Predigt zum Nachlesen
Sie ist ein wenig aufgeregt. Ein erstes Treffen mit der Mutter ihres Freundes. Er sagt, dass seine Mutter etwas anstrengend sein soll. Und sehr kritisch. Ob das stimmt? Und dann: Die Tür geht auf – eine kleine Frau in einer hellblauen Bluse, deren Ärmel hochgekrempelt sind und einer karierten Schürze steht vor ihr und lächelt sie an. Lachfalten um die Augen, und um den Mund – um das rundliche Gesicht braun-graue Locken: „Du musst Merle sein“. Sie grinst. „Kommt rein – ich hatte noch gar nicht mit Euch gerechnet – wie schön, dass Ihr schon da seid“. Sie mustert Merle von oben bis unten. Merle greift zur Hand ihres Freundes. Jetzt wird ihr doch unbehaglich. Sie hätte vielleicht doch nicht das Hemd mit dem großen Ausschnitt anziehen sollen. Da sagt die Mutter ihres Freundes: „Was für ein hübsches Paar ihr seid – wie Deckel auf Pott, sagt man in Hamburg“. Sie grinst wieder.
Liebe Gemeinde,
was können Worte und Blicke alles bewirken. Worte, manchmal bewusst gewählt, manchmal auch einfach nur so dahingesprochen, können Menschen tief treffen, positiv oder auch negativ. Blicke können das Selbstbild beeinflussen und manchmal sogar begründen.
Vorhin haben wir gehört, welche zerstörerische Kraft unrealistische Schönheitsideale haben können. Wie sie Körper, von Mädchen und Frauen, aber auch die Körper anderer Geschlechter, normieren, einteilen. Menschen leiden, weil sie ihren eigenen Körper nicht positiv erleben können. Ihr Blick auf sich selbst, die eigene Schönheit ist verstellt.
Sieh doch, du bist schön, meine Freundin! Sieh doch du bist schön, mein Freund! So beginnt der Predigttext aus dem Hohelied der Liebe. Zwei Liebende nehmen die Schönheit der/des anderen jeweils wahr, genießen diese Schönheit, freuen sich am Körper der/des anderen, begehren ihn. Beide ermöglichen es einander, sich rundum schön zu fühlen. Was können Worte, Blicke und Bilder alles bewirken. Worte, die andere zu einem und über einen sprechen.
Sieh doch, du bist schön, meine Freundin! Sieh doch du bist schön, mein Freund!
Das Besingen der Schönheit ist reiner Genuss.
Was ist eigentlich schön?
Das Hohelied besingt Schönheit mit für uns vielleicht fremden Bildern. Der Freund ist
wie ein Hirsch oder eine Gazelle. Die Freundin ist wie eine Taube oder sie hat Taubenaugen. Sie ist eine Lilie des Scharon, ein Lotus unter Disteln. Er ist ein Apfelbaum unter Waldbäumen. Schönheit ist für das Hohelied nichts, was ausschließlich Frauen betrifft, sondern Schönheit ist auch Männersache. Er ist schön – und das wirkt verführerisch auf sie und sie ist schön – das wirkt verführerisch auf ihn.
Und alles beginnt damit, dass beide sich bewusst wahrnehmen. Hinsehen: Sieh doch, du bist schön, meine Freundin. Sieh doch, du bist schön, mein Freund.
Biblisch gesehen ist Schönheit nichts Statisches, nichts Normiertes, sondern sie ist das, was jemand lebendig ausstrahlt. „Du ziehts mich an, berührst mich tief“, sagen oder empfinden wir heute vielleicht. Die Aura ist es, die jemanden für sich einnehmen lässt. Schönheit ist dynamisch, in Bewegung. Es geht darum, was ein Körper ausdrücken kann und wie er wirkt. „Deine Augen – Tauben“ meint nicht, dass die Augen eine Form von Tauben haben. Vielmehr galt die Taube im Alten Orient als Botin der Liebesgöttinnen. Die Augen sind also schön, weil sie Liebesbotschaften senden. Sie bewirken etwas.
Ein paar Verse vor unserem Text beschreibt die Frau des Hohelieds sich selbst: „Schwarz bin ich und schön, Frauen Jerusalems, wie die Zelte Kedars, wie die Teppiche Salomos.“
Einige Ausleger*innen meinen, dass die Frau, die hier spricht, eine braune oder schwarze Haut hat, weil sie hart im Weinberg arbeitet. Vom Aufgang bis zum Niedergang der Sonne ist sie der brennenden Sonne ausgesetzt. Tag für Tag. Die „Frauen Jerusalems“ sind dagegen diejenigen, die in der Stadt leben, vielleicht sogar in Palästen. Die sind vor der Sonne geschützt, deren Haut ist heller.
Helle Haut, so diese Auslegung, war in der Zeit, als das Hohelied aufgeschrieben wurde, ein Schönheitsmerkmal. So wird die Hautfarbe ein soziales Unterscheidungsmerkmal. Helle Haut = reich = schön, dunkle Haut = arm, hart arbeitend = unschön.
Ich weiß nicht, ob die Auslegung richtig ist oder ob die Theolog*innen ihre eigenen Vorstellungen von Schönheit hier eingetragen haben.
