die Vögel unter dem Himmel! Sie säen nicht, sie ernten nicht; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch."
Vielleicht wählt Jesus die Vögel, weil sie nicht nur fliegen, sondern auch singen können wie wir. Wie schön ist der Gesang der Vögel - meistens!
Manchmal hilft das ganz praktisch: rausschauen aus dem Fenster oder in den Garten und den Vögeln zuhören, wie sie im Baum oder auf dem Dach ihr Lied singen. Ihnen nachgucken, wie schön sie fliegen. Da kann ich für einen Moment die Welt und die Zeit vergessen. Birdwatching à la Bergpredigt: Seht die Vögel unter dem Himmel! Manchmal gewinne ich dabei wieder Zuversicht. Dann sehe ich nicht nur meine Sorgen, sondern auch, dass Gott sorgt – für die Vögel am Himmel und nicht weniger für uns. Ein Grund, Gott zu danken und zu loben.
Sorgen loswerden. Darauf vertrauen, dass Gott für uns sorgt. Sich deshalb sorgenfrei fühlen wie die Vögel unter dem Himmel. In unserer Kirche St. Nikolai in Flensburg kommt das zusammen.
Und zwar ganz real: Wir haben Dohlen im Kirchturm, und manchmal verirrt sich eine Stadttaube auf das Gesims der Säulen in der Kirche. "Seht die Vögel!", sagt Jesus. Gott ernährt sie und sorgt für sie. Um wie viel mehr sorgt Gott dann für euch!
Wie ein Vogel unter Gottes Himmel, das sagt mir: Ich bin geborgen. Ich habe meinen Platz und bin zuhause, auch wenn mein Leben eine einzige Baustelle ist. Ich will mich nicht sorgen, denn ich habe ein Nest im Himmlischen.
Die Türen unserer St. Nikolai Kirche in Flensburg sind jeden Tag geöffnet. Damit Menschen hier etwas von ihren Sorgen loswerden, alleine oder zusammen mit anderen. Da wird aus dem Denkmal ein Fühlmal, ein Betemal, ein Singmal.
Auch wenn St. Nikolai gerade saniert wird, halten wir die Kirche offen, so lange es geht. Menschen sollen ihre Lebensbaustellen in dieses Gotteshaus bringen können und etwas lassen von ihrer Sorge. Einige stimmen ein eigenes Lied an, einfach so, und hören ihrem Hall nach. Andere stimmen ein in Lieder, in denen es um überwundene Schwierigkeiten geht. Lieder, die die Seele stärken, wie die in diesem Gottesdienst.
Manche kommen immer wieder und können dann gut mitsprechen, singen und sagen: Hier kann meine Seele aufatmen – und singen.
Amen.
Es gilt das gesprochene Wort.
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