„Schwarz bin ich und schön“ – Diese Frau empfindet sich auf jeden Fall genau mit dieser Hautfarbe als schön. Das Hohelied ist so vielschichtig und offen, dass viele Deutungen möglich sind. Dichtung, Poesie ist immer mehrdeutig.
Was mir wichtig ist: Diese Frau weiß um ihre Schönheit. Ihr Freund, ihr Geliebter, freut sich an ihrer Schönheit. Und genauso freut sie sich an seiner Schönheit.
Sie genießen das Besingen ihrer Schönheit.
Was ist schön?
Schönheitsideale ändern sich. Sie sind zeit- und kontextabhängig. Während für uns im Norden eine gebräunte Haut gesund und schön wirkt, bleichen sich viele schwarze Frauen die Haut mit giftigen Substanzen, um das Attribut schön zugeschrieben zu bekommen.
Während sich hier im Norden Hosen mit Schnitten, die die Taille schlank machen, gut verkaufen, bevorzugen Frauen anderer Ländern Kleider, die die Rundungen an Po und runde Hüften eher betonen.
Was ist schön?
Welche Bilder verwenden wir heute für den Körper? Welche Normen leiten heute das Körpererleben und Körpergefühl?
„Ich lobe dich für meine Schönheit“, dichteten drei Frauen in einer Gottesdienstwerkstatt zum diesjährigen Evangelischen Frauensonntag und schrieben gemeinsam ein Psalmgebet. Darin beschreiben, besingen sie die Schönheit des Körpers. Sie besingen die Schönheit der Füße und Beine, der Haut, der Schulter und anderer Körperteile.
Die Bilder dieses Gebetes wollen wir nun aufnehmen und Sie, liebe Gemeinde, hier in der Christuskirche und am Radio fragen, was Sie an sich selbst schön finden:
Finden Sie
Ihre Füße und Beine schön, weil sie Sie von einem Ort zum anderen tragen, weil sie Sie mit Mutter Erde verbinden?
Ist Ihre Haut schön, die Haut, die Sie jede Berührung spüren lässt und den Körper schützend umhüllt?
die Falten, die den Lebensweg nachzeichnen und Freude und Sorgen zeigen?
der Bauch, weil er Entscheidungen schon kennt, bevor der Verstand sie weiß?
die Rundungen, die Ringe des Lebens sind und Geborgenheit spenden?
der Unterleib, weil er Sinnlichkeit und Begehren ausdrückt?
die Schultern, die so viel tragen können?
die Hände, die zupacken, trösten, festhalten und loslassen, streicheln und arbeiten, und an denen man das Leben ablesen kann?
Sind sie schön?
Finden Sie, liebe Gemeinde, sich und Ihren Körper schön?
Die Frauen aus der Gottesdienstwerkstatt finden es und fassen ihre Botschaft in einem Lob zusammen: „Ich danke dir Gott, dass du mich schön gemacht hast.“
Was können Worte, Blicke und Bilder alles bewirken. Ein positives Selbstbild, das um die eigene Schönheit weiß. Und diese Schönheit wirklich spüren lässt. Von Kopf bis Fuß, in jede Zelle des Körpers hinein.
Worte können helfen genau wahrzunehmen. Leiten an, zu sehen, zu spüren, zu fühlen – so schön hat Gott mich geschaffen. Jenseits von Normen, die festschreiben, was schön ist und was nicht. Und diese Normen auch manchmal radikal in Frage stellen. Denn das ist ja ganz typisch für biblische Texte: Sie stellen Normen, das Vorherrschende auf den Kopf und in Frage.
Die Worte, mit denen das Hohelied die Schönheit der Liebenden beschreibt, legen die Körper der beiden nicht fest. Die Worte besingen eine Schönheit, die nicht bei einem Außenblick stehen bleibt, und ihn verinnerlicht. Diese Schönheit geht darüber hinaus. Eine Schönheit, die die andere nicht bloß als ein Objekt sieht, sondern als eigenständiges Subjekt.
Schönheit ist, wenn jemand übereinstimmt mit dem eigenen Selbst und der eigenen Geschichte -und mit einem anderen Menschen und der schön gewordenen Welt.
Vielleicht haben die Dichter, die das Hohelied aufgeschrieben haben, sich auch an die Worte aus der Schöpfungsgeschichte erinnert. Dort im Schöpfungsbericht heißt es ja am Ende: Und Gott sah alles, was Gott gemacht hatte: Sieh hin, es ist sehr gut. Hier stimmt Gott überein mit sich selbst, mit der eigenen Geschichte mit den Menschen und der schön gewordenen Welt. Sieh hin, es ist sehr gut. Das sind Worte, die helfen, wenn es im Leben unschön wird. Worte, die das Sein zurechtrücken, wenn es nötig ist. Was können Worte doch alles bewirken.
Das Hohelied ist als biblisches Buch mehr als bloßes Liebesgeflüster, sondern Lebenszuspruch, Lebenszuspruch auch für uns heute:
Sieh doch, du bist schön, meine Freundin. Sieh doch, du bist schön, mein Freund.
Sieh doch, du bist schön
Amen.
Es gilt das gesprochene Wort